Grüne suchen Schuldigen für Schlappe

Saarbrücken · Landeschef Hubert Ulrich zieht sich zurück, doch seinen Gegnern reicht das nicht. Sie klagen über ein „System Ulrich“, das die Partei nun beenden müsse.

 Das war's für die Grünen: Kurz nach der Wahl bauten Arbeiter die Plakate ab, im neuen Landtag ist die Partei nicht mehr vertreten. Foto: Dietze/dpa

Das war's für die Grünen: Kurz nach der Wahl bauten Arbeiter die Plakate ab, im neuen Landtag ist die Partei nicht mehr vertreten. Foto: Dietze/dpa

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Fünf Jahre lang war - zumindest nach außen hin - Ruhe, doch kaum ist die Landtagswahl im Saarland vorüber, brechen bei den Grünen alte Konflikte wieder auf. Eine innerparteiliche Gruppe namens "Aufbruch!" fordert nach der Wahlschlappe einen "konsequenten, echten und glaubwürdigen Neuanfang". In einem offenen Brief schreiben die gut 40 Unterzeichner: "Wir brauchen keine kosmetischen Veränderungen, sondern eine grundlegend neue Diskussions-, Beteiligungs- und Parteikultur im Saarland." Der Brief richtet sich gegen Landeschef Hubert Ulrich (59), der seit 1991 die zentrale Figur der Saar-Grünen ist, und seine Unterstützer. Die Macht des Ulrich-Blocks, der bei Parteitagen um die 80 Prozent der Delegierten stellt, soll gebrochen werden.

Ulrich hatte nach dem 4,0-Prozent-Schock noch am Wahlabend angekündigt, dass er sich aus der Landesspitze der Grünen zurückziehen wird. Schon am 7. Mai soll ein Parteitag einen Nachfolger wählen. Ulrich wäre eigentlich bis Mitte 2018 gewählt, er tritt also vorzeitig ab. Die zweite Vorsitzende Tina Schöpfer bleibt im Amt. "Wir wollen diesen Wechsel zeitnah, um den Schwung für den Bundestagswahlkampf mitzunehmen", sagt Barbara Meyer-Gluche, die im Landtagswahlkampf Ulrichs Co-Spitzenkandidatin war.

Als Nachfolger werden der Bundestagsabgeordnete Markus Tressel (39), ein enger Verbündeter Ulrichs aus dessen mitgliederstarkem Kreisverband Saarlouis, und Barbara Meyer-Gluche aus Saarbrücken gehandelt. Für die 32-Jährige hat aber ihre Jobsuche Vorrang, denn mit dem Ausscheiden der Grünen aus dem Landtag verliert die Volkswirtin und Politologin auch ihren Arbeitsplatz als Fraktionsreferentin.

Hubert Ulrichs Ankündigung, nicht mehr für den Landesvorsitz zu kandidieren, sei "ein begrüßenswerter Anfang", so steht es in dem offenen Brief zu lesen, dies könne aber nur ein erster Schritt für einen Neubeginn sein. "Das ‚System Hubert Ulrich‘ muss beendet werden und die Partei sich von der Basis her erneuern", verlangen die Unterzeichner. Das Potenzial habe die Partei. Viele Mitglieder seien in Initiativen, Vereinen und Verbänden engagiert, hätten aber in den letzten Jahren ihre Aktivitäten in der Partei eingestellt, weil sie dort keinen Ort mehr für eine offene Debatte vorgefunden hätten, stattdessen: "Drangsalierung und Ausgrenzung".

Zu der "Aufbruch"-Gruppe gehören unter anderem der ehemalige Saarbrücker Bürgermeister Kajo Breuer, der Umweltdezernent der Landeshauptstadt, Thomas Brück, Dieter Grünewald (ehemaliger Umwelt-Staatssekretär unter Jamaika), Stephan Körner (ehemaliger Bildungs-Staatssekretär) sowie einige Orts- und Fraktionsvorsitzende und weitere lokale Vorstandsmitglieder, schwerpunktmäßig aus dem Saarpfalz-Kreis (Blieskastel und St. Ingbert) und aus dem Regionalverband Saarbrücken (Halberg und Friedrichsthal). Die meisten von ihnen sind seit vielen Jahren Kritiker des Parteichefs, einige schon seit Jahrzehnten, als noch (Saarlouiser) Realos um Ulrich und (Saarbrücker) Fundis um die Vorherrschaft im Landesverband kämpften. Dieser ideologische Streit spielt keine große Rolle mehr, was allein schon daran zu erkennen ist, dass Stephan Körner, ein früherer Realo-Weggefährte Ulrichs, heute den innerparteilichen Widerstand gegen den Landeschef anführt.

Nach der Niederlage wird in der Partei auch die Schuldfrage diskutiert. Die Grünen haben bei Landtagswahlen noch nie mehr als sechs Prozent geholt. Unstrittig ist, dass die industriell, ländlich und katholisch geprägte Struktur des Landes der Partei das Leben schwer macht. Und dass ihr diesmal das vermeintliche Kopf-an-Kopf-Rennen von CDU und SPD geschadet hat, ist auch klar. Strittig ist aber, ob auch Ulrich einen Anteil an der Grünen-Schwäche hat.

Seine Kritiker, die jetzt den offenen Brief geschrieben haben, sind überzeugt, dass die Grünen das Scheitern bei der Landtagswahl "vor allem" sich selbst anzulasten haben. "Verknöcherte und autoritäre Strukturen haben über Jahre hinweg dem Landesverband zunehmend eine lebendige Diskussionskultur ausgetrieben und das Bild in der Öffentlichkeit geprägt. Mitgliedergewinnung lediglich zum Zwecke des Machterhalts, Missachtung der Vielfalt in der Partei und Ausgrenzung missliebiger Führungspersönlichkeiten widersprechen grundlegenden demokratischen Prinzipien."

Hubert Ulrich selbst wollte sich zu dem Brief gestern nicht äußern. Barbara Meyer-Gluche sagte, sie habe kürzlich mit drei Initiatoren des offenen Briefes gesprochen. "Ich hatte eigentlich das Gefühl, dass wir in guten Gesprächen sind." Die junge Generation bei den Grünen habe mit diesem alten Konflikt ohnehin nichts zu tun. Dass nun alles öffentlich ausgetragen werde, das sei traurig.

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