Pollak zu Haftstrafe verurteiltHeutiger Abgeordneter der Linken im Landtag soll falsche Gutachten erhalten haben

Saarbrücken/Homburg. Über 800 000 Euro soll der ehemalige Landtagsabgeordnete und Facharzt für Allgemeinmedizin, Dr. Andreas Pollak, laut Anklage unrechtmäßig in seine Tasche gewirtschaftet haben

 Mediziner Andreas Pollak ist gestern zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Foto: Becker & Bredel

Mediziner Andreas Pollak ist gestern zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Foto: Becker & Bredel

Saarbrücken/Homburg. Über 800 000 Euro soll der ehemalige Landtagsabgeordnete und Facharzt für Allgemeinmedizin, Dr. Andreas Pollak, laut Anklage unrechtmäßig in seine Tasche gewirtschaftet haben. Im Laufe des 15 Monate dauernden Prozesses halbierte sich dieser Betrag zwar, aber es ging, wie der Vorsitzende einer Großen Strafkammer am Saarbrücker Landgericht, Udo Kuklik, gestern in der Urteilsbegründung ausführte, nicht um die Höhe, sondern um den enormen Vertrauensbruch über Jahre hinweg. Drei Jahre und neun Monate soll der Doktor ins Gefängnis. Wegen der langen Verfahrensdauer gelten sechs Monate als verbüßt. In zwei der angeklagten Fälle erfolgte ein Freispruch. Das von der Staatsanwaltschaft beantragte Berufsverbot hat das Gericht nicht verhängt. Pollak praktiziert seit 2005 nicht mehr und es droht ohnehin der behördliche Entzug der Approbation.In dem Prozess ging es um drei Vorwürfe: die wissentlich falschen Abrechnungen mit den Krankenkassen über die Kassenärztliche Vereinigung, die Beihilfe zum Betrug, damit ein St. Ingberter Orthopäde ebenfalls nicht erbrachte Leistungen abrechnen konnte und in drei Fällen um das Ausstellen von wissentlich falschen Gefälligkeitsgutachten.

Betrug im Gesundheitswesen ist kein Einzelfall, sagte Staatsanwalt Becker in seinem Plädoyer, aber dieser Fall sei ungewöhnlich und wiege besonders schwer. Das System der Arztabrechnungen mache den Betrug leicht. Die Betrugsmöglichkeiten seien derart einfach, dass man darin sogar Strafmilderungsgründe sehen könne. Die Patienten wüssten nicht, welche Leistungen ihr Arzt abrechnet. Ein angeblicher Patient habe erst aus der Presse erfahren, dass er von Dr. Pollak behandelt wurde. Ein Patient hatte seine Krankenkassenkarte in einer Kneipe einem Freund gegeben. Der ging damit zum Doktor und bekam eine Krankschreibung.

Ein Facharzt für Orthopädie aus St. Ingbert soll auch profitiert haben. Er bekam vom Angeklagten als Freundschaftsdienst die Daten von 112 Versicherten, damit er ebenfalls getürkte Abrechnungen einreichen kann. Von den falschen ärztlichen Attesten war auch ein ehemaliger Mitarbeiter und jetziger Landtagsabgeordneter begünstigt (siehe nebenstehenden Text).

Während die Staatsanwaltschaft auf eine Gesamtstrafe von fünf Jahren plädierte, forderten die beiden Verteidiger Freisprüche für die Kassenabrechnungen und die Atteste. Die nach statistischen Verfahren erfolgten Hochrechnungen böten keine Grundlage für eine Verurteilung. Tatsächlich wurden aus mehreren tausend Patientenunterlagen nur einhundert als Stichprobe herausgenommen und ausgewertet. Bei der Auswertung seien Fehler unterlaufen. Eine Sachverständige habe sich dafür sogar während der Verhandlung entschuldigen müssen.

Die Atteste seien nach bestem Wissen ausgestellt worden. Es sei nicht entscheidend, ob dafür eine ärztliche Untersuchung stattgefunden habe. Maßgeblich sei, ob der Arzt nach seiner pflichtgemäßen Prüfung eine tragfähige Grundlage für sein Gutachten habe. Lediglich die Weitergabe von Patientendaten an den befreundeten Orthopäden könne als Beihilfe zum Betrug gewertet werden. Dafür sei allenfalls eine Geldstrafe zu verhängen, zumal der Schaden bereits wieder gutgemacht sei.

Das gestern gefällte Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung kündigte bereits an, vor dem Bundesgerichtshof in Revision gehen zu wollen. Saarbrücken. Seit dem 2. Februar 2010 hat eine Große Strafkammer des Landgerichts die Anklage gegen den Ex-Grünen-Parlamentarier und Facharzt Dr. Andreas Pollak (51) verhandelt. In dem Prozess trat neben vielen Zeugen auch ein Linken-Landtagsabgeordneter auf. Er war früher Mitarbeiter in der Praxis von Pollak und zugleich dessen Patient, weshalb er vor Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehört wurde.

Im Plädoyer des Staatsanwalts kam gestern zur Sprache, dass dem Abgeordneten im März 2000 durch das Amtsgericht Neunkirchen der Führerschein entzogen worden sei. Der Grund: Alkohol am Steuer. Im Jahr 2001 habe ihm der gestern verurteilte Pollak in einem verkehrsmedizinischen Gutachten bescheinigt, dass er seit über sechs Monaten abstinent lebe und die Laborwerte nicht für Alkoholmissbrauch sprächen. Diese Bescheinigung soll falsch gewesen sein - das sagt nicht nur der Staatsanwalt. Auch das Landgericht verurteilte gestern unter Vorsitz von Richter Udo Kuklik den Arzt unter anderem wegen dieses mutmaßlich falschen Gutachtens zu seiner Freiheitsstrafe.

Kurz darauf soll Dr. Pollak für denselben früheren Mitarbeiter und heutigen Abgeordneten, ein zweites Gutachten erstellt haben - diesmal mit entgegengesetztem Inhalt. Es ging jetzt laut Staatsanwalt um die Anerkennung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit. In diesem Gutachten soll davon die Rede sein, dass bei dem Patienten wegen des Alkoholkonsums ein Kontrollverlust eingetreten sei und er an Halluzinationen leide. Ob das Versorgungsamt einen Schwerbehindertenausweis ausstellte, kam in dem Prozess nicht zur Sprache. jht

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