„Mangel an ästhetischem Empfinden“

In Merzig hat der Stadtrat dem Bau eines Windparks zugestimmt, nun wollen die Franzosen direkt bei Biringen (Rehlingen-Siersburg) noch neun Windräder dazu setzen. Diese Massierung ruft nicht nur Anwohner, sondern auch die Initiatoren von „Steine an der Grenze“ auf den Plan. Die Linke im Landtag stellt sich an die Seite der Windkraftgegner. SZ-Redakteurin Cathrin Elss-Seringhaus sprach mit Fraktionschef Oskar Lafontaine.

Können die Vorhaben überhaupt noch gestoppt werden?

Lafontaine: Das ist unklar. Vielleicht ist ein Arrangement mit den Franzosen möglich. Die wollen ja auch nicht, dass die Sicht auf das Schloss Malbrouck durch Windräder auf deutscher Seite beeinträchtigt wird. Das Problem ist, dass die Genehmigungsverfahren oft schon viel zu weit fortgeschritten sind, bevor die Bürger etwas erfahren. Bekanntlich sind Landräte, Bürgermeister oder Ortsräte sehr zugänglich, wenn von den Investoren Vergünstigungen in Aussicht gestellt werden, etwa wenn Investoren dem Kindergarten oder den Sportvereinen was spenden. Deshalb bin ich der Meinung, dass es bei der Genehmigung solcher Anlagen zwingend einen Bürgerentscheid geben muss. Aktuell wäre es wünschenswert, wenn die Landespolitik sich besinnen und sich einschalten würde.

Wie soll das gehen? Die Kommunen haben bei der Windkraft die Entscheidungshoheit, seit die Jamaika-Koalition das so eingeführt hat. Rechtlich sind dem Land die Hände gebunden.

Lafontaine: Es gilt der Satz: Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. Das Land hat sehr wohl Einflussmöglichkeiten. Es kann zum Beispiel viel besser mit den französischen Behörden verhandeln als jede einzelne Gemeinde.

Bei der Landtagsdebatte hatte ich nicht den Eindruck, dass die Landesregierung Ihrem Aufruf folgen möchte.

Lafontaine: Es war tatsächlich eine neue Erfahrung, dass selbst der Hilferuf des Bildhauers Paul Schneider überhaupt nichts auslöst. Deshalb ist damit zu rechnen, dass diese kulturelle Barbarei voranschreitet. Nicht einmal der Kulturminister hat sich für "Steine an der Grenze" stark gemacht. Dieser Mangel an ästhetischem Empfinden ist erschreckend.

Man hat Ihnen vorgeworfen, Sie protestierten nur aus Eigennutz. Sehen Sie die Windräder überhaupt von Ihrem Haus in Silwingen aus?

Lafontaine: Nein, die sehe ich nicht. Ich sprach vom Verlust der Heimat. Was ich darunter verstehe, ist nicht der Gesichtskreis meines Hauses, sondern zumindest das Saarland vom Dom in St. Wendel bis zur Kapelle in Sankt Gangolf. Ich würde genauso argumentieren, wenn rund um die Burg Montclair Windräder aufgestellt würden.

Ihre Fraktion hat im Antrag zur Windkraft gefordert, das Land solle zur alten Regelung zurückkehren, Vorranggebiete auszuweisen. Sie würden den Kommunen also das Entscheidungsrecht wieder entziehen?

Lafontaine: Mit der Rückkehr zu dieser Regelung wäre zumindest der Wildwuchs und wären Beschädigungen von Kulturdenkmälern nicht möglich. Aber mittlerweile gehe ich weiter: Ich bin für den Stopp des Ausbaus der Windkraft.

Damit rücken Sie allerdings von der Position Ihrer Partei ab, die sich bisher grundsätzlich ja immer für den Ausbau ausgesprochen hat?

Lafontaine: Es sind neue Argumente aufgetaucht, die den Ausbau absurd erscheinen lassen. Erstens: Trotz des ungesteuerten Ausbaus hat die Windkraft 2012 einen Anteil von nur 1,3 Prozent der Primärenergie erbracht. Zweitens: Durch die Netzstruktur und den Kraftwerkspark führt der Zubau von Windkraftanlagen zu einem erhöhten CO{-2}-Ausstoß. Weil sich Gaskraftwerke nicht mehr rechnen, werden alte Braunkohlekraftwerke zugeschaltet. Drittens: Aufgrund des Erneuerbare-Energien-Gesetzes erhöht jeder Zubau den Strompreis für die Verbraucher. Also sage ich: Der Stopp des Ausbaus ist jetzt die richtige Antwort. Es ist doch pervers, wenn man, um die Umwelt zu schützen, den CO{-2}-Ausstoß steigert und die Landschaft zerstört.

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