Fast-Ruine soll schmucker Gasthof werden
Vor sechs Jahren war er fast schon eine Ruine, der alte Bahnhof in Großrosseln. Bauschäden überall – Dach, Fenster und Türen waren undicht, Regen, Wind und Frost setzten dem Gebäude zu, zerstörerische Menschenhände taten ein Übriges.
Die Bahn brauchte den Bahnhof nicht mehr. Und tat nichts, um dem Verfall Einhalt zu gebieten.
Das aber tut mittlerweile Peter Wagner. Der Großrosseler, Jahrgang 1965, hat im November 2011 den historischen Bau erworben. Und dessen Sanierung in die Hand genommen - wörtlich: "Ich mache fast alles selbst", sagt Wagner. Nur bei besonders schweren Arbeiten helfe ein benachbarter Handwerksbetrieb.
"Am Anfang habe ich fast nur im weißen Schutzanzug und mit Staubmaske gearbeitet", berichtet Wagner; "ich musste Berge von Müll wegschaffen." Bis hin zu alten Matratzen: Unbekannte hatten regelmäßig die Sperrzäune überklettert, Türen aufgebrochen, Fenster eingeschlagen und sich im leeren Bau häuslich eingerichtet - unter Zurücklassung von Utensilien, Flaschen, Speiseresten. Wagner hat die Zugänge nun fest verbarrikadiert. Auch um das Dach vor Vandalismus zu schützen, das er - eine der ersten Aktionen - abgedichtet hat. "Jetzt ist der Bau trocken", sagt er.
Zum Denkmaltag hat Wagner in der alten Schalterhalle eine Theke installiert, wo die Besucher mit Getränken versorgt werden. An der Wand hängen seine Zukunftspläne: Architektenzeichnungen für eine familienfreundliche Gaststätte, mit Grillraum und großem Gastzimmer. Mit einem Biergarten an der Gleisseite. Und einer sommers wie winters benutzbaren Kunststoffbahn fürs Eisstockschießen daneben. Das Lokal will er später nicht verpachten, sondern selbst betreiben, mit gastronomisch erfahrenen Mitarbeitern - Wagner ist da nicht vom Fach, er ist gelernter Holzbildhauer, vor einigen Jahren machte ihn seine "Warndtmadonna" bekannt. Wann es so weit sein wird? Er lächelt: Das hänge davon ab, wie die Sanierung vorangehe. "Bei solch einem alten Bau gibt es immer Überraschungen."
Überraschungen anderer Art hat er, säuberlich gerahmt, neben den Planzeichnungen an die Wand gehängt. Fahrkarten hat er beim Renovieren gefunden, Erinnerung an Zeiten, als noch Personenzüge in Rosseln hielten. Und Stempel, vom geläufigen "Eingegangen" bis hin zu Spezialitäten, die mit den Gruben-Diensten der Rosseltalbahn zusammenhingen - bei der Bahn hatte alles seine Ordnung. Und man war sparsam: "Manche Stempel kann man kaum noch lesen, so abgenutzt sind sie", sagt Wagner.
Für eine wieder andere Überraschung sorgen zwei Besucher, die, mit Wagner als Führer, die Treppe hinaufstapfen. "Das war das Schlafzimmer", sagt Karl-Heinz Biewer und zeigt mit einer Geste, wo das Bett stand: Von 1960 bis 1967 hat der heute 85-Jährige hier gewohnt, er war Fahrdienstleiter des Rosseler Bahnhofs. Und er kann erzählen. Vom Lärm der Dampfloks, der seiner Familie anfangs den Schlaf raubte. Vom Häuschen neben dem alten Toiletten-Bau: "Das war mein Hühner- und Hasenstall." Vom Weichenstellen per Hand, für das es genau die richtige Zugposition abzupassen galt - Biewer beugt sich vor, zieht einen imaginären Hebel: "Dabei ist mir immer der Schlips dazwischengeraten; wenn die Weiche dann lag, war der Knoten sooo klein!"
Anerkennend schauen er und sein Sohn Michael (60) sich an, was Wagner bereits geschafft hat. Feuchte, zerfetzte Tapeten und mürber Putz sind weg, Mauerwerk, Türstürze, Deckengeflecht liegen offen und sauber da. Faule, morsche Balken-Teile sind herausgesägt, vom intakten Holz aus wird später das Tragwerk erneuert. "Die alten Sprossenfenster sind noch gut", sagt Wagner; sie zu reparieren, sei viel günstiger, als sie zu ersetzen.
Im Gehen sagt Michael Biewer ein wenig erstaunt: "Die Räume hatte ich viel größer in Erinnerung." "Klar", ruft sein Vater, "du warst damals doch noch klein!"
Zum Thema:
Rückschau1906/07 wurde der Bahnhof Großrosseln erbaut, er stammt aus preußischer Zeit. Er gehörte zur 1907 eröffneten Linie über Geislautern und Velsen, die als Nebenstrecke der Rosseltalbahn bei Fürstenhausen abzweigt. 1976 stellte die Bahn den Personenverkehr ein und schloss die Bahnhöfe. Die Bahnhöfe Geislautern und Fürstenhausen kamen in private Hände. Die Technik in Großrosseln hingegen brauchte die Bahn noch für die Kohletransporte zur Grube Warndt. 2001 wurde der Rosseler Bahnhof Denkmal. Was am allmählichen Verfall des Baus nichts änderte. 2002/03 dokumentierten Saarbrücker Architekturstudenten unter Leitung des Experten Martin Sauder den Bauzustand. 2005, nach der Grubenschließung, schrieb die Bahn den Bahnhof zum Verkauf aus. Zu den ersten Kauf-Interessenten zählte Peter Wagner. 2011, im zweiten Anlauf, erwarb Wagner den Bahnhof. Seither saniert er. dd