Aus der Perspektive des Wetterhahns

Merzig · Seit Wochen ist der Turm der Pfarrkirche St. Peter von einem Gerüst umgeben. In Schwindel erregender Höhe wird dort gearbeitet. Viele Merziger wollen wissen, was genau dort geschieht. SZ-Leser Hans-Peter Dillschneider hatte die Gelegenheit, sich auf Merzigs höchster Baustelle umzuschauen.

Die an Baustellen augenblicklich nicht gerade arme Stadt Merzig hat eine ganz besondere Baustelle. Es ist die höchste in der Stadt, ja sogar über der Stadt. Der Verkehr wird von dieser Baustelle gar nicht beeinflusst, was sie ebenfalls heraushebt. Es handelt sich um den Turm der St. Peters Kirche.

Da entsteht doch schnell die Idee, wie schön es doch wäre, die Stadt Merzig auch einmal von ganz oben zu betrachten und so eine neue Perspektive zu entwickeln? Eine Gelegenheit dazu hatte sich mir vor Tagen ergeben. Allen Bürgern der Stadt ist diese Baustelle natürlich längst aufgefallen, und viele haben sich gefragt, wie die Welt wohl von einer Kirchturmspitze aus zu sehen ist.

Dank göttlichem Beistand und der Unterstützung der alteingesessenen Merziger Dachdeckerfirma Reents konnte ich die Erlaubnis bekommen, die Stelle auf dem Kirchturm zu betreten, wo sich sonst nur Wetterhähne aufhalten dürfen.

Es sei gleich vorweggenommen: Die Aussicht von diesem Punkt ist unbeschreiblich, insbesondere wenn, wie an meinem Besuchstag, schönstes Sonnenwetter herrscht. Dies verwundert natürlich weniger, weiß man doch, wer für das Wetter zuständig ist und die Kirche doch nun mal einfach St. Peter heißt. So wurde es mir also erlaubt, in Begleitung des Seniorchefs Konrad Reents, die Turmspitze zu erklimmen.

Eine schöne Überraschung hat dieser mir da gleich am Fuße der Kirche offenbart. Er teilte mir mit, dass wir den Aufzug, der über die Hälfte der Höhendifferenz reicht, nicht nehmen, sondern lieber die Treppe.

Treppe statt Lift

Gut, der Mann ist einige Jahre älter als ich und so dachte ich, eher er als ich werde zu leiden haben. Weit gefehlt. Ganz im Gegenteil: Versetzte er mich doch in wenigen Minuten in maßloses Erstaunen, da ich mit seinem Tempo des Treppensteigens und Erklimmens von Leitern und Gerüstteilen nicht annähernd mithalten konnte.

Dennoch bin ich letztlich da oben angekommen, wo die Arbeiter mit ihrem Handwerk beschäftigt waren. Wer kann heute noch Schieferschindeln zurechtschlagen und fachgerecht in verschiedenen Größen an der richtigen Stelle festnageln? Ein Fachmann dieser Zunft ist Manfred, der, unterstützt durch den Seniorchef, mich gleich auch in die Feinheiten dieser Arbeit einweihte und zugleich auch seine Fertigkeit demonstrierte.

Es ist bewundernswert zu sehen, wie in Schwindel erregender Höhe ein wahrer Könner seiner Zunft rohe Schieferschindeln in Windeseile passgenau zurechtschlägt und wie er die Schindel dann an die richtige Stelle nagelt, ohne sie dabei selbst wieder zu zerschlagen.

Als junger Bursche in meiner Studentenzeit durfte ich in eben dieser Firma Reents als Ferienarbeiter tätig sein, und auch schon damals hatte man vergeblich versucht, mir die Grundzüge dieser Tätigkeit beizubringen.

Ich war sehr schnell gescheitert, und es ist tatsächlich eine Frage von größter Geschicklichkeit und langer Übung, um derartige Arbeiten überhaupt ausführen zu können.

Aber zurück in die Gegenwart. Letztlich war es mir dann auch gelungen, die letzten Meter bis ganz nach oben, über die Turmspitze hinaus, zu klettern und den obersten Punkt des Gerüstes zu erreichen.

Hier, dem Himmel so nah, lag es nicht gerade an der dünner werdenden Luft, sondern an der mangelnden Kondition, dass ich erst einmal tief durchatmen musste. Neu zu Kräften gekommen, hatte ich dann allerdings einen wunderbaren Rundblick über die Kernstadt Merzig aus einer nie gekannten Perspektive: wie man auf diesen Bildern deutlich erkennen kann.

Beim Abstieg wurde mir dann von Manfred zum Abschied noch ein Herz aus Schiefer gefertigt, was dieser schneller hinbekam, als ich zu erkennen in der Lage war, was er vorhatte. Mit diesem schönen Erinnerungsstück habe ich den Rückweg angetreten und ein unbeschreibliches Erlebnis abgeschlossen.

Ob es nun an der göttlichen Nähe so hoch oben lag oder an all den freundlichen und gut gelaunten Menschen auf dem Wege dorthin, jedenfalls kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass meine Laune mit jedem Höhenmeter mitgestiegen ist und dass ich die Stadt Merzig nicht nur mit anderen Augen, sondern auch aus einer ganz besonderen Perspektive gesehen habe. Für die Rückkehr des Wetterhahns habe ich sofort mein erneutes Kommen angemeldet und freue mich jetzt schon auf seine Bekanntschaft - vielleicht Auge in Auge.

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