Viel Wind um Windräder und einen Sack Reis

Große Koalition lehnt Linke-Vorstoß für Mindestabstand zur nächsten Wohnung ab – Gefahr durch Infraschall?

Seit einiger Zeit hat die Linke im saarländischen Landtag ein neues Vorbild, zumindest wenn es um Windkraft geht: Im CSU-regierten Bayern gilt die Regel, dass die Entfernung zwischen Windrädern und der nächstgelegenen Wohnung mindestens das Zehnfache der Höhe des Windrades betragen muss - bei einem 200 Meter hohen Windrad also zwei Kilometer. Diese sogenannte 10H-Regelung will die Linke auch im Saarland einführen. Durch den Ausbau der Windkraft nähmen die Vorbehalte gegen die Anlagen immer mehr zu, sagte die Abgeordnete Dagmar Ensch-Engel gestern im Landtag. Ihre Fraktion hat es eilig, denn nur noch bis zum 31. Dezember 2015 erlaubt ein Bundesgesetz den Ländern, entsprechende Regelungen zu erlassen.

Den gestrigen Gesetzentwurf hatte die Linke bereits im September 2014 eingebracht. Führte die Linke in der Vergangenheit häufig ästhetische Bedenken gegen die Windenergie an ("Verspargelung der Landschaft"), so drehte sich die Debatte gestern vor allem um den von den Anlagen verursachten Infraschall. Dieser ist für das menschliche Ohr nicht hörbar. Medizinisch erfassbare Wirkungen bei Langzeitbelastungen, so die Linke, gebe es aber auch bei Pegeln deutlich unterhalb der Wahrnehmbarkeitsschwelle. "Unhörbar ist nicht gleichbedeutend mit unschädlich", sagte Ensch-Engel, Röntgenstrahlen höre man ja auch nicht.

Der CDU-Abgeordnete Christian Gläser entgegnete, es gebe eine ganze Reihe seriöser Studien zu dem Thema, aber keinen einzigen wissenschaftlichen Hinweis darauf, dass Infraschall von Windrädern Gesundheitsprobleme verursache. Gläser sagte, beim Infraschall von Windkraftanlagen sei laut einer aktuellen Untersuchung ab einem Abstand von 500 Metern kein Unterschied mehr zwischen "Anlage an" und "Anlage aus" messbar. "Der einzige Infraschall, dem Sie dann noch ausgesetzt sind, ist der Infraschall, den der Wind selbst erzeugt", sagte Gläser. Er zog einen Vergleich: Wenn in Peking ein Sack Reis vom zehnten Stock eines Gerüsts falle, sei das sehr schädlich für denjenigen, der gerade dort stehe, wo der Sack aufschlage. Trotzdem braucht man keine 10H-Regelung für das Gerüst, weil der Sack ja auch nicht 300 Meter weit fliege.

Umweltminister Reinhold Jost (SPD ) warnte: "Eine 10H-Regelung würde dazu führen, dass es keinen nennenswerten Ausbau der Windenergie im Saarland gibt. Die entsprechenden Windpotenzialflächen würden sich von knapp 20 Prozent auf unter fünf Prozent verringern." Das, so Jost, wäre "das Ende der Windenergie im Saarland". Die Windenergie sei eine entscheidende Säule bei der Energiewende. Jost sagte, den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomkraft zu fordern und gleichzeitig den Ausbau der Windenergie zu behindern ("Wasch' mir den Pelz, aber mach' mich nicht nass"), funktioniere nicht.

Auch Grüne und Piraten bekannten sich klar zum Ausbau der Windkraft. "Wir müssen wegkommen von der Kohle", sagte Michael Neyses (Grüne) und warf der Linken vor, "mit den Ängsten der Bürger zu spielen". Piraten-Fraktionschef Michael Hilberer riet der Linken, sich "weniger in einschlägigen Internetforen" zu informieren, als in wissenschaftlichen Untersuchungen. Das Argument, dass Windräder die Landschaft beeinträchtigten, sei zudem seltsam. Gerade im Saarland könne man schließlich "auf keinen Hügel steigen, ohne ein Kohlekraftwerk zu sehen".

Nur wenige Stunden vor der Windkraft-Debatte hatte der Landtag in einer "Aktuellen Stunde" über das Atomkraftwerk Cattenom und den jüngsten Bericht der französischen Atom-Aufsicht ASN diskutiert, der unter anderem Mängel beim Strahlenschutz in Cattenom festgestellt hat. Die Fraktionen tauschten ihre seit Jahren bekannten Positionen aus: Die Opposition forderte, die Landesregierung müsse in Berlin und die Bundesregierung in Paris deutlich mehr Druck für die Abschaltung machen. Die Bundesregierung bleibe untätig, weshalb Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU ) "endlich" mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU ) reden müsse, forderte etwa der Grüne Hubert Ulrich .

Die Regierung verwies ihrerseits darauf, dass sie sehr wohl die schnellstmögliche Abschaltung von Cattenom wolle, Energiepolitik aber nunmal Sache der Nationalstaaten, hier also Frankreichs, sei. "Was erwarten Sie eigentlich von dieser Landesregierung?", wollte Umweltminister Jost daher von Ulrich wissen: "Erwarten Sie, dass wir mit der Bereitschaftspolizei unter Begleitung der Bergkapelle und des Saarknappen-Chors nach Cattenom marschieren und dort den Stecker ziehen?"

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