„Der Sparkurs an der Uni ist fatal“

Geht die Frankreichstrategie auf? Der Sprachwissenschaftler Philipp Krämer ist der Ansicht, dass viel Potenzial ungenutzt bleibe.

 In Schulen und Kitas habe die Landesregierung schon viel erreicht, sagt Philipp Krämer. Nun sei es an der Zeit, sich weitere Gedanken zu machen. Foto: dpa

In Schulen und Kitas habe die Landesregierung schon viel erreicht, sagt Philipp Krämer. Nun sei es an der Zeit, sich weitere Gedanken zu machen. Foto: dpa

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Die Ministerpräsidentin bezeichnet die Frankreichstrategie als größten Erfolg ihrer Amtsperiode. Doch wie weit ist man damit gekommen? Der Sprachwissenschaftler Philipp Krämer zieht eine durchwachsene Bilanz. Der gebürtige Homburger forscht an der Freien Universität Berlin und hat die Umsetzung der Frankreichstrategie aufmerksam verfolgt.

Vor drei Jahren startete die Landesregierung ihre Frankreichstrategie. Hat sie das Ganze gut umgesetzt?

Krämer Sie hat erste Schwerpunkte gesetzt, die richtig und wichtig sind: vor allem in den Kitas und Schulen. Aber ich glaube, es wird Zeit, dass sie sich über den Bildungsbereich hinaus weitere Gedanken macht.

Woran denken Sie da?

Krämer An das Arbeitsleben zum Beispiel. Es gibt ja schon Partnerschaften auf Ausbildungsebene zwischen dem Saarland und Lothringen. Man könnte aber auch Berufstätigen mehr Möglichkeiten bieten, eine Zeit lang im Nachbarland zu arbeiten. Die Landesregierung sollte sich auch bemühen, die Bürger stärker einzubinden, um zu erfahren, was die überhaupt wollen. Außerdem wäre es wichtig, das Ganze in den Kommunen zu verankern, damit es sozusagen viele kleine Frankreichstrategien gibt, die nahe an den Menschen sind.

Wie könnte das aussehen?

Krämer Man müsste sich genau anschauen, was für den einzelnen Ort Relevanz hat. Gemeinden, die zum Beispiel eine Industrie- und Kohlevergangenheit haben, könnten den Dialog suchen mit Franzosen, die Projekte zum Industrie-Erbe in Lothringen planen. Oder die Kommunen im Bliesgau, die ja sehr stark auf nachhaltigen Tourismus setzen, könnten ihre Marketingstrategien im französischsprachigen Raum stärken.

Sie haben bei der Einführung der Strategie gewarnt, sie dürfe nicht zu einem Elitenprojekt werden. Ist das eingetreten?

Krämer Wenn die Landesregierung es schafft, dass alle Kitas bilingual werden, dann hätte man dem zumindest bei der jüngsten Generation einen Riegel vorgeschoben. Bei den älteren Generationen bin ich skeptischer. Hier sollte man zum Beispiel darauf achten, dass Französisch nicht nur an Gymnasien, sondern auch an allen Gemeinschaftsschulen angeboten wird. Und natürlich darf man auch sozial benachteiligte, bildungsferne Schichten und Arbeitslose nicht aus dem Blick verlieren. Die haben bisher überhaupt nichts von der Strategie. Eine Idee wäre zum Beispiel, Französischkenntnisse zur Qualifikation dieser Menschen zu nutzen.

Sie halten den Sparkurs an der Universität für einen Fehler. Warum?

Krämer Weil dadurch Forschungspotenzial verloren geht, das man braucht, um die Strategie zielgerichtet umzusetzen. Dazu muss man wissen, wie Sprache funktioniert und wie Menschen mit Sprache umgehen. Ganz fatal ist es, dass man an der Universität das Übersetzen und Dolmetschen extrem zusammengestrichen hat. Das ist ein Schritt, der dieser ganzen Strategie total zuwiderläuft.

Der Bürger bekommt im Alltag nicht viel von der Frankreichstrategie mit. Wie ließe sich das ändern?

Krämer Indem man die Vereine einbindet. Das ist ja ein besonderes Merkmal des Saarlandes, dass alle Menschen in irgendeinem Verein sind. Es wäre ein ungenutztes Potenzial, wenn man sich da keine Unterstützung holt. Man könnte zum Beispiel gezielte Förderprogramme auflegen, die die Kooperation zwischen Vereinen auf beiden Seiten der Grenze fördern.

Die AfD fordert statt der Frankreich- eine Luxemburg-Strategie. Was halten Sie davon?

Krämer Das ist eigentlich absurd. Die AfD begründet diese Forderung mit der Bedeutung des Finanzplatzes Luxemburg. Das passt überhaupt nicht zum Bild der AfD, die sich als Partei der kleinen Leute inszenieren möchte. Was haben denn die kleinen Leute vom Finanzplatz Luxemburg? Zum anderen hat sie versucht, das Ganze in eine nationalchauvinistische Logik einzubinden und von Frankreich gefordert, dass dort mehr Deutsch gelernt werden soll. Das ist an sich sinnvoll, aber natürlich kein Thema für den saarländischen Landtag. Für die Sprachpolitik im Saarland hat die AfD überhaupt keine Ideen.

Das Gespräch führte Nora Ernst

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 Philipp Krämer Foto: Krämer

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Teilnehmer für Umfrage gesucht Der Sprachwissenschaftler Philipp Krämer sucht für ein Forschungsprojekt Teilnehmer für eine Online-Befragung. Ziel ist es, die Haltung der Saarländer zur Frankreichstrategie herauszufinden: Welche Maßnahmen wünschen sich die Menschen im Land? Wollen sie überhaupt ein zweisprachiges Saarland? Teilnahme unter: www.soscisurvey.de/frankreichstrategie/

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