„Wir schreiben heute Geschichte“

Völklingen · Heute befasst sich die Europäische Union in Brüssel mit dem Thema Stahlindustrie. Gewerkschafter und Saarstahl-Betriebsräte hatten im Vorfeld aufgerufen zur nächtlichen Demonstration in Völklingen.

 Aufmerksam verfolgt das Publikum – darunter viele Saarstahler in Arbeitskluft – das Geschehen auf der Bühne. 2300 bis 2400 Menschen kamen zur Nacht-Versammlung, viel mehr als erwartet. Fotos: Becker&Bredel

Aufmerksam verfolgt das Publikum – darunter viele Saarstahler in Arbeitskluft – das Geschehen auf der Bühne. 2300 bis 2400 Menschen kamen zur Nacht-Versammlung, viel mehr als erwartet. Fotos: Becker&Bredel

Montagabend. Es ist kalt, das Thermometer zeigt 4,5 Grad. Auf der Rathausstraße ist niemand zu sehen. Wo die Menschen sind, die zu den Autos gehören, wird nach wenigen Schritten Richtung Bahnhof klar: Blaulicht blinkt an Kreuzungen, die Polizei hat Straßen gesperrt für die "Nacht der 1000 Feuer", zu der der Saarstahl-Betriebsrat und die IG Metall (IGM) aufgerufen haben.

Und da sind sie, die Saarstahler. Seltsam schimmern die Reflexionsstreifen an ihrer Arbeitskleidung im Licht der Fackeln, die viele von ihnen tragen. Ein langer, eindrucksvoller Zug bewegt sich vom Torhaus 2 zum Platz vor der Erzhalle des Weltkulturerbes. Knapp 1000 Leute seien es bestimmt, schätzt IGM-Vertrauensmann Sascha Michaels.

Vor dem Tor zum Erzplatz müssen die Fackelträger ihre Lichter löschen, aus Sicherheitsgründen. Von überallher strömen Menschen auf den Platz. 1000 Teilnehmer an der öffentlichen Belegschaftsversammlung in Völklingen hatte Saarstahl-Betriebsratschef Stephan Ahr im Vorfeld erwartet, 2000 hatte er erhofft - 2300 bis 2400 Menschen haben er und seine Kollegen am Schluss gezählt. Den Saarstahlern aus Völklingen haben sich auch die aus Burbach angeschlossen. Und viele Menschen aus der Stadt und der Umgebung. Darunter bekannte Gesichter - Abgeordnete aus Land, Bund und EU, Völklingens Oberbürgermeister Klaus Lorig , Ratsmitglieder, Stadtwerke-Betriebsräte, Geschäftsleute.

Die Völklinger Band Compliments for Soul spielt. Am brennenden Stahl-Herzen rechts von der Bühne zünden zwei Saarstahler in silbriger Brandschutzmontur ein kurzes Feuerwerk - "Zugabe!", schallt es scherzhaft aus dem Publikum.

Dann wird es ernst: "Stahl ist Zukunft!" Leidenschaftlich plädieren die Redner dafür, die Europäische Union (EU) möge endlich Dumping-Importe aus China unterbinden und aufhören, Emissions-Zertifikate zu verteuern - damit Europas Stahlindustrie, technologisch wie ökologisch vorne und wirtschaftlich enorm wichtig, auch künftig bestehen kann. An diesem Platz vor der Erzhalle sei Geschichte geschrieben worden, 1945, als die Hochöfen neu eröffnet wurden, sagt Stephan Ahr. "Wir werden auch heute Geschichte schreiben!", ruft er. Und: "Wir brauchen die Unterstützung der Bundesregierung, von Angie bis Siggi!" Kämpferische Stimmung auch vor der Bühne. Wolfgang Lauxen zum Beispiel, Völklinger Saarstahler, diskutiert mit Freunden, ob man nicht - wie einst die Bergleute - zur Autobahn-Demo aufrufen sollte, wenn die EU ihre Politik nicht ändert. Schließlich, sagt Lauxen, hängen mehr als 10 000 Jobs im Saarland an der Stahlindustrie.

"Wir sind noch nicht am Ziel!", mahnt Guido Lesch von der IGM am Mikrofon - Zustimmung im Publikum. Aber die große Solidarität, speziell im Saarland, stütze den politischen Kampf, meinen viele. So auch Saarstahl-Vertriebsvorstand Klaus Richter. Gewerkschaften und Belegschaften hätten seit dem großen Stahl-Aktionstag im April viel bewegt, sagt er anerkennend: "Das Bild, das die Gesellschaft sich von der Stahlindustrie macht, hat sich grundlegend verändert." Man spürt: Auch er geht hoffnungsvoll nach Haus.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort