Radszene blickte nach Saarbrücken

St. Johann · Vor 200 Jahren ist das Fahrrad erfunden worden, im selben Jahrhundert gründeten sich in Deutschland große Fahrradverbände. Einer davon wählte 1895 St. Johann als Austragungsort seines zehnten Kongresses, der bis zu 3000 Teilnehmer an die Saar lockte.

 Regelmäßig findet in Saarbrücken die „Velo Nostalgie“ statt und lässt erahnen, wie es beim Kongress mit all seinen Ausflügen und Rennen vor 122 Jahren ausgesehen haben mag. Fotos: Regionalverband/Stadtarchiv Saarbrücken

Regelmäßig findet in Saarbrücken die „Velo Nostalgie“ statt und lässt erahnen, wie es beim Kongress mit all seinen Ausflügen und Rennen vor 122 Jahren ausgesehen haben mag. Fotos: Regionalverband/Stadtarchiv Saarbrücken

In jedem Haushalt in Saarbrücken gibt es durchschnittlich mehr als ein Fahrrad, wie sich aus einer Verkehrsanalyse der Landeshauptstadt von 2015 herauslesen lässt. Aber nicht jeder wird wissen, mit welchem Jubiläum in diesem Jahr das Mountainbike, das an die Flurwand lehnt, in Zusammenhang steht. Vor 200 Jahren ist das Fahrrad erfunden worden. Ein "begnadeter Tüftler", sagt Elmar Anders vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC) Saarbrücken, hat die richtige Idee gehabt, Karl Drais, der sich im Sommer 1817 mit seinem Laufrad von Mannheim aus zur ersten längeren Fahrt von rund 14 Kilometer auf den Weg machte und dabei die Strecke in knapp einer Stunde zurücklegte.

Damit ist klar, dass die Mitglieder des ADFC in diesem Jahr ihren Verwandten und Bekannten einiges an Hintergründen zu erzählen haben. Und dem nicht genug: Auch beim ADFC Saarbrücken lassen sich Jubiläumsgefühle quasi noch greifen: 2016 wurde der Verein 25 Jahre alt.

Doch bis zu dessen Gründungsjahr 1991 mussten die Saarbrücker natürlich nicht warten, dass auch sie mit dem Fahrrad in die Schlagzeilen kamen. Elmar Anders erinnert an ein großes Ereignis, von dem auch außerhalb der Region Notiz genommen wurde.

2000 bis 3000 Teilnehmer

Im Jahr 1886 entstand in Deutschland die Allgemeine Radfahrer-Union (ARU), eine von zwei Radfahrerverbänden in der damaligen Zeit, die sich vor allem um Radtouren und Radtourismus kümmerte und neun Jahre später, also 1895, St. Johann für ihren zehnten Kongress auswählte. In Saarbrücken rechnete man im August mit rund 2000 bis 3000 Radfahrern, wobei die meisten auch zum Übernachten bleiben sollten - ein Großereignis für die Stadt. St. Johann besaß in der Mainzer Straße eine der modernsten Radrennbahnen im Deutschen Reich und fand in dem Tabakhändler J. Hein, dem Vorsitzenden des örtlichen Radfahrervereins, "einen perfekten Organisator", so Elmar Anders. Selbstverständlich war, dass die ARU als Dachverband für das Radfahrertreffen eine eigene Festschrift herausgibt, die am 1. August erschien: "reich illustriert mit zahlreichen Artikeln von bleibender Bedeutung, in Poesie und Prosa, in Ernst und Humor, elegantest ausgestattet", wie die St. Johanner Zeitung damals schrieb. Mit einem Bittbrief erreichte die ARU, dass die Stadt einen Beitrag zur Finanzierung des Kongresses leistet - wobei der Betrag allerdings nicht mehr bekannt ist. Fördergeld stammte unter anderem auch vom Freiherr von Stumm-Halberg. Und selbst Kaiser Wilhelm II. stiftete einen Wanderpreis im Wert von 100 Mark.

Auf dem Programm standen die damals so beliebten lebenden Bilder, Chorlieder, Musikstücke und das kleine Theaterstück "Ein kritischer Tag", bei dem natürlich ein Radfahrer im Mittelpunkt stand - alles begleitet von einer Menge an Presseberichten. "Erst lange nach Mitternacht verließen die wackeren Radler die Festhalle", bemerkte ein Zeitungsredakteur. Die Saarbrücker Zeitung veröffentlichte unter anderem im Vorfeld großformatig das Festprogramm. Am Sonntag startete ein Festkorso vom Schloss über die festlich geschmückte Alte Brücke zur Rennbahn.

Rennen mit Hochrädern

 Mit einem Brief warb die Allgemeine Radfahrer-Union beim Bürgermeister um Geld.

Mit einem Brief warb die Allgemeine Radfahrer-Union beim Bürgermeister um Geld.

Bis in den Abend gab es mehrere Rennen mit Hochrad, Niederrad und Tandem. Am Montag, dem dritten Kongresstag, unternahmen die Teilnehmer unter anderem einen Ausflug auf die Spicherer Höhen - 1895 jährte sich die dortige Schlacht zum 25. Mal. Und am Dienstag folgte ein Ausflug nach Metz und ein Abschlusskommers. Anders: "Der zehnte Kongress in Saarbrücken ging als großer Erfolg in die Annalen der Allgemeinen Radfahrer-Union ein."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort