Gräber zu pflegen, ist aus der Mode

Saarbrücken · Der Nutzungsberechtigte eines Grabes muss den Stein sichern oder entfernen, falls der nicht mehr fest steht. Aber die Stadtverwaltung kann die Nutzungsberechtigten von rund 5000 Gräbern nicht erreichen.

 Michael Gerstner vom Friedhofsamt am Grabstein des Malers Otto Lackenmacher. Foto: Becker&Bredel

Michael Gerstner vom Friedhofsamt am Grabstein des Malers Otto Lackenmacher. Foto: Becker&Bredel

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Wenn auf dem Friedhof jemand seine "letzte Ruhestätte" erwirbt, dann ist das dennoch kein Platz für die Ewigkeit. Die Friedhofssatzung regelt akribisch, welcher Grabtyp wie lange genutzt werden darf. Das normale Reihengrab gilt 20 Jahre, ein Familiengrab kann länger genutzt werden, dort werden dann auch mehrere Personen bestattet. Trotzdem enden irgendwann die Nutzungsrechte, und Gräber verschwinden wieder. In vielen Fällen fällt das den Nutzungsberechtigten nicht einmal auf, sagt Friedhofsleiter Stefan Ruloff vom Hauptfriedhof, der Hunderte verwaister und ungepflegter Grabstellen auf seinem Friedhof hat. "Auch die Zahl der Friedhofsgeher ist stark rückläufig", sagt er und zeichnet deutliche Veränderungen im Bestattungswesen auf. Die Urne sei heute im Trend, die Gräber werden kleiner, Urnenwände ersparen Familien die gärtnerische Pflege.

Es gibt aber auch Gräber , die trotz aller Satzungsfragen langfristig erhaltenswert sind. Dazu gehören einige wenige vom Denkmalschutz ausgesuchte Grabsteine - oft mit besonderer Handwerkskunst gefertigt (viele davon auf dem Alten Friedhof St. Johann aber auch auf dem Hauptfriedhof). Ewig stehen bleiben dürfen daneben nur die Gräber von ernannten Ehrenbürgern oder gefallenen Soldaten. Um diese Gräber kümmert sich die Stadt. Trotzdem gibt es prominente Verstorbene, die weder im Krieg gefallen noch Ehrenbürger sind. "So haben wir den Grabstein des Malers Otto Lackenmacher am Hauptweg zwischen Infopoint und Einsegnungshalle aufgestellt. Der Stein zeigt einen Frauentorso." Die Besonderheit: Von hinten bildet der Stein ein Gesäß. "Der musste früher mal so aufgestellt werden, dass man das nicht sieht", sagt Ruloff. Der Po widersprach den Gestaltungsregeln. Heute hat der Stein einen Ehrenplatz. Inoffiziell. Daneben der rote Hahn des Glaskünstlers und Architekten György Lehoczky. Auch er ist kein Ehrenbürger . Daneben das Grab eines Ornithologen, für dessen Erhalt sich der NABU einsetzte. "Wir haben weitere Gräber , bei denen die Frage auftauchen wird, ob man sie irgendwie erhält. Von Intendanten, Künstlern oder Alt-Ministerpräsidenten wie Franz-Josef Röder ", sagt Ruloff. Auch Röder ist kein Ehrenbürger . An der Allee zur Einsegnungshalle ist aber noch Platz. Infotafeln erläutern schon heute an den wenigen Nicht-Ehrenbürger-Ehrengräbern die Hintergründe zu Leben und Werk. 5000 herrenlose Gräber gibt es im Gebiet der Landeshauptstadt und die Verwaltung betreibt enormen Aufwand, um den Grabstellen ein Mindestmaß an Pflege zu widmen oder sie abzuräumen. Das sagt Michael Gerstner, der Abteilungsleiter Friedhofsunterhaltung bei der Stadt. Ein SZ-Leser-Reporter hatte zuvor die Frage aufgeworfen, was mit abgeräumten Grabsteinen geschieht, und vermutete, dass hier hochwertige Steine mit Gewinn verwertet werden. Das Gegenteil ist der Fall.

"Jeder Grabstein, der nicht mehr standsicher ist oder dessen Nutzungsfrist abgelaufen ist, muss vom Nutzungsberechtigten entfernt werden. Macht er das nicht, übernimmt die Stadt. Bei 5000 Gräbern können wir gar keine Nutzungsberechtigten mehr erreichen.

Die Steine werden mit einem Bagger abgebaut, in einen Container geladen und zu Schotter verarbeitet. "Demontage, Transport und Entsorgung müssen bezahlt werden", sagt Gerstner. Einen materiellen Wert hätten die alten Steine gar nicht. "Steinmetze kaufen ausschließlich neue Steine. Alte Steine neu zu bearbeiten, ist zu aufwändig", sagt Friedhofsleiter Stefan Ruloff vom Hauptfriedhof. Und dort machen die abgeräumten Gräber der Stadt nicht nur finanziell Sorgen. Seit 2016 lässt sich die Stadt das spätere Abräumen laut Satzung schon bei der Beantragung mit einer Gebühr bezahlen. Die Altlasten erfasst das nicht mehr.

Nächstes Problem: Abgeräumte Grabstellen hinterlassen Lücken. "Wir haben Grabfelder mit einst 100 Ruhestätten, da stehen noch zwei Gräber . Neu belegen können wir die Flächen wegen mangelnder Nachfrage nicht, wir müssen sie aber pflegen. Die Gärtner haben von Jahr zu Jahr mehr Arbeit.", so Gerstner. Ein Friedhof-Entwicklungsplan soll sich des Themas annehmen, zumal heute 80 Prozent der Verstorbenen gar nicht mehr körperlich beigesetzt würden. "Der Trend geht ganz eindeutig zur Aschebestattung", so Ruloff. Und selbst Grabsteine würden seltener gekauft.

Auf dem Friedhof sieht man Lücken, Gräber ohne irgendwas. Einige haben nur noch eine Holztafel, vielfach ist diese verrottet. "Man kann es an den Grabreihen ablesen, die Zahl der Steine sinkt, die Lücken werden mehr", zeigt Ruloff in ein Grabfeld. Hinten noch geschlossene Reihen, vorn die Löcher. Der Trend ist sichtbar. Welche Kosten durch die 5000 Gräber entstehen, ist noch nicht beziffert.

 Das Grab eines unbekannten Soldaten. Foto: Becker&Bredel

Das Grab eines unbekannten Soldaten. Foto: Becker&Bredel

Foto: Becker&Bredel

Steine einfach stehen zu lassen, ist keine Alternative. Irgendwann wackeln sie, und bei Gewichten bis zu 250 Kilo pro Stein ergeben sich Unfallrisiken. "Jedes Jahr werden durch umfallende Steine irgendwo in Deutschland Menschen verletzt. Ältere Menschen halten sich gern am Stein fest, wenn sie am Grab arbeiten und verletzten sich, wenn der Stein kippt. Dabei wird man nicht erschlagen, aber schwer verletzt. Im Extremfall wird man auch nicht gleich gefunden", sagt Ruloff.

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