Ein Schlag, ein Schrei und ich bin frei

Saarbrücken · Wing Tsun ist eine chinesische Kampfkunst zur Verteidigung. Wie sie sich damit wehren können, lernten Mädchen anlässlich des Frauenthemenmonats. SZ-Redaktionsmitglied Patricia Heine probierte es aus.

 SZ-Redaktionsmitglied Patricia Heine (links) übt mit Melanie Richter Selbstverteidigung. Foto: Oliver Dietze

SZ-Redaktionsmitglied Patricia Heine (links) übt mit Melanie Richter Selbstverteidigung. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

"Ich kann mich wehren. Ich habe die Kraft, zuzuhauen." Kaum größer als 1,60 Meter. Jung, weiblich, schlank. Lange Haare und manchmal ein Kleidchen an. Kein Wunder, dass ich mich verletzbar und wehrlos fühle, wenn ich im Dunkeln durch die Straßen laufe. Mit diesem Gefühl bin ich sicher nicht alleine. Aber Wing Tsun Trainerin Melanie Richter gibt mir und den anderen Teilnehmerinnen des Selbstverteidigungskurses an diesem Tag das Gefühl: Wenn ich alles rauslasse, schaffe ich es, mich zu wehren. Und noch eine sehr wichtige Botschaft geben Sonja Bader und Nicole Bastuck-Anton vom Frauennotruf mit auf den Weg: "Ihr seid nie schuld".

Der Samstag beginnt im gemütlichen Stuhlkreis. Wir beschnuppern uns, bauen ein bisschen Vertrauen zu den Teilnehmerinnen, den beiden Mitarbeiterinnen vom Frauennotruf und der Trainerin auf. Außer mir wollen vier 15-jährige Freundinnen lernen, wie sie abends sicher feiern können und sich im Ernstfall, zu wehren wissen. Im Laufe des Tages wird sich die eine oder andere von persönlich erlebten Geschichten befreien können, in dem sie in diesem geschützten Raum darüber sprechen kann.

Wir reden darüber, wie gefährlich Alkohol werden kann und wie schnell wir K.o.-Tropfen in unsere aus dem Auge gelassenen Gläser gemischt kriegen können.

Aber vor allem lernen wir eins: Sich verteidigen zu können, fängt im Kopf an. Denn der ist mächtig und kann über unseren Körper bestimmen.

Langsam geht es los. Wir hören auf unser Bauchgefühl und testen mit einem Partner, wie nah wir ihn auf uns zukommen lassen. Und dann wird es laut in den Trainingsräumen der Wing Tsun Schule am Homburg. Wir hauen, treten und schlagen - natürlich nur in das Schlagpolster. Aber auch das kostet mich am Anfang große Überwindung. "Wir sind eben Mädchen , dazu erzogen immer nett und höflich zu allen zu sein", sagt Trainerin Melanie Richter. Mit der Zeit werde ich aber mutiger, meine Schläge fester. Nur mit dem Schreien tun wir uns alle noch etwas schwer. "Lasst doch mal eure ganze Wut raus", fordert uns Nicole auf. Und plötzlich geht es. Wir schlagen und schreien ohne Hemmungen, alle zusammen, dann fällt es leichter.

"Ihr wirkt ganz anders als heute Morgen, viel selbstbewusster", sagt Nicole, als wir am Ende des Tages wieder im Stuhlkreis zusammenkommen. "Man denkt ja immer, einem selbst passiert so etwas nicht. Aber jetzt weiß ich zumindest, dass ich mich auch mit den Knien wehren kann", sagt Marie. Lea hat das Gefühl, dass sie sich in Zukunft sicherer fühlen wird, wenn sie mit ihren Freunden unterwegs ist. Und ich? Ich habe gelernt, mutiger zu sein. Mir und meinem Körper mehr zuzutrauen. Weil ich gespürt habe, dass ich die Kraft besitze, mich zu wehren.

Der Frauennotruf Saarland organisierte den Selbstverteidigungskurs im Rahmen des Frauenthemenmonats und in Zusammenarbeit mit dem Saarbrücker Frauenbüro. Der Frauenthemenmonat ging am Mittwoch zu Ende. Ziel war es dieses Jahr, vor allem junge Frauen anzusprechen. Denn die sind die Frauenkämpferinnen von morgen, sagt Petra Messinger, die kommunale Frauenbeauftragte. Aus diesem Grund waren auch viele junge Rednerinnen zu Gast. Darunter die Netzaktivistin Anne Wizorek oder die Poetry-Slammerin "Fee". Ihre Sprachkunst zum Thema Gleichberechtigung führte sie anlässlich des Jubiläums der FrauenGenderBibliothek vor. "Diese tolle Frau hat alle begeistert", sagt Messinger.

Mit zirka 160 Zuschauern war der Saal voll bis auf den letzten Platz. Insgesamt sei das Frauenbüro sehr zufrieden. Ein Wunsch bleibt noch offen. "Wir würden gerne mit unseren Veranstaltungen noch mehr Männer ansprechen", sagt Messinger. Schließlich gehe sie die Gleichberechtigung auch etwas an. Deshalb überlegt das Frauenbüro, den Namen des Frauenthemenmonats im nächsten Jahr etwas zu verändern.

Zum Thema:

In den letzten vier Jahren handelte es sich bei den Übergriffen auf Frauen in Saarbrücken hauptsächlich um Körperverletzungsdelikte. In mehr als der Hälfte der Fälle gingen die Taten vom Partner oder Ex-Partner aus. Insgesamt gab es 2014 in Saarbrücken 734 Fälle von Körperverletzung an Frauen. Am zweithäufigsten werden Frauen von Männern bedroht. Sexualstraftaten an Frauen gab es in Saarbrücken im letzten Jahr 47, teilt das Polizeipräsidium Saarland mit. Die Polizeiliche Kriminalprävention Saarland schätzt den Selbstverteidigungskurs. Dadurch würden Frauen aufmerksamer und selbstbewusster werden und könnten Gefahren besser einschätzen. hep

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