Rein ins Nischendasein

Saarbrücken · Die Stadt will am Osthafen Saarbrücken für den Tourismus noch attraktiver machen. Dort stößt sie jedoch auf den Widerstand der kreativen Szene. Verschwindet diese aus der Stadt, könnte das fatale Folgen haben.

Am Silo trinken die Saarbrücker ein Bierchen, die genau das Unkonventionelle an diesem Ort lieben. Foto: Becker&Bredel (2)

Am Silo trinken die Saarbrücker ein Bierchen, die genau das Unkonventionelle an diesem Ort lieben. Foto: Becker&Bredel (2)

Foto: Becker&Bredel (2)

Am Osthafen treffen zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite stehen die Veränderer. Das sind in erster Linie die Stadt und Befürworter des Großprojektes Stadtmitte am Fluss. Auf der anderen Seite stehen die Bewahrer. Sie wehren sich gegen größere Eingriffe in den gemeinsamen Lebensraum.

Stadtentwicklung ist ein komplexer Prozess. Er hat viel mit der Verteilung des sozialen Milieus zu tun, also mit den Gruppen Gleichgesinnter, die gemeinsame Werthaltungen und Mentalitäten haben und auch ihre Umwelt in ähnlicher Weise sehen und gestalten. Die Forschung kennt viele unterschiedliche Einordnungen. Da gibt es unter anderem die bürgerlichen, die traditionellen, die kreativen oder die prekären Milieus. Wer Stadtentwicklung betreibt muss schauen, dass diejenigen, die Geld in die Stadt bringen, hier auch bleiben, und dass diejenigen, die weniger haben, nicht verdrängt werden.

Eine Studie hat die Gesellschaftliche Zusammensetzung der Stadt untersucht. Zwei Milieus sind in Saarbrücken überdurchschnittlich ausgeprägt. 22 Prozent (Deutschland 13 Prozent) werden dem traditionellen Milieu zugeordnet, der "die Sicherheit und Ordnung liebenden Kriegs- und Nachkriegsgeneration ". Sie seien in der "alten kleinbürgerlichen Welt beziehungsweise in der traditionellen Arbeiterkultur verhaftet". Denen gegenüber stehen die Kreativen mit 20 Prozent (13 Prozent).

Spielplatz der Kreativen

Saarbrückens Stadtplanerin ist Rena Wandel-Hoefer. Sie weiß um die Bedeutung dieser kreativen Milieus für Saarbrücken : "Sie beeinflussen entscheidend das Lebensgefühl einer Stadtgesellschaft". Ihnen Freiräume zu geben, sei auch im Interesse der Stadt, sagt die Baudezernentin. Am Osthafen und Römerkastell ist eigentlich genau dieser Freiraum. In verlassenen Hallen, wie der ehemaligen Becolin-Fabrik, hat sich die Szene niedergelassen. Dort finden Partys statt, die überregional für Aufsehen sorgen. Das deutsch-französische Festival der Bühnenkunst "Perspectives" hat dort Spielstätten, und am Silo gibt es im sogenannten Silodom Veranstaltungen und Gastronomie. Auf Facebook haben die Bewahrer eine Gruppe gegründet, die sich "Saarbrücker Osthafen (soll bleiben wie er ist)" nennt. 1120 Mitglieder hat diese Gruppe. Hier wird unter anderem der geplante Fahrradweg durch den Biergarten kritisiert und die Bauarbeiten für die Ausweichflächen der Saar bei Hochwasser. Letztere seien, heißt es dort, nur dem Drescherhaus an der Berliner Promenade geschuldet, weil sie als Ausgleich dienen, damit einige wenige dort teure Wohnungen kaufen könnten. Das sei den Stadtoberen wichtiger, "als die vielen Menschen, denen am Osthafen ihr Rückzugsgebiet genommen wird".

Das klingt nach schnöder Kapitalismuskritik , ist aber das Statement einer Gruppe, die Stadtentwicklungsexperten für die Zukunft immens wichtig halten - die Kreativen. Saarbrücken zieht mit der Uni, der Hochschule der Bildenden Künste und Musikhochschule besonders viele Kreative an. Die schaffen jenes Umfeld, das für hochqualifizierte Arbeitskräfte ein Grund ist, hierherzukommen oder zu bleiben.

Szene als Wirtschaftsfaktor

Da spielt es auch keine Rolle, ob sie regelmäßig zu den Partys am Silo oder ins Staatstheater gehen. Sie brauchen das oft nur zum Wohlfühlen. Der Deutsche Städtetag hat das als Wirtschaftsfaktor erkannt: "Der Wandel von der industriellen zur Dienstleistungsproduktion in den Städten verlangt kreative Potenziale in allen Wirtschaftssektoren. Die Städte sollten kreative Milieus fördern und gute Rahmenbedingungen für das Zusammenwirken von Kultur und Wirtschaft schaffen. Dies dient der wirtschaftlichen wie auch der kulturellen Entwicklung in der Stadt."

Die SPD-Fraktion im Stadtrat verlangte letzte Woche von der Baudezernentin Rena Wandel-Hoefer ein Gesamtkonzept für den Osthafen. "Wir erwarten, dass das Gefummel um den Silo-Radweg zurückgestellt wird hinter die Planung des Gesamt-Areals", sagt Fraktionsvorsitzender Peter Bauer. Die angesprochene Baudezernentin entgegnet, es gebe eine Gesamtkonzeption, die der Stadtrat kenne. Ziel sei eine Aufwertung dort, wo das möglich sei. "Für den Osthafen gibt es einen rechtskräftigen Bebauungsplan, der ein Gewerbegebiet zulässt. Da kann der Stadtrat nicht einfach was ändern, weil er damit Rechte anderer beschneiden würde." Der Stadt gehören zudem dort nicht die Grundstücke. Die seien teils in Privatbesitz.

Und welche Rolle spielen die Kreativen dort? "Kreative suchen sich Nischen. Dort etabliert sich dann etwas, und dann wechseln sie wieder. Diese Dynamik macht urbanes Leben aus. Der Osthafen wird sich verändern", sagt Wandel-Hoefer. Und schiebt hinterher: " Er ist ein besonderer Ort. Dieses Besondere soll er behalten, aber nicht ohne Veränderung".

Meinung:

Eine Stadt im Wandel lebt

 Für Spaziergänger ein Idyll: der Osthafen. Foto: Oliver Dietze

Für Spaziergänger ein Idyll: der Osthafen. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze
 Bekannt über das Saarland hinaus: die Partys in der alten Becolin-Fabrik: Foto: Rich Serra

Bekannt über das Saarland hinaus: die Partys in der alten Becolin-Fabrik: Foto: Rich Serra

Foto: Rich Serra

Von SZ-RedakteurFabian Bosse

Saarbrücken und ich, das hat ein bisschen gedauert. Dabei war es gar nicht so dieses "französische Flair-Gefasel", was mich hielt, sondern dieses Gefühl, dass sich hier Dinge entwickeln und ich mitwachsen kann. Ich habe in Berlin, Beirut und Istanbul gelebt. In diesen Riesenstädten werden Trends gesetzt, und wer da mitkommen will, muss rennen. Meist hinterher. In Saarbrücken sind die Veränderungen erlebbarer, überschaubarer und nachhaltiger. Osthafen, Römerkastell, Mainzer Straße, Nauwieser Viertel. Originelle Restaurants, kleine Geschäfte und liebevolle Veranstaltungen. Ich fände es fatal, wenn diese Veränderungen aufhören würden. Wir brauchen Leute, die verlassene Orte zurückerobern und für alle beleben.

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