Diese Saarbrücker geben der EU noch eine Chance

Saarbrücken · Seit die meisten Briten für den Austritt aus der Europäischen Union stimmten, kommt auf dem Kontinent die Diskussion zur EU-Zukunft in Fahrt. Wir fragten Saarbrücker, wo sie Deutschland sehen. Fast alle sagen: in der EU. Aber sie wollen, dass die Politik mehr tut.

Die Volksabstimmung in Großbritannien und die dortige Mehrheit für den Ausstieg aus der Europäischen Union beflügelt auch die Debatten bei uns.

Auch Deutschland raus aus der EU? Der HTW-Student Björn Enderlein hält das für keine gute Idee. Er sitzt mit zwei Kommilitonen vor einer Bar am St. Johanner Markt und sagt, er würde auf keinen Fall für einen Austritt stimmen. "Innerhalb der EU hat man viel mehr Optionen", sagt der 24-jährige. Das ganze Fördergeld, das auch Deutschland von der EU erhalte, die offenen Grenzen und die Freizügigkeit in Europa seien schlicht viel zu wertvoll, um sie einfach so aufzugeben.

Ein Referendum, in dem das deutsche Volk über den Verbleib in der Europäischen Union entscheiden müsste, ist bisher nur ein Gedankenspiel. Doch in ganz Europa nimmt die Zahl der EU-Gegner zu. Einer aktuellen Studie zufolge sind 48 Prozent der deutschen Bevölkerung negativ gegenüber der Union eingestellt. Wie die Abstimmung in Großbritannien wieder zeigte, stehen gerade die Menschen unter 30 der EU eher positiv gegenüber.

Das trifft auf die beiden Kommilitonen von Björn Enderlein zu. Janusch Müller (23) und Çisem Örtekin (21) stimmen dem EU-Befürworter Enderlein eindeutig zu. Janusch sieht neben der Reisefreiheit besonders wirtschaftliche Gründe als die entscheidenden Faktoren dafür, warum er gegen einen Austritt aus der EU stimmen würde. "Deutschland ist eines der größten Exportländer weltweit", sagt er. Auch wenn nicht nur in die EU exportiert werde, sei ein erschwerter Handel nicht gut für die Deutschen. Zudem fürchtet er, dass die Qualität deutscher Waren leiden könnte, wenn EU-Normen wegfallen. Einige seiner Bekannten leben momentan in England; diese müssten nun möglicherweise bald ein Visum beantragen. So eine Situation wünsche er sich nicht für Deutschland.

Für Çisem hat die Ablehnung eines Austritts aus der EU ganz persönliche Gründe. Sie hat die doppelte Staatsbürgerschaft, besitzt sowohl einen deutschen als auch einen türkischen Pass. Die EU-Staatsbürgerschaft erleichtere ihre Reisen in die Türkei ungemein. "Wenn Verwandte aus der Türkei zu uns nach Deutschland kommen wollen, haben sie es schwer, ein Visum zu bekommen", sagt sie. "Wir in der EU hingegen buchen einfach einen Flug, und schon sind wir dort." "Ich bin zwar nicht so gut über das alles informiert, aber ich kann mir nicht vorstellen, was an einem Austritt positiv wäre."

Doch nicht nur Menschen unter 30 sehen in Saarbrücken einen EU-Austritt als kontraproduktiv an. Die 33-jährige Angelika Deve würde genauso mit einem klaren Nein gegen eine Abspaltung von der europäischen Gemeinschaft stimmen. Alles würde dadurch nur komplizierter. Wegen der dann erschwerten Kommunikation zwischen den Staaten könnte es noch einfacher zu Konflikten kommen. Vom Verlust der so lieb gewonnenen Reisefreiheit ganz zu schweigen.

Auch Romanus Degenhardt (72) würde sein Kreuz beim "Nein" setzen. Er sieht das Gemeinschaftsdenken, das die EU mit sich bringt, als sehr wichtig für Europa an. Dennoch denkt er, dass der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der EU wahrscheinlich nicht so schlimm wird. "Die Engländer waren sowieso schon immer etwas eigen, so wie unsere Bayern in Deutschland", sagt er.

Volker Oehle hingegen sieht eine solche Volksabstimmung differenzierter. "Im Moment würde ich keinen Austritt für Deutschland befürworten", sagt er, fügt jedoch hinzu: "Wenn aber die Politiker keine brauchbaren Lösungen für die EU finden, wird so etwas wohl über kurz oder lang kommen." Der Sinn der EU sei für viele Leute mittlerweile einfach verloren gegangen. Vor einem Verlust der Reisefreiheit fürchtet sich der 49-jährige allerdings nicht.

Er glaubt, dass auch im Falle eines Niedergangs der Europäischen Union sich neue Konstellationen in Europa herausbilden, die freie Grenzübergänge gewähren würden. Sicher ist er sich allerdings, dass es spannend bleibt.

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