„Über die Kondompflicht wird man im Milieu nur lachen“

Saarbrücken · Sie werden in einer Parallelgesellschaft gefangen gehalten und ausgebeutet: Vom Schicksal der Prostituierten in Deutschland hat Ex-Kripo-Ermittler Manfred Paulus am Donnerstag in Saarbrücken berichtet. Es ist eine Brandrede über das Versagen der Politik.

Das ist ein Schlag ins Gesicht der deutschen Politik . "Wenn das neue Prostitutionsgesetz der Bundesregierung nichts taugt - und vieles spricht dafür -, dann gnade uns Gott", sagt Manfred Paulus. Was der frühere Kriminalhauptkommissar aus Ulm am Donnerstagabend in der Alten Kirche in Saarbrücken berichtet, gibt den rund 100 Zuhörern schockierende Einblicke in das deutsche Rotlichtmilieu. "Prostitution und Menschenhandel lässt sich nicht trennen", sagt der 71-Jährige, der beruflich 25 Jahre lang gegen die Kriminalität im Gewerbe gekämpft hat und seit seiner Pensionierung in den "Rekrutierungsländern" für Prostituierte (vor allem in Osteuropa und auf dem Balkan) Aufklärungsarbeit leistet. Die Frauen würden in aller Regel bereits von Schleusern in die finanzielle Abhängigkeit gedrängt und dann in Deutschland zur Prostitution gezwungen. Freiwillig mache das keine Frau. "Unsere Gesellschaft geht da fahrlässig mit dem Begriff ,freiwillig' um."

Deutschland sei europaweit einer der "Hauptabnehmer von Frauen" aus diesen Ländern - und das ganz legal: "Der Sexhandel findet quasi unter staatlicher Aufsicht statt", so Paulus. Auch die von der großen Koalition in Berlin ausgehandelten Eckpunkte des neuen Prostitutionsgesetzes würden den Frauen nicht aus ihrer aussichtslosen Lage helfen. So seien etwa die Zeitintervalle der geplanten Anmeldepflicht für Prostituierte zu weitmaschig, sei die Erlaubnispflicht für Bordellbetreiber mit Strohmännern leicht zu umgehen - und "über die Kondompflicht wird man im Milieu nur lachen".

Der Gesetzgeber müsse endlich erkennen, dass das milliardenschwere Prostitutionsgeschäft nichts anderes als organisierte Kriminalität sei - und auch entsprechend bekämpft werden müsse. Beherrscht werde das Gewerbe hierzulande vor allem von der russischen Mafia und albanischen Clans, und die Frauen würden "in einer abgeschlossenen Parallelgesellschaft gefangen gehalten". Paulus: "Wenn man mit Betroffenen redet, ist man nicht mehr stolz auf Deutschland ."

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion interpretiert die CDU-Landtagsabgeordnete Ruth Meyer die Ausführungen des Ex-Kripo-Beamten als "Bankrotterklärung des Staates, an die ich aber nicht glauben will". Man müsse beharrlich gegen die Zustände im Gewerbe ankämpfen, sagt sie. Nur wie? Die Meinungen gehen bei der von der Hadassah-Initiative aus Petite-Rosselle veranstalteten Diskussionsrunde auseinander. Florence Humbert von der Frauenrechtsorganisation "terre des femmes" fordert ein Prostitutionsverbot. Paulus sieht darin allerdings keine Lösung. Vielmehr müsse die Einflussnahme von Zuhältern und Bordellbetreibern unter Strafe gestellt werden. Der Saarbrücker Frauenarzt German Dressen plädiert ebenfalls dafür, dass der Gesetzgeber "nicht die Prostituierten kriminalisiert, sondern die Zuhälter zur Rechenschaft zieht". Die Ex-Prostituierte Marie aus Stuttgart fordert ein Umdenken in der Gesellschaft, in deren Augen meist den Prostituierten ein Makel anhafte, "nicht aber den Freiern, die sie kaufen". Einig ist sich die Runde in einem Punkt: Die Zustände, unter denen Prostituierte in Deutschland leben und arbeiten, müssen an die Öffentlichkeit. Nur so entstehe der Druck für Veränderung.

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