Wenn die „Flemm“ zur Depression wird

Saarbrücken · Etwa jeder zehnte Saarländer ist depressiv. Am Sonntag wirbt das „Saarländische Bündnis gegen Depression“ mit einem Freundschaftslauf im Deutsch-Französischen Garten für einen fairen Umgang mit depressiven Menschen. SZ-Mitarbeiter Michi Jo Standl sprach mit dem Vorsitzenden Frank Lessel über die Krankheit.

 Depression kann Menschen aus allen Schichten treffen. Foto: Bonn-Meuser/dpa

Depression kann Menschen aus allen Schichten treffen. Foto: Bonn-Meuser/dpa

Foto: Bonn-Meuser/dpa

Rund ein Zehntel aller Saarländer ist depressiv. Bestimmte Ursachen, etwa Armut, gibt es nicht. Der Saarbrücker Werner L. (Name geändert) ist erfolgreicher Unternehmer. Sein mittelständischer Handwerksbetrieb läuft gut, so dass er inzwischen zwei Sportwagen besitzt. Doch die kostspieligen Autos haben ihm keine Freude bereitet, im Gegenteil: Der Unterhalt ist teuer, der Wertverlust hoch. Die Diagnose: Der 35-jährige ist depressiv. Wie kann jemand erkranken, der alles hat? "Vor Depression ist niemand geschützt", erklärt der Psychologe Frank Lessel, Vorsitzender des "Saarländischen Bündnisses gegen Depression". "Die Krankheit kann ausbrechen, wenn jemand keine Lösung für sein Problem sieht."

"Depression ist eine sozial gerechte Krankheit", erklärt Lessel. Sie trifft Arme wie Reiche. Bei Menschen aus verschiedenen Schichten spielt sie sich auf unterschiedlichen Ebenen ab. Eine alleinerziehende Mutter kann krank werden, weil sie nicht weiß, wovon sie ihr Kind ernähren soll, ein gutsituierter Mensch sogar etwa aufgrund einer Beförderung. Obwohl der Aufstieg einen höheren Status bedeutet, kann sie auch Hoffnungslosigkeit mit sich bringen. Nämlich dann, wenn man nicht weiß, ob man den neuen Aufgaben überhaupt gewachsen ist.

Depression kann tödlich enden

"Wenn der Saarländer ,die Flemm‘ hat, ist das noch keine Depression", erklärt Lessel. Das sei nur eine depressive Verstimmung. "Wenn das Gefühl aber länger andauert, sollte man zum Arzt gehen." Anzeichen sind auch innere Unruhe, Konzentrationsschwäche oder mangelndes Selbstwertgefühl. "Depressive Menschen öffnen zum Beispiel keine Briefe, nicht weil sie Angst vor etwa Mahnbescheiden haben, sondern aus Angst vor Zurückweisung", weiß der Psychologe. Wenn zum Beispiel ein Knöllchen-Bescheid über zehn Euro komme, ärgerten sich psychisch kranke Menschen nicht nur. Sie dächten vielmehr, dass sie zu unfähig zum Parken seien.

"Depression ist eine tödliche Krankheit", sagt Lessel. 2015 haben sich im Saarland laut dem Statistischen Landesamt 136 Menschen das Leben genommen: 112 Männer und 24 Frauen. Die Dunkelziffer liegt höher. Dass sich mehr Männer als Frauen dazu entscheiden, liegt daran, dass sich Frauen eher behandeln lassen. "Männer schämen sich oft, sich Hilfe zu suchen", so Lessel. Von Selbstmord will der Psychologe nicht sprechen: "Ein Mord setzt Heimtücke voraus." Auch Freitod sei unpassend. "Wenn sich jemand für Suizid entscheidet, macht er das keineswegs freiwillig. Er wird von der Hoffnungslosigkeit gezwungen." Im besten Fall diagnostiziert der Hausarzt eine Depression. Der nächste Schritt ist, sich an einen Experten zu wenden. Eine leichte bis mittelschwere Depression kann durchaus durch das Gespräch mit einem Psychotherapeuten geheilt werden. Erst bei einer schweren Depression verschreibt ein Psychiater Medikamente. Eine Möglichkeit ist auch, sich einer der elf saarändischen Selbsthilfegruppen anzuschließen. Informationen erhält man beim Bündnis gegen Depression unter www.depression-saarland.de .

Bewegung hilft

Bewegung wirkt sich positiv auf die Heilung aus. Der "Freundschaftslauf gegen Depression" , zu dem das Bündnis am Sonntag, 16. Oktober, im Deutsch-Französischen Garten in Saarbrücken einlädt, knüpft daran an. Willkommen sind Läufer genauso wie Spaziergänger mit Kinderwägen oder Hunden, auch Rollstuhlfahrer. Es gibt keinen Sieger. Jeder kann für sich kontrollieren, wie viel er in einer Stunde schafft. Auf die größte Gruppe wartet ein Pokal. Die Anmeldung ist ab zehn Uhr an der Konzertmuschel möglich, Beginn ist um elf Uhr.

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