Volksbegehren ohne Volk
Saarbrücken · 55 000 Saarländer müssen sich im Rathaus eintragen, damit ein Volksbegehren Erfolg hat – viel zu aufwändig, kritisiert die Opposition. CDU und SPD sehen das anders. Auch Staatsrechtler Christoph Gröpl meint: Diese Mühe muss man sich machen.
Seit 36 Jahren sind Volksbegehren im Saarland möglich - kein einziges war bislang erfolgreich. Das konnte auch die Linke mit ihrem Vorstoß, die Dispozinsen der Sparkassen zu begrenzen, nicht ändern. 1400 Unterschriften kamen zusammen - nötig wären rund 55 000 (sieben Prozent der Stimmberechtigten) gewesen. Die Opposition im Landtag kritisiert, dass sich die Menschen vor Ort in den Rathäusern eintragen müssen - "eine fast unüberwindliche Hürde für mehr Demokratie ", meint Linken-Chefin Astrid Schramm . Der Versuch, die Briefwahl oder ein Online-Verfahren wie in Hamburg durchzusetzen, scheiterte an den Stimmen der großen Koalition. Schramms Fazit: "Die Landesregierung misstraut den Menschen und will sie nicht bei der Durchsetzung ihrer Interessen teilhaben lassen."
Auch die Grünen setzen sich für eine Erleichterung des Verfahrens ein. Dies wäre auch ein "wichtiger Schritt, um der steigenden Politikverdrossenheit zu begegnen", erklärt der Abgeordnete Klaus Kessler . Die Piraten gehen noch weiter: Sie fordern, die Unterstützer-Quote von sieben auf fünf Prozent zu senken. In anderen Ländern habe man so für mehr Initiativen gesorgt und die Volksgesetzgebung gestärkt, sagt die Abgeordnete Jasmin Maurer . Eine Forderung, die auch Thomas Gretscher vom Verein "Mehr Demokratie Saarland" stellt: "Bei Wahlen wird es den Bürgern leicht gemacht, ihre Stimme abzugeben, auch per Briefwahl. Wenn sie zwischen den Wahlterminen einen politischen Gestaltungswunsch haben, werden sie von den Politikern nicht ernstgenommen."
Aus Sicht der CDU- und der SPD-Fraktion sind die Hürden keineswegs zu hoch. Sie verweisen auf die Verfassungsänderung 2013, bei der das Quorum von 20 auf sieben Prozent gesenkt wurde. Ein Brief- oder Onlineverfahren lehnen sie ab. "Die amtliche Sammlung gibt den Initiatoren Rechtssicherheit und schützt vor Manipulationen", begründet dies Tobias Hans , parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion. Auch Matthias Jöran Berntsen, Sprecher der SPD-Fraktion , erklärt: "Wir sind überzeugt, dass die Menschen für Anliegen, die ihnen wirklich wichtig sind, ihre Stimmen rechtssicher in den Rathäusern abgeben."
Eine "Mühe", die die Bürger auf sich nehmen müssen - davon ist der Saarbrücker Staatsrechtler Professor Christoph Gröpl überzeugt: Bei einer Eintragung per E-Mail, "womöglich mit dem Smartphone auf dem Nachhauseweg", bestünde die Gefahr, dass "unbedacht nach der Laune des Augenblicks" gehandelt werde. Auch von einer Senkung der Sieben-Prozent-Hürde hält er nichts: "Demokratie bedeutet eine Herrschaft der Mehrheit, nicht die Herrschaft interessierter Minderheiten." Zudem hätte es die Linke in der Hand gehabt, durch Mobilisierung aller ihrer Wähler das Volksbegehren zustandezubringen, sagt Gröpl. Bei der letzten Landtagswahl erzielte sie 16,1 Prozent der Stimmen.
Meinung:Die Hürden sind zu hoch
Von SZ-Redakteur Oliver Schwambach
Zum Wesen von Volksbegehren und anderen Instrumenten direkter Demokratie zählt auch, dass sich nicht genug Unterstützer finden lassen: Auch das ist dann Demokratie . Wenn aber selbst bei einer Fragestellung, die viele angeht, wie die Deckelung der maßlos überhöhten Dispozinsen, sich nicht genügend Unterschriften sammeln lassen, ist das ein starkes Indiz dafür, dass die Hürden für den direkten Zugriff des Bürgers auf die Politik zu hoch sind. Auch wirkt im Internet-Zeitalter, dass man allein im Rathaus seine Unterschrift für ein Volksbegehren leisten kann, von vorvorgestern; Bank-Überweisungen tätigt man schließlich auch längst online. Falls es Politiker also mit der direkteren Beteiligung des Bürgers ernst meinen, müssen sie auch die Wege dazu ebnen.
Meinung:Reflexartige Schuldzuweisung
Von SZ-Redakteur Johannes Schleuning
Aus dem Scheitern eines Volksbegehrens abzuleiten, dass die Hürden für die Abstimmung zu hoch waren, mag ein verständlicher Reflex der Enttäuschung sein. Schlüssig ist er nicht. Zumal: Wer sich ernsthaft an ruinösen Wucherzinsen stört, wird es wohl noch ins Rathaus schaffen, um eine Unterschrift zu leisten. Als im eiskalten Januar zur Demo gegen Saargida aufgerufen wurde, scheuten 9000 Menschen nicht den Weg auf den St. Johanner Markt . . .
Vielleicht wussten zu wenig Bürger von dem Volksbegehren . Vielleicht war das Thema für zu viele Menschen zu wenig drängend. Auch das sind mögliche Ursachen. Volksbegehren per Briefwahl oder übers Internet zu ermöglichen, wäre sinnvoll. Einen Automatismus für eine höhere Beteiligung garantiert das aber nicht.
Zum Thema:
Volksbegehren sind im Saarland erfolgreich, wenn mindestens sieben Prozent der Stimmberechtigten zustimmen (rund 55 000 Unterschriften). Bei Volksentscheiden müssen 25 Prozent zustimmen (rund 197 000). Das Volksbegehren ermöglicht es, einen Gesetzentwurf in den Landtag einzubringen. Reagiert dieser nicht darauf, kann ein Volksentscheid herbeigeführt werden. jos