Verein will mehr Volksentscheide

Saarbrücken · Ein kleiner Verein macht sich auf, die Demokratie im Saarland zu stärken. Die etwa 80 Mitglieder wollen, dass das Volk direkt über Gesetze abstimmt. Dafür wirbt der Verein und sucht den Dialog mit den Landtagsfraktionen.

 Im Saarland gab es seit 1997 nur 16 Volksbegehren und keinen einzigen Volksentscheid. Foto: Sauer/dpa

Im Saarland gab es seit 1997 nur 16 Volksbegehren und keinen einzigen Volksentscheid. Foto: Sauer/dpa

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Mehr Demokratie fürs Saarland? Wo fehlt es denn nach fünf Jahren großer Koalition? "Da gibt es schon noch ein paar Lücken", sagt Thomas Gretscher, 66, promovierter Vorsitzender des Landesverbands Saarland im Verein "Mehr Demokratie !". Der Saarbrücker, der vor seinem Ruhestand für V&B und die Christliche Erwachsenenbildung in Merzig arbeitete, bemängelt, dass die Gesetzgebung im Saar-Landtag nicht nach dem Willen des Volkes abläuft. "Nehmen wir doch nur einmal G 9/G 8", erklärt Gretscher mit Blick auf die Bestrebungen einer Volksinitiative, das 2000 unter Bildungsminister Jürgen Schreier (CDU ) gestartete Turbo-Abitur wieder abzuschaffen zugunsten eines Abiturs nach neun Jahren. "Da kommt nichts aus dem Parlament, das kommt aus dem Volk. Und das ist genau das, was wir wollen", betont Gretscher. Es gehe um politisches Engagement aus den Reihen der Bevölkerung. "Nicht nur alle fünf Jahre, wenn Wahlen sind, sondern auch zwischendurch", sagt Gretscher, der auch Redakteur der Zeitschrift der Patchwork Gilde Deutschland ist, die sich für das Textilkunsthandwerk stark macht.

"Es geht natürlich auch um eine Realisierung des Paragrafen 20 des Grundgesetzes", fügt sein Vize Robert Karge an. Der ebenfalls promovierte 71-jährige Ex-Hörspiel-Chef des SR bezieht sich darauf, dass "der Souverän, das Volk, durch Wahlen und Abstimmungen entscheidet". Doch die Saarländer seien im Vergleich zu Bürgern anderer Bundesländer durch die hiesige, Volksentscheide behindernde Gesetzgebung abgehängt, sagen Karge und Gretscher. "Das ist viel zu kompliziert und aufwendig. Die Bürger müssen lange Anfahrten in Kauf nehmen, um sich in den Rathäusern in die Listen einzutragen. Und das geht auch nur zu den Dienstzeiten der Ämter. Komplizierter geht es nicht", sagt Gretscher.

Ein Großteil der Bevölkerung beteilige sich nicht mehr an Wahlen. "Es besteht eine große Skepsis gegenüber den Parteien und der Politik", erklärt der aus Köln stammende Schnauzbartträger Karge. In den Bundesländern, in denen Bürger einfacher mit Volksentscheiden in die Gesetzgebung eingreifen könnten, wachse das Interesse an der Politik. Und die Politik sei dann stärker in der Verantwortung, sagt Karge und verweist auf Bayern, Hamburg und Thüringen. "In Bayern gab es neben der erfolgreichen Anti-Raucher-Initiative 5800 Bürgerbegehren", erläutert Karge. Im Saarland habe es im gleichen Zeitraum ab 1997 16 Volksbegehren gegeben und keinen Volksentscheid. "Wir sind dabei absolutes Schlusslicht", bedauert Karge.

Dabei war das Saarland einst bei zwei Volksabstimmungen im Zentrum des Interesses der Weltöffentlichkeit. 1935 stimmten mehr als 90 Prozent der Saarländer für den Anschluss an Hitler-Deutschland, 1955 zwei Drittel für den Anschluss an die Bundesrepublik. "Angesichts der Historie ist es umso erstaunlicher, dass das Saarland bei Volksentscheiden heute Schlusslicht ist" sagt Vereinschef Gretscher.

Ob denn die jüngsten negativen Volks-Voten über den Brexit in Großbritannien, das Nein zu Verfassungsreformen in Italien und das Ja der Schweizer Bevölkerung zur Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke die radikaldemokratische Vereinstruppe nicht ernüchtern? "Nein, die Brexit-Abstimmung wurde ja von Premier David Cameron und nicht vom Volk lanciert", betont Gretscher. Im Saarland wollen Gretscher, Karge und die übrigen "Mehr Demokratie !"-Verfechter unverdrossen kämpfen, damit das Volk zu seinem Recht kommt. CDU , Grüne und Piraten hätten signalisiert, dass sie zu Gesprächen mit ihnen bereit seien, so die beiden Vereins-Chefs.

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