„Ohne die Vergangenheit gibt es keine Zukunft“

Saarbrücken · Ein Mann, der die Schüler daran erinnert, dass Frieden nicht selbstverständlich ist. Stelltafeln, die die Geschichte gefallener Soldaten erzählen. Und die Witwe eines KZ-Überlebenden, die aus Erfahrung spricht. Nein, das war kein gewöhnlicher Tag an der Katharine-Weißgerber-Schule in Klarenthal.

 Werner Hillen, Vorsitzender des Volksbundes Deutsche Kriegsgräbervorsorge, und die Witwe des KZ-Überlebenden Alex Deutsch, Doris Deutsch, sprachen mit Klarenthaler Schülern über die Vergangenheit. Foto: Ebelshäuser

Werner Hillen, Vorsitzender des Volksbundes Deutsche Kriegsgräbervorsorge, und die Witwe des KZ-Überlebenden Alex Deutsch, Doris Deutsch, sprachen mit Klarenthaler Schülern über die Vergangenheit. Foto: Ebelshäuser

Foto: Ebelshäuser

"In was für einer Staatsform leben wir denn eigentlich hier?", fragt Werner Hillen. "In einer Demokratie ", schallt es aus dem Publikum. "Fühlt ihr euch denn wohl in der Demokratie ?", zeigt er fragend auf einen der Schüler . Verhalten antwortet der mit einem "Ja". Hillen ist Landesvorsitzender des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Ehrenamtlich besucht er Schulen, um jungen Menschen näherzubringen, was passieren kann, wenn eben diese Demokratie scheitert.

Heute ist er zu Gast an der Katharine-Weißgerber-Schule in Klarenthal. Gemeinsam mit seinen Schülern hat der ehemalige Schulleiter der Edith-Stein-Schule in Friedrichsthal vor ein paar Jahren eine Projektgruppe gegründet. Unter dem Motto der Schule "Leben ohne Gewalt, in Frieden und Freiheit" erforschten die jungen Schüler die Vergangenheit von gefallenen Soldaten aus dem Saarland und ihren Hinterbliebenen. Der Name des Projekts: "Spurensuche". Heraus kamen mehr als zwei Dutzend Stelltafeln, die Hillen als Wanderausstellung auf seinen Reisen durch die Schulen mitnimmt. Er will aufklären, zeigen, dass das Geschehene nie wieder so geschehen darf. "Deshalb ist es wichtig, die Vergangenheit zu kennen, denn ohne die Vergangenheit gibt es keine Zukunft", betont er.

Hillen erzählt den beiden Zehner-Klassen von einem Leben ohne Smartphone, ohne Computer, ohne Internet. Im Fernsehen gab es nur einen Sender, der Rundfunk streng kontrolliert. "Und der Koffer war immer gepackt!", ruft Doris Deutsch in die Runde. Die Witwe des KZ-Überlebenden Alex Deutsch ist mit zu Gast in der Schule. Nach ihrem Mann wurde 2001 eine Schule in Neunkirchen-Wellesweiler benannt, 2007 wurde ihm für seine Aufklärungsarbeit über den Holocaust das Bundesverdienstkreuz verliehen. Doch heute erzählt Doris Deutsch nicht von ihrem verstorbenen Ehemann, sondern von ihrer eigenen Vergangenheit und der ihrer Familie. Ihr Vater, Ernst Paul Kurz, ist 1944 in den Niederlanden gefallen. Auf den Stellwänden zeugen Schwarz-Weiß-Fotos und Feldpost-Briefe von seiner Geschichte . Sie berichtet von ihrer Kindheit unter dem NS-Regime mit Anekdoten des alltäglichen Lebens. Und davon, wie schwierig es sein konnte, überhaupt zu erfahren, ob ein Familienmitglied an der Front gefallen war. Ein Militärpfarrer habe die Familie von Doris Deutsch umgehend vom Tod des Vaters unterrichtet, doch von offizieller Stelle habe sie die traurige Nachricht erst im Jahr 1946 erfahren. Bis sie erfuhr, wo er beigesetzt wurde, war es 1985, wie ein Brief beweist.

Ihr ist es wichtig zu betonen, dass der Vater den Krieg nicht gewollt habe. In einem seiner Briefe wünscht er sich, "dass endlich mal Ruhe und Frieden unter die Menschheit käme. Man muss sich ja zu oft auch fragen, ob dies alles wirklich überhaupt noch etwas mit Menschlichkeit zu hat". Er sei nicht wie damals üblich formuliert "für Führer, Volk und Vaterland" gestorben. Auf seinen Tod sei in der Familie keiner stolz gewesen, nur in tiefer Trauer.

Zum Ende appelliert Hillen an die Schüler . Sie seien die Zukunft, sie sollten sich darüber informieren, wen sie wählen, um solche Schicksale zu verhindern. Und er zeigt, dass politische Bildung manchmal auch durch Abschreckung funktionieren kann. "Es ist schon erschreckend. Die Leute sind komplett einsam gestorben, das ist schon beängstigend.", sagt der 15-jährige Steven Zimmer, der die zehnte Klasse der Schule besucht. "Das Ganze macht einen schon nachdenklich. Es ist aber wirklich sehr schwer in dem Moment, in dem man wählen soll, zu wissen, ob diese eine Partei die Richtige ist für Deutschland." Dass die Entscheidung schwer sein kann, daraus macht Hillen keinen Hehl. "Die Demokratie gibt es nicht umsonst, die Demokratie muss man sich verdienen", sagt er.

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