„Neun Jahre Doris“ Seck

Saarbrücken · Die im letzten Jahr verstorbene Saarbrücker Journalistin Doris Seck konnte ihren letzten Lebensabschnitt nicht mehr eigenverantwortlich gehen. Was ihre Nichte als Betreuerin alles erlebte, hat sie in einem Buch aufgeschrieben. Am Donnerstag ist Präsentation.

Sollten fortgeschritten Demenzkranke an Parlamentswahlen teilnehmen dürfen? Die Saarbrücker Journalistin Doris Seck durfte. Im Pflegeheim, in dem sie seit vier Jahren versorgt wurde, stimmte sie bei der Landtagswahl 2009 für - "den Oskar natürlich, wie immer". So verriet sie es jedenfalls damals ihrer Nichte und engsten Vertrauten des letzten Lebensabschnittes. Diese Verwandte heißt Daniela Flemming und hat nun in einem Buch beschrieben, dass sie außer sich gewesen war. Nichts gegen Lafontaine, erläutert sie, aber der war nicht mehr der SPD-Mann, den die Tante schätzte, sondern inzwischen bei den Linken. Und von dieser Partei hatte die demente Doris Seck nie gehört. Doris Seck, Jahrgang 1923, konnte ab 2006 kein selbstbestimmtes Leben in ihrer großen Eigentumswohnung mehr führen. Nichts lag näher als ein Umzug in ein Wohnstift und ihr die Nichte Daniela Flemming, Jahrgang 1953, als amtlich bestellte Betreuerin zur Seite zu stellen. Die examinierte Altenpflegerin und Lehrerin für Pflegeberufe mit dem Schwerpunkt "Begleitung von Demenzkranken" galt als Idealbesetzung für das Ehrenamt - sie nahm die Aufgabe aus Pflichtgefühl an, obwohl sie in Göttingen und in der kalten Jahreshälfte auf den Kanaren lebt. Mindestens einmal im Quartal reiste sie zu der Tante, und was sie alles auf sich nahm (Behördenkontakte!) und erlebte, hat sie in der Erzählung "Neun Jahre Doris" aufgeschrieben.

In präziser Sprache beschreibt das Buch zum einen, wie Demenz "geht". Wer selbst mit einem solchen Kranken lebt, wird sich alle paar Seiten kopfnickend wiederfinden: Heute scheint dieser Mensch in bewundernswerter innerer Ruhe "unendlich überlegen. Da, wo die Tante jetzt ist, da muss ich erst hinkommen", heißt es an einer Stelle. Und beim nächsten Treffen ist aus dem liebenswerten Menschen ein schwer erträgliches "Rumpelstilzchen" geworden.

Daniela Flemming erzählt viele Kleinigkeiten aus dem Alltag der immer schwächer werdenden Tante, belässt ihr aber stets ihr freundliches Gesicht und ihre damenhafte Würde. Wer Doris Seck kannte, wird sie auch in diesem Buch sympathisch finden.

Zweitens ist das Werk so interessant, weil die Betreuerin ihre Arbeit nicht nur schildert, sondern selbstkritisch analysiert. Die Autorin ist bemerkenswert uneitel, demütig und nicht nachtragend. Drittens schließlich reflektiert sie, was andere Menschen über die Tante und ihre Betreuerin sagen und denken mögen - eine spannende Dimension, die auch mal ins Komische gerät. Etwa wenn ein Psychologe den Demenz-Befund unter anderem damit begründete, dass Doris Seck auf einem Foto einen Biber nicht erkannt habe. Dazu Flemming: "Meine Tante hat noch nie einen Biber erkannt...sie weiß alles über Politik, Gesellschaft, Geschichte, Geografie, Wirtschaft. Aber Tiere und Pflanzen kennt sie nicht." Dennoch war der Befund natürlich richtig.

Was kann man lernen? Zwei Dinge sind der Autorin wichtig: Wer eine Betreuung übernimmt, sollte sich der gewaltigen Herausforderung bewusst sein und sich auf Enttäuschungen gefasst machen. Niemand sollte Dankbarkeit erwarten. Wer älter wird, sollte seine Angelegenheiten und Sachen geordnet haben und nicht alles den Verwandten überlassen.

Daniela Flemming liest am Donnerstag, 13. Oktober, 18.30 Uhr, bei der Unionstiftung in Saarbrücken , Steinstraße, aus ihren Buch "Neun Jahre Doris", Conte Verlag 2016.

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Zur Person Doris Seck, geboren am 14. Juli 1923, schrieb als 17-Jährige ihren ersten Artikel für die Saarbrücker Zeitung und blieb ihr, mit dem Kürzel "ds", bis ins hohe Alter als Chronistin des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens erhalten. Ihre Veröffentlichungen zur Nachkriegsgeschichte gelten als Standardliteratur. Die zierliche, stets adrett und freundlich auftretende Journalistin liebte das Vereinsleben, speziell den Karneval. Sie starb am 10. Februar 2015 in einem Pflegeheim bei Göttingen im Alter von 91 Jahren. wp

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