„Wir können es nicht stemmen“

Saarbrücken · Die Aufnahme von Flüchtlingen belastet die Kommunen zunehmend. Der Präsident des Städte- und Gemeindetages, der Völklinger OB Klaus Lorig (CDU), ruft im Gespräch mit SZ-Redakteur Daniel Kirch um Hilfe.

Herr Lorig, im Juni haben Sie mit Innenminister Klaus Bouillon auf den Abschluss des Kommunalpaktes angestoßen. Ist das Abkommen angesichts der Belastungen durch den Flüchtlingszustrom noch haltbar?

Lorig: Wenn es darum geht, dass die Kommunalaufsicht jetzt schärfer kontrolliert, muss sie in diesem Punkt ein großes Herz haben. Denn es wird zu weiteren Belastungen kommen, die wir nicht tragen können. Der Innenminister hat angedeutet, dass uns die zusätzlichen Ausgaben im Hinblick auf die Schuldenbremse nicht angerechnet werden. Das ist das Mindeste.

Was bedeuten diese zusätzlichen Ausgaben für das im Kommunalpakt fixierte Ziel, die kommunalen Haushalte im Saarland bis 2024 auszugleichen und damit die strukturelle Haushaltslücke von 160 Millionen Euro auf null zu senken?

Lorig: Wir waren schon immer skeptisch, ob wir 2024 die Nullverschuldung erreichen. Wenn sich die Flüchtlingsdramatik so weiterentwickelt und wir keine schnelle und dauerhafte Hilfe bekommen, werden wir es erst recht nicht schaffen.

Wie trifft der Flüchtlingsstrom die Kommunen finanziell?

Lorig: Wir können Gelder des Landes abrufen, um Wohnraum zu sanieren - aber wir kriegen nicht immer 100 Prozent. Wir brauchen auch Leute, die dafür sorgen, dass die Wohnungen hergerichtet werden, dass Möbel da sind. In Völklingen legen wir einen ganzen Fachdienst lahm, der sich nur noch um Flüchtlinge kümmert. Hinzu kommen noch Sachkosten.

Sollte im Angesicht der neuen Entwicklung die Schuldenbremse gelockert werden?

Lorig: Wenn wir schon keine liquiden Mittel bekommen, muss es wenigstens so sein, dass die zusätzlichen Ausgaben bei der Schuldenbremse nicht angerechnet werden. Das wäre ja eine Lockerung der Schuldenbremse . Wir können es einfach nicht stemmen, wenn wir stur sagen, aus rein finanztechnokratischen Gründen bleiben wir bei der Schuldenbremse , weil wir das mal für richtig erkannt haben. Das gilt für den Bund gegenüber den Ländern genauso wie für die Länder im Verhältnis zu den Kommunen.

Die Landesregierung wird den Kommunen bis Jahresende 5000 weitere Flüchtlinge zuweisen. Schaffen die Kommunen es überhaupt, diese menschenwürdig unterzubringen?

Lorig: Es gibt Kommunen, die ausschließlich auf Hilfe von Privaten angewiesen sind. Da wird es verdammt schwer. Wir haben bei uns das Glück, dass wir mit zwei Wohnungsbau-Gesellschaften in Völklingen arbeiten. In anderen Kommunen besteht die Gefahr, dass man auf große Räumlichkeiten wie Turnhallen zurückgreifen muss. Ich weiß nicht, ob die Kommunen schnell genug in der Lage sind, angemessen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, da wage ich bei der Geschwindigkeit, mit der uns Leute zugeteilt werden, keine Prognose.

Innenminister Klaus Bouillon hat kritisiert, dass zwölf der 52 Kommunen nicht genügend Wohnraum schaffen.

Lorig: Ich kann das nicht beurteilen. Größere Kommunen haben es da leichter. Es kann sein, dass die eine oder andere Kommune Probleme hat, den Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Wenn sie keinen hat, muss sie auf privaten zurückgreifen. Dann müsste sie ein Haus kau fen und sanieren, was unter Umständen zu großen Mehrbelastungen führt. Aber es führt angesichts der Herausforderungen kein Weg daran vorbei, dass alle Kommunen hier mitziehen müssen, um die Probleme gemeinsam mit dem Land zu bewältigen. Nächste Woche haben wir eine Präsidiumssitzung, dann werden wir darüber diskutieren.
Debatte um Amtshilfe der Bundeswehr

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Petry glaubt, dass die Bundeswehr sehr wohl genü- gend Personal für medizinische Flüchtlingshilfe in Lebach hätte. Andernorts helfen Bundeswehr- Ärzte bereits bei der Versorgung.

Von SZ-Redakteur Daniel Kirch

Lebach. Nach Innenminister Klaus Bouillon (CDU ) hat am Wochenende auch der Illinger SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Petry die Entscheidung der Bundeswehr kritisiert, keine Soldaten zur medizinischen Versorgung der Flüchtlinge im Aufnahmelager Lebach abzustellen. Die Bundeswehr sei zwar im Ausland stark eingespannt, teilte Petry mit. "Trotzdem dürfte es mit den im Saarland vorhandenen Kapazitäten möglich sein, speziell im medizinischen Bereich, die ehrenamtlichen Helfer im Aufnahmezentrum zu entlasten", so Petry. Petry dürfte dabei an die Luftlandesanitätskompanie in Merzig gedacht haben, auf deren Unterstützung auch Bouillon gehofft hatte.

Petry erklärte weiter, er habe Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU ) vor zwei Wochen schriftlich um Unterstützung der Bundeswehr in Lebach gebeten. Dass er aus den Medien von der Ablehnung erfahren musste, sei "vorsichtig ausgedrückt, unüblich".

Die Bundeswehr hatte den Antrag des Landes, Sanitätssoldaten in die Landesaufnahmestelle nach Lebach zu schicken, wegen "mangelnder personeller Ressourcen" abgelehnt (die SZ berichtete). Innenminister Bouillon hatte dies mit scharfen Worten kritisiert ("Wozu haben wir denn die Bundeswehr ?"), was auch in Berlin registriert wurde, in den Streitkräften jedoch für Irritationen sorgte.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums betonte, dass "jeder Einzelfall nach dem Prinzip der maximalen Kulanz" geprüft werde. In Hamburg helfe ein Ärzteteam der Bundeswehr derzeit beispielsweise bei der medizinischen Versorgung der Flüchtlinge in einer Erstaufnahme-Einrichtung.

Bundesweit gibt es bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen nach offiziellen Angaben derzeit 41 Amtshilfe-Ersuchen an die Bundeswehr . Diese betreffen neben medizinischer Versorgung auch den Aufbau von Zelten oder die Unterbringung von Flüchtlingen in Kasernen. Im Saarland hatte die Bundeswehr 200 Betten geliefert und Unterstützung bei der Verpflegung zugesagt. Inzwischen ist damit jedoch ein privates Catering-Unternehmen beauftragt worden.

Zum Thema:

Für das Land und seine Kommunen gilt eine Schuldenbremse . Das Land muss sein strukturelles Defizit, das 2010 bei 1,25 Milliarden Euro lag und bis 2014 auf rund 600 Millionen sank, bis zum Jahr 2020 auf null zurückführen. Dies wird vom Stabilitätsrat in Berlin überwacht. Die Kommunen müssen ihre von einem Gutachter ermittelte Haushaltslücke von 160 Millionen Euro bis zum Jahr 2024 auf null senken. Überwacht wird dies von der Kommunalaufsicht. kir

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort