Hilfe nach dem Kollaps im Klassenzimmer

Saarbrücken · Fast jeder dritte saarländische Lehrer muss den Schuldienst wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig verlassen. Lehrerverbände möchten diesen Zustand ändern und blicken neidisch ins Nachbarland Rheinland-Pfalz.

Die Zeit nach den Sommerferien kann für Lehrer besonders stressig sein. Sie müssen Stundenpläne erstellen, viele Fragen beantworten und neue Schüler kennenlernen. Als einmal in der zweiten Woche der komplette Plan verworfen werden musste, wurde es für einen Lehrer an einem Gymnasium im Regionalverband Saarbrücken zu viel. Trotz jahrzehntelanger Berufserfahrung erlitt er im Lehrerzimmer einen Nervenzusammenbruch. Er wurde von Rettungssanitätern in die psychiatrische Notaufnahme gebracht. "Da gehörte er nicht hin", sagt der Vorsitzende des Saarländischen Philologenverbands (SPhV), Marcus Hahn, über den Vorfall. "Gibt es in einem Chemiewerk einen Unfall, ruft man auch einen speziellen Notdienst an." Einen solche Institution für Lehrergesundheit fordern Lehrerverbände im Saarland seit Jahren. "Wir brauchen keine Einzelfallmaßnahmen, sondern ein Gesamtkonzept", sagt Hahn. So wünscht sich der SPhV eine Stabsstelle mit einem spezialisierten Team, das man in Krisenfällen anrufen könne.

Der zusammengebrochene Lehrer kehrte nie wieder in den Schuldienst zurück. Insgesamt gingen im Saarland 2012 laut Statistischem Bundesamt 30,2 Prozent wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand . Bundesweit waren es 15,2 Prozent. Das Saar-Bildungsministerium hatte diese Zahlen kritisiert und vorgerechnet, dass 58,7 Prozent dieser Lehrer bereits das 63. Lebensjahr vollendet hätten und in diesem Alter ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit in Pension gehen können - allerdings mit Abschlägen. Ohne diese Personengruppe liege die Dienstunfähigkeits-Quote im Saarland bei 12,3 Prozent.

Laut Hahn gehen hingegen "weit mehr als die Hälfte aller saarländischen Lehrer aller Schulformen" vorzeitig in den Ruhestand - neben Dienstunfähigkeit schieden viele wegen einer Schwerbehinderung, die sehr häufig psychische Ursachen habe, vorzeitig aus. Dies habe gravierende Folgen für die Unterrichtsqualität: "Wer nicht fit ist, hat Schwierigkeiten, Unterricht zu halten", so Hahn. Es komme zu einem hohen Vertretungsaufwand für die Kollegen oder gar zu Unterrichtsausfall. Hinzu kämen finanzielle Auswirkungen: "Für dienstunfähige Lehrer muss Ersatz besorgt werden, also doppelt bezahlt werden." Alle Verantwortlichen - also Ministerium, Gewerkschaften, Personalvertreter und geeignete Partner - müssten gemeinsam Module für die Prävention und den Akutfall entwickeln. "Ein Modul könnte ein berufliches Wiedereingliederungsmanagement sein, wenn Kollegen nach längerer Krankheit wieder zurück in den Beruf wollen", so Hahn. Das Thema Gesundheit müsse auch in die Lehrerbildung hinein. Auch die Vorsitzende des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (SLLV), Lisa Brausch, sieht Handlungsbedarf: "Kollegen kriegen nicht die Kurve von Belastung zu Entlastung. Sie haben auch zuhause das Gefühl, nie fertig zu sein." Durch den Ruhestand mit 67 werde sich das Problem verschärfen, glaubt sie.

Ein wenig neidisch blicken die Saar-Lehrerverbände nach Rheinland-Pfalz, wo 2001 das Projekt Lehrergesundheit bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Trier ins Leben gerufen wurde und seit 2011 das Institut für Lehrergesundheit an der Mainzer Uniklinik existiert. Seitdem sinken die Anträge auf vorzeitigen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit, teilt das rheinland-pfälzische Bildungsministerium mit. Seien 1999 rund 1000 Lehrer deswegen vorzeitig in Pension gegangen, liege die Zahl seit einigen Jahren gleichbleibend niedrig bei etwa 100 bis 150 pro Jahr. Eine Quote von acht Prozent - der bundesweit niedrigste Wert.

Ein solches Zentrum muss unabhängig vom Dienstherrn sein, findet Brausch: "Es muss sichergestellt sein, dass es nicht den Auftrag hat, Zahlen zu beschönigen." So ein Institut sei im Saarland derzeit nicht geplant, teilt das Saar-Bildungsministerium mit. Doch Ziel sei es, die Gesundheitsvorsorge zu stärken und vor allem ein betriebliches Gesundheits- und Eingliederungsmanagement für Lehrer einzuführen. Es gebe interne Beratungen, die sich im Anfangsstadium befänden.

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Hintergrund
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Saarland hat ihre Mitglieder - neben Lehrern auch pädagogisches Personal wie Erzieherinnen und Sozialarbeiter - zu ihren Arbeitsbedingungen befragt und die Ergebnisse im Juni 2014 vorgestellt. 44 Prozent der Teilnehmer gaben an, ihr Gesundheitszustand sei gut oder sehr gut. Mehr als ein Drittel berichtete über Erschöpfungssymptome wie Müdigkeit, innere Unruhe oder Schlafstörungen. Ebenfalls ein Drittel war skeptisch, ob sie bis zur Regelarbeitsgrenze arbeiten könnten. Frauen, besonders in erzieherischen Berufen, fühlen sich besonders belastet. Die Fähigkeit, Arbeit und Privatleben zu trennen, trage maßgeblich zur Gesundheitserhaltung bei und müsse gefördert werden so die GEW. ukl

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