Belästigung aus dem Zellenfenster

Saarbrücken · Beleidigungen der übelsten Sorte bekommen Nachbarn des Gefängnisses von Häftlingen zu hören. Sie glauben, ein Sichtschutz könne Abhilfe schaffen. Der Justizminister sieht indes keinen Grund zum Handeln.

 Blick vom Balkon eines Anwohners auf einen Gebäudetrakt der JVA Lerchesflur. Foto: Klostermann

Blick vom Balkon eines Anwohners auf einen Gebäudetrakt der JVA Lerchesflur. Foto: Klostermann

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Es sind Straftäter, die schwere Verbrechen begangen haben und diese nun im Saarbrücker Gefängnis mit Freiheitsentzug büßen müssen: Sexuelle Gewalt, Raub oder Tötungstaten haben die Männer auf dem Kerbholz, die da im Haftgebäude IV einsitzen. Sie blicken aus ihren Zellen frontal auf die Häuser entlang der Stieringer Straße, sehen die Anwohner, die dort in Freiheit ihren Beschäftigungen nachgehen. "Ich traue mich kaum noch auf unseren Balkon ", sagt Anwohnerin Inka Bünting, 71 (Name von der Redaktion geändert).

Denn aus den Zellen der Straftäter schallen Rufe herüber, die mit sexuellen Beleidigungen schlimmster Sorte gespickt sind. "Komm her, du alte F . . .", zitiert ihr Ehemann Karl Bünting, 72, einen dieser Rufe, die dazu führen, dass es den Anwohnern reicht. "So ab nachmittags 17 Uhr geht das richtig los", erklärt Rentner Bünting. Etwa 100 Anwohnerinnen und Anwohner seien von den beleidigenden Rufen der Zelleninsassen betroffen. "Als wir vor 40 Jahren hier eingezogen sind, war das Gefängnis noch weit entfernt", sagt Karl Bünting und weist über die leuchtend blühenden Geranien an der Balkonbrüstung hinweg auf die modernen Zellengebäude, die nur etwa 30 Meter entfernt liegen.

Und nicht nur die Schmährufe der hinter Gittern und Lochblechen verborgenen Gefangenen ärgern die Anwohner, sagt Bünting. Es schalle häufig auch laute Rap-Musik herüber, was die Abendstimmung sinken lasse. "Doch die Polizei habe ich wegen des ruhestörenden Lärms noch nicht gerufen. Die schreiten doch da sicher nicht ein, oder?", meint Karl Bünting.

Bei Landesjustizminister Reinhold Jost (SPD ) haben die Büntings und die zuständige Hausverwaltungsgesellschaft sich bereits beschwert und um Hilfe gebeten. Den Büntings erscheint das sogar so bedrohlich, dass sie ihre wahren Namen lieber nicht in der SZ lesen wollen. Sie fürchten, dass die Zelleninsassen womöglich einmal bei ihnen anklopfen könnten, wenn diese eines Tages wieder in Freiheit sind. Denn die Anwohner der Stieringer Straße fordern einen besseren Sichtschutz, der den Gefangenen den Blick auf die freien Menschen draußen nehmen soll. Wenn keine Sicht auf die Frauen der Nachbarschaft mehr möglich ist, gibt es auch keine Belästigungen mehr, lautet die Formel der Betroffenen.

Minister Jost bestätigt der SZ auf Anfrage, dass sich von Mai bis August 2016 zahlreiche Anwohner über Lärmbelästigungen beschwert hätten. "Ganz überwiegend gingen diese jedoch vom Untersuchungshaftgebäude aus", betont Jost, also einem Lerchesflur-Hafthaus, das nicht in unmittelbarer Nähe der Büntings liegt. "Bezüglich des Untersuchungshaftgebäudes ist die Lärmbelastung von Anwohnern auch größer als bezüglich des Neubaus des Hafthauses IV", räumt der Minister ein. Denn in dem U-Haft-Gebäude aus den 70er Jahren seien noch "großflügelige Fenster" verbaut.

Bei dem Neubau des Hafthauses IV wurde auf den Sicht- und Lärmschutz für die Anwohner besonders Wert gelegt. Die Fenster des Neubaus seien jedoch so konstruiert, dass sich nur noch ein Drittel des Fensters öffnen lasse, welches dann auch noch mit einem Lochblech versehen sei. "Hierdurch konnten die Lärmimmissionen von Gefangenen im Vergleich zu einem normalen Haftraumfenster deutlich reduziert werden", sagt Jost. Zudem seien an allen Zellenfenstern, aus denen über die Anstaltsmauer gesehen werden kann, Sichtschutzwände hin zur Stieringer Straße angebracht worden. "Baulicherseits" ist also laut Jost alles prima. Zwar sei von seinen Beamten festgestellt worden, dass Häftlinge vom Freistundenhof vereinzelt zu Anwohnern auf den Balkonen heraufriefen. Doch ein Sichtschutz auf der Mauerkrone sei nicht möglich, da die Überwachungskameras dadurch in ihrer Funktion beeinträchtigt würden. Von einer angeblichen Bedrohungslage könne keine Rede sein, betont Jost.

Doch das Ehepaar Bünting hofft weiterhin, dass sich der Minister die Lage mal selbst anschaut. "Ich habe den Eindruck, dass unsere Situation nicht richtig erkannt wird, weil vom Schreibtisch aus entschieden wird", erklärt Karl Bünting, der selbst jahrzehntelang als Personalchef in einem Betrieb der Öffentlichen Hand tätig war. Beim Ortstermin auf dem Balkon kann Jost auch mit einem Ostfriesentee rechnen, den die Büntings dort gern trinken.

Wenn nicht wieder der Ruf herübertönt: "He, Du Schlampe . . ."

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