In Saarbrücken gehört die Frau noch an den Herd

Saarbrücken · Es hakt im Regionalverband gewaltig bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mehr als die Hälfte der Frauen arbeitet entweder gar nicht und wenn, dann nur Teilzeit. Männer pflegen indes ihr altes Rollenbild.

 Die tägliche Zerreißprobe zwischen Job und Familie ist Frauensache: 70 Prozent der Frauen in der Arbeitswelt arbeiten in Teilzeit. Männer verkürzen nur in sechs Prozent der Fälle. Symbolfoto: Patrick Pleul/dpa

Die tägliche Zerreißprobe zwischen Job und Familie ist Frauensache: 70 Prozent der Frauen in der Arbeitswelt arbeiten in Teilzeit. Männer verkürzen nur in sechs Prozent der Fälle. Symbolfoto: Patrick Pleul/dpa

Eigentlich haben Frauen Männern immer etwas voraus: Sie haben eine höhere Lebenserwartung, sind gesünder und weniger übergewichtig. Sie machen häufiger Abitur und studieren öfter als Männer . Die Welt steht jedoch Kopf, wenn die Frauen in die Arbeitswelt eintreten. Lediglich 45,2 Prozent der weiblichen Bevölkerung im Regionalverband zwischen 18 und 64 Jahren sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, hat die Bertelsmann-Stiftung in einer Studie ermittelt. Heißt: Mehr als die Hälfte der Frauen bleibt zuhause und kümmert sich um Heim und Kinder. Das Saarland und besonders der Regionalverband sind bundesweites Schlusslicht, der Durchschnitt liegt bei 51,8 Prozent.

Schlechte Betreuungsangebote

Eine, die sich genau mit diesen Problemen beschäftigt, ist Ute Knerr. Sie arbeitet in der Servicestelle Arbeit und Leben in der Standort-Agentur Saaris in Saarbrücken . Die Servicestelle berät Unternehmen bei Fragen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und sie vergibt ein Gütesiegel für Arbeitgeber , die es besonders gut machen.

Für Ute Knerr waren diese Zahlen nicht überraschend: "Das traditionelle Bild einer Familie, in der der Mann arbeitet und für den Lebensunterhalt aufkommt und die Frau sich um Haus und Kinder kümmert, ist im Saarland besonders lange gepflegt worden. Das hat was mit der Bergbau- und Stahlvergangenheit zu tun. Frauen waren in diesen Berufen selten. Das führte dazu, dass viele Frauen von damals auch heute noch keinen Beruf gefunden haben", sagt Ute Knerr. Das könne aber aus ihrer Sicht nicht als Ausrede verwendet werden.

Der Hauptgrund für das schlechte Abschneiden des Saarlandes und vor allem des Wirtschaftsstandortes Regionalverband sei immer noch ein anderer: die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Männer meiden die Teilzeit

Die hat zwei Komponenten: Zum einen stehen Betreuungsangebote immer noch im Widerspruch zur Arbeitsrealität, zum anderen haben viele Arbeitgeber immer noch nicht verstanden, dass sie flexiblere Arbeitsmodelle für alle anbieten müssen, um qualifizierte Arbeitnehmer mit Kindern in ihren Firmen zu halten oder überhaupt erst zu bekommen.

"Bei den Betreuungsangeboten gibt es Luft nach oben. Gerade wenn es um Krippenplätze geht, höre ich immer noch, dass die Flexibilität fehlt", sagt die Arbeitsmarktexpertin. In der Tat schließen viele Kindergärten und Krippen in Saarbrücken bereits um 17 Uhr. "Warum gibt es nicht mehr Einrichtungen, die Zeiten auch von 6 bis 22 Uhr anbieten?", fragt Knerr. Auch müssten Ferien besser abgedeckt werden. "Für Berufspendler müsste es zudem normal sein, dass sie eine Kita am Arbeitsort bekommen können."

Bei Krippen sieht es, so zeigen es Zahlen des Regionalverbandes, noch mau aus, obwohl hier viele neue Betreuungsplätze geschaffen wurden. 4083 Kinder gab es 2014 unter drei Jahren. Im September 2015 gab es jedoch lediglich 1180 Krippenplätze . Also gibt es für 29 Prozent der Kinder unter drei Jahren einen Krippenplatz. Bundesweit gelten als Richtwert 35 Prozent. Ein Maß könnte die derzeitige Auslastung sein. Die liegt bei 95 Prozent, Bedarf besteht also. Zum Vergleich: In den neuen Bundesländern liegt die Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren bei 52 Prozent.

Bleibt noch der hohe Teilzeitanteil von Frauen. Das habe, laut Ute Knerr, zwei Gründe: "Es gilt immer noch sehr stark das Modell des Mannes als Ernährer der Familie, viele Männer verdienen einfach mehr als ihre Frauen. Aber ein Mann scheut sich auch schon mal vor den Sprüchen, die kommen, wenn man sich mehr auf Familienaufgaben konzentriert. Auch ist noch nicht jeder Vorgesetzte offen für neue Wege, macht es den Männern schwer oder droht gar mit Karriereknick."

Vielleicht ist das auch der Grund, warum nur sechs Prozent der Männer im Regionalverband in Teilzeit arbeiten. Bei der Stadt als Arbeitgeber sieht es nicht viel anders aus. Obwohl es hier entsprechende Modelle gibt - es arbeiten hier 40,1 Prozent der Frauen in Teilzeit - verkürzen nur 8,4 Prozent der Männer ihre Arbeitszeit .

Für Ute Knerr wäre es auch wichtig, dass die Kosten für einen Betreuungsplatz stärker an Teilzeitmodelle angepasst werden. Jemand, der nur einen mäßig bezahlten Teilzeitjob hat, für den sei ein Ganztagsplatz zu teuer. Und auch Arbeitgeber müssen noch nicht einmal viel Geld in die Hand nehmen, um den Druck bei ihren Mitarbeitern rauszunehmen, sagt Knerr. Für Väter und Mütter sei vor allem die Zeit ein enormer Stressfaktor. So sind Gleitzeit, flexible Arbeitszeitmodelle oder ein Eltern-Kind-Zimmer schon enorme Hilfen.

Dazu können Arbeitgeber Betreuungsplätze in Kindertagesstätten reservieren oder die Betreuung bezuschussen. Kontakthaltemöglichkeiten für Mitarbeiter, die in Elternzeit sind, und geeignete Wiedereinstiegsprogramme können ebenfalls helfen.

Trotz der Diskrepanzen sieht Ute Knerr aber, dass immer mehr Firmen sich mit dem Thema befassen und sich bemühen, für mehr Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf zu sorgen. Aber auch Väter könnten was ändern: Zum Beispiel, wenn sie ebenfalls ihre Arbeitszeit verkürzen. "Anstatt, dass die Frau nur halbtags arbeitet, könnten beide Elternpaare je 80 Prozent arbeiten. Das wäre wirkliche Chancengleichheit."

Meinung:

Männer , seid endlich Eure eigenen Vorbilder!

Von SZ-RedakteurFabian Bosse

Ganz ehrlich, Beruf und Familie zu vereinbaren, ist extrem anstrengend. Einerseits will man am Arbeitsplatz zeigen, dass man voll da ist, andererseits nagt das schlechte Gewissen, ob wirklich genug Zeit für die Familie bleibt. Gerade junge Familien machen sich viel Druck und wollen Familie und Job jeweils zu hundert Prozent richtig machen. Nur: Mir ist noch keiner begegnet, der das auch geschafft hat. Die angeblichen Alleskönner auf der Arbeit haben entweder jemanden zuhause, der alles für sie dort regelt, oder sie sind gar nicht so scharf drauf, viel Zeit daheim zu verbringen. Und Frauen, die auf ihren Beruf zugunsten der Familie verzichtet haben, sind auch selten mit ihrer Situation zufrieden.

Was uns fehlt, sind authentische Vorbilder im Berufsleben. Männer , die mehr Elternzeit nehmen als einen oder zwei Monate, die bereit sind, ihre Arbeitszeit zu verkürzen, damit die Frau wieder ins Arbeitsleben zurückkehren kann. Männer , die zugeben: "Familie und Beruf zu je 100 Prozent? Krieg' ich nicht hin." Die Konsequenz daraus kann nur sein: Männer , seid Eure eigenen Vorbilder! Wartet nicht, dass die Entscheidungen euch Menschen abnehmen, die sich entweder gegen Kinder entschieden haben oder Karriere machen können, weil ihre Frauen zurückgesteckt haben! Nur: Verabschiedet euch von dem Gedanken, dass euch jemand Beifall spendet, wenn ihr euch für mehr Familie entscheidet.

Dabei ist es doch so: Eure Familie interessiert es nicht, ob ihr Chef seid oder der beste Gabelstaplerfahrer der Welt. Sondern ob ihr es abends noch schafft, den höchsten Bausteinturm zu bauen und für ausgelassene Stimmung am Abendbrottisch zu sorgen. Also: Nehmt die Möglichkeiten endlich wahr, die es bereits jetzt gibt! Seid stolz die "Weicheier", vor denen euch die "Machos" dieser Welt immer gewarnt haben!

Sie sind anderer Meinung? Schreiben Sie uns einen Leserbrief unter E-Mail an: redstv@sz-sb.de

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