Phänomenal: Mit Figuren gegen Kleingeisterei

Saarbrücken · "Immer soll ich beißen", Dracula ist verstimmt. Er wird eine Reise machen, um endlich seinen ersten Biss zu tun. Seine Mutter will es so. Doch Dracula hat keine Lust zu beißen, noch nie gehabt. Wenn er schon fort soll, dann muss der Wolf mit. Und so landet Familie Dracula in einem winzigen Nest, im dem nix los ist oder war. Bis Bürgermeister Theo das Haus des Heimatdichters hat abreißen lassen, um dort eine mondäne Badeanstalt zu installieren. Ein Paradies für Blutsauger, überall nackte Hälse. Ob's hier endlich klappt mit dem Biss?

 Ausdrucksstarke Puppen: Draculas Mutter. Foto: Handmaids

Ausdrucksstarke Puppen: Draculas Mutter. Foto: Handmaids

Foto: Handmaids

Einen herrlich komischen Mix aus Schauermär und Heimatsuche, angereicht mit fein dosierter Gesellschaftskritik präsentierte mit "Der Dracula Komplex" die Berliner Puppenspielkompanie Handmaids im Kleinen Theater im Rathaus (eine Kooperation mit dem Puppentheater Halle und dem Zentrum für Figurentheater Stuttgart). Furios, die beiden Schauspielerinnen Ulrike Langenbein und Marie Bretschneider in giftgrünen Dirndln und mit Zopffrisuren, die die Puppen beim Sauna-Aufguss und im Wald in Plattheiten und Romantikfloskeln über Naturschönheit und Heimat- optimierung schwadronieren lassen. Bizarre, charakterstarke Gummiköpfe mit unvergesslichen Mienen sind diese Puppen (Studio Langenbein & Waldmüller), an den Armen der Spielerinnen prangen Vatermörderkragen oder Plastikflamingo.

Auf der Bühne, ein Tresen mit extravaganten Leuchten und Nadelwaldattrappe, wird sich das Geschick der Dörfler vollziehen, die nicht abgehängt werden wollen und dafür gern Vögelchen und grünen Tann opfern. Doch plötzlich geht ein Riss durchs Vergnügungsbad, weil Dracula gründlich was missverstanden hat.

Das Stück ist ideenprall, mit gespenstisch schönem Schattenspiel vor blutroter Weltkarte, eines Loriot würdigen Dialogen zwischen Mama und Sohn Vampir und Dracula als verklärtem Schwärmer und Verteidiger von Naturmystik - eine perfekte, ironisch gebrochene Melange aus Schau- und Puppenspiel. Phänomenal, Bretschneider als Hasstiraden auf den Wolf blökender rechter Wutbürger und Langenbein als ihm untergebenes Weib. So viel steckt drin im "Dracula Komplex", Dekadenz, Kulturverlust, vorgeblicher Altruismus, gelebte Kleingeisterei und die Furcht vor dem Unbekannten, das kommen und uns alle aussaugen und fressen wird. Dabei sitzen die wirklichen Blutsauger bereits mit gestärkten Krägen in den vermeintlich sichern Sesseln der Selbstgerechtigkeit.

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