Saar-NS-Geschichte wird aufgearbeitet

Saarbrücken · Im Kultusministerium hat sich ein „Runder Tisch Erinnerungsarbeit“ gebildet. Damit hat die Aufarbeitung der NS-Geschichte eine Basis.

 Jedes Jahr im Mai pflegen Jugendliche die Gedenkstätte Gestapo-Lager Neue Bremm. Foto: Landesjugendring

Jedes Jahr im Mai pflegen Jugendliche die Gedenkstätte Gestapo-Lager Neue Bremm. Foto: Landesjugendring

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Auf Erinnerungen an die schreckliche Nazi-Zeit trifft der Saarländer täglich: Sei es in Völklingen, wenn ein Wegweiser zur "Röchling-Höhe" weist, oder wenn Straßenschilder in Saarbrücken die Namen ehemaliger NSDAP-Mitglieder wie Egon Reinert, Senator Richard Becker oder Franz Josef Röder tragen. Auch auf Fußballplätzen kicken D-Jugendliche im Trikot mit der Aufschrift "SV Hermann-Röchling-Höhe". Der Stahlbaron aus Völklingen war ein verurteilter Nazi-Kriegsverbrecher und Hitler-Freund.

Doch mit der Bearbeitung all dieser Erinnerungen steht es im Saarland nicht zum Besten, wie kürzlich der Chef der Synagogengemeinde Saar, Richard Bermann, betonte. "Die Erinnerung darf nicht enden", sagte Kultur- und Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) am Freitag in seinem Hause, als sich dort der "Runde Tisch Erinnerungsarbeit" erstmals zusammensetzte. Platz nahmen an dem - allerdings in Hufeisenform zurechtgerückten Tisch - unter anderen Bermann, Horst Bernard und Kurt Bohr (Initiative Neue Bremm) sowie Bernhard Fox (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes). Die Gefahr duch Rechtsextremisten sei wieder aktueller, sagte Commerçon. Die Sprache zeige dies an. "Volksverräter war das Unwort des Jahres 2016", so der Kulturminister. Der Impuls, die verschiedenen Akteure der Erinnerungsarbeit an die NS-Zeit zu vernetzen, sei vom Chef des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Saarland, Werner Hillen, gekommen, so Commerçon. Der Chef der Landeszentrale für Politische Bildung, Erik Harms-Immand, werde den Runden Tisch koordinieren. Commerçon verwies in diesem Zusammenhang auf die rechtspopulistische AfD, die die Landeszentrale abschaffen wolle.

Harms-Immand versprach, dass der Runde Tisch Erinnerungsarbeit im Mai 2017 seine Arbeit beginnen werde. Kurz nachdem die Teilnehmer des Runden Tischs auseinandergingen, leisteten etwa 100 Lehrer, Historiker, Archivbeamte, Bildungsinstituts-Beschäftigte und andere bei der Fachtagung "Wie erinnern? Bilden! Vernetzen! Motivieren!" über vier Stunden lang Vorarbeit für den Runden Tisch. "Wir brauchen das Engagement und das Wissen der Akteure der Erinnerungsarbeit", betonte Harms-Immand.

Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide, sagte, dass es im Saarland zwar nur eine Gedenkstätte gebe, das ehemalige Gestapo-Lager an der Goldenen Bremm, aber eine große Zahl von Erinnerungsorten an die Gräueltaten der Nazis, wie zwei Schulen in Heiligenwald, die als Auffanglager für das Gestapolager dienten, den Hubertushof in Schmelz, auf dem Zwangsarbeiter untergebracht waren, oder das Ladeskrankenhaus Homburg (heute: Uniklinik), wo Zwangssterilisierungen und Euthanasie-Morde vollzogen wurden. "Wo wird an die Exilanten aus dem Reich erinnert, die 1933 ins Saarland flüchteten, oder an die Anhänger des Status Quo vor der Volksabstimmung von 1935?", fragte Glauning. Anschaulich zeigte sie, wie an ihrem Arbeitsplatz an die Geschichte der NS-Zwangsarbeiter erinnert wird - vor allem über den biografischen Zugang. Glauning forderte die Erstellung eines Gedenkstätten-Konzepts für das Saarland, was zustimmend aufgenommen wurde.

In drei Arbeitsgruppen ging es um die Vermittlung von Erinnerungsarbeit, besonders an Schulen, und die noch fehlende Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren. Dieter Burgard vom Sprecherrat der Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten Rheinland-Pfalz, die es seit 1994 gibt, berichtete von der Internetseite der LAG, die entscheidend bei der Zusammenarbeit sei.

Dann hagelte es Kritik an Bildungsminister Commerçon. Der Schulfahrtenerlass verhindere, dass Schulklassen noch die Gedenkstätte KZ Auschwitz besuchen könnten, berichteten Lehrer. Auch Fahrten in das im Hunsrück gelegene KZ Hinzert seien für saarländische Schulklassen unmöglich, hieß es. Marc-Oliver Richter vom Bildungsministerium hatte alle Mühe, diese Sorgen zu zerstreuen. Auch die Aufarbeitung der zwangsweisen Deportation saarländischer Juden durch die Nazis 1940 in das südfranzösische Lager Gurs sei kaum vorhanden und fehle in der Erinnerung der meisten Saarländer, monierten Burgard und Saar-Uni-Professorin Mechtild Gilzmer. Das verneinten jedoch der Saarbrücker Stadtarchivar Hans-Christian Herrmann und der Historiker Professor Rainer Hudemann. "Die Wissenschaft hat das bereits aufgearbeitet, aber die Öffentlichkeit und die Politik hat das nicht interessiert", sagte Herrmann.

Damit das Interesse der Öffentlichkeit und der Politik an der NS-Vergangenheit des Saarlandes zunimmt, müssen die Teilnehmer am Runden Tisch die Ärmel hochkrempeln. "Wir fangen ja gerade erst an", sagte Harms-Immand. Als erstes will er allen Tagungsteilnehmern die Adressen der im Ministerium Anwesenden mitteilen. Denn ohne diese Adressen werde die Vernetzung schwierig, meinte ein Teilnehmer treffend.

Zum Thema:

Der Runde Tisch Erinnerungsarbeit Gründungsmitglieder sind: Richard Bermann (Synagogengemeinde Saar), Horst Bernard (Initiative Neue Bremm), Kurt Bohr (Initiative Neue Bremm), Gabriele Clemens (Universität des Saarlandes), Bernhard Fox (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, VVN), Mechthild Gilzmer (Universität des Saarlandes), Helmut Grein (Landesverband der Historisch-kulturellen Vereine des Saarlandes), Hans-Christian Herrmann (Stadtarchiv Saarbrücken), Werner Hillen (Verband Deutsche Kriegsgräberfürsorge), Frank Hirsch (Historischer Verein für die Saargegend), Frank-Matthias Hofmann (Beauftragter der Evangelischen Kirchen für das Saarland), Burkard Jellonnek (Landesinstitut für Pädagogik und Medien), Herbert Jochum (Christlich-Jüdische Arbeitsgemeinschaft des Saarlandes), Eva Kell (Universität des Saarlandes), Mike Kirsch (Netzwerk für Demokratie und Courage Saar), Ludwig Linsmayer (Landesarchiv), Simon Matzerath (Historisches Museum Saar), Christine Streichert-Clivot (Bildungsministerium), Willi Portz (Adolf-Bender-Zentrum), Peter Prassel (Katholisches Büro Saarland), Georg Vogel (Landesjugendring Saar).

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