Das Leben seziert

Guben · Um Leben und Tod geht es in der umstrittenen „Körperwelten“-Ausstellung, die nun auch in der Saarbrücker Congresshalle zu sehen sein wird. Wir haben uns vorab dort umgeschaut, wo die Toten präpariert werden.

 Der „Pokerspieler“ wird auch in der Saarbrücker Ausstellung zu sehen sein. Fotos: Institut für Plastination

Der „Pokerspieler“ wird auch in der Saarbrücker Ausstellung zu sehen sein. Fotos: Institut für Plastination

 Gunther von Hagens arbeitet an dem Plastinat mit dem Titel „kniende Lady“.

Gunther von Hagens arbeitet an dem Plastinat mit dem Titel „kniende Lady“.

 Mitarbeiter des „Plastinariums“ im brandenburgischen Guben präparieren eine Leiche.

Mitarbeiter des „Plastinariums“ im brandenburgischen Guben präparieren eine Leiche.

Auf dem Seziertisch liegt die Leiche eines Mannes. Kopf, Scham und Beine sind mit Tüchern bedeckt. Unterhalb der Rippen klafft ein tellergroßes Loch, der Körper wie ausgehöhlt. Keine Organe, kein Blut, nur tiefe Leere. In der dunklen Höhle des Leibs leuchten kleine, signalrote Plastik-Pfropfen, die die Schnitt-Enden von Arterien verschließen. Es riecht nach Formalin. Ein stechender Geruch. Daneben der Arm. Die Haut fehlt. Bindegewebe fehlt. Muskeln , Sehnen und Knochen des Arms sind frei gelegt. Am Ende des Arms die Hand. Völlig intakt. Hautfalten auf den Knöcheln, sauber geschnittene Fingernägel. Es ist vor allem dieser Gegensatz, der den Besucher so schockiert. Der Gegensatz von sezierter Leiche einerseits und dem Aussehen des Körpers, wie wir ihn kennen, andererseits. Es ist wie die Trennung von Leib und Seele. Es ist das, was Gunther von Hagens Arbeit so umstritten macht.

Wir sind in Guben . Ein 20 000-Seelen-Ort rund 20 Kilometer südlich von Eisenhüttenstadt. Am Stadtrand glitzert das Wasser der Neiße, dem Grenzfluss zu Polen. Vor der Wende lebten hier fast doppelt so viele Menschen. Mit dem Kapitalismus kamen Landflucht und Arbeitslosigkeit. Eine ehemalige Tuchfabrik verkaufte die Gemeinde 2006 zum symbolischen Preis von einem Euro an von Hagens. Der Mediziner, dessen Hut und Aussehen an den exzentrischen Künstler Joseph Beuys erinnert, hat hier das sogenannte Plastinarium eingerichtet, in dem Leichen anatomisch präpariert werden. Es ist für Besucher offen, Führungen machen auch an den Seziertischen halt.

Nahezu jede Woche wird die Leiche eines Körperspenders angeliefert. "Tendenziell haben wir eher zu viele als zu wenige Leichen im Keller", sagt Rurik von Hagens mit einem Augenzwinkern. Der 35-jährige Sohn des an Parkinson erkrankten Gunther von Hagens leitet das Plastinarium in Guben . Die Zahl der Körperspender nehme von Jahr zu Jahr zu, sagt er. Weltweit hätten sich derzeit über 15 000 Menschen schriftlich dazu bereit erklärt, ihren Körper nach dem Tod der Plastinationsmethode seines Vaters zur Verfügung zu stellen. Obwohl die "Körperwelten"-Ausstellungen im weltweiten Vergleich in Deutschland am heftigsten umstritten gewesen seien, stammten die meisten Körperspender eben daher: über 13 000, darunter 92 aus dem Saarland. Als Grund für die Körperspende gäben viele Menschen in der Verfügung an, nach dem Ableben der Wissenschaft dienen zu wollen. Andere erklärten, sich und den Angehörigen schlicht die Beerdigungskosten sparen zu wollen.

Der erste Schnitt an der Leiche gilt der Halsschlagader. Der Raum, in dem das geschieht, sieht aus, wie man das vom Besuch eines "Tatort"-Kommissars in der Pathologie aus dem Fernsehen kennt: weiße Kacheln an Boden und Wänden, chromblitzende Tische und Hocker, Neonlicht an der Decke. Unmittelbar nach der Anlieferung wird dem Verstorbenen hier eine Kanüle für eine Formalin-Injektion gelegt. Die Substanz tötet sämtliche Bakterien und verhindert durch chemische Prozesse den Zerfall des Gewebes. Nachdem mit Pinzette, Skalpell und Schere das Bindegewebe entfernt und die einzelnen anatomischen Körperstrukturen freigelegt wurden, folgt ein Azetonbad. Es entwässert den Körper - und auf Raumtemperatur erwärmt, entzieht es ihm später Fette. Anschließend wird dem Körper in einer Vakuumkammer das Azeton entzogen und durch Silikon ersetzt. Das Anfertigen eines Ganzkörper-Plastinats dauere rund ein Jahr und koste 80 000 Euro, sagt Rurik von Hagens. Erfunden hat das Plastinationsverfahren Ende der 70er Jahre sein Vater. Heute findet es Nachahmer vor allem in Asien.

In einer großen Halle der ehemaligen Tuchfabrik nehmen die sogenannten Plastinate ihre Posen ein. Frauen und Männer in Kitteln sitzen an Werktischen und hantieren mit Nadeln und Lupen, um Gliedmaßen zu fixieren oder ein feines Nervengeflecht zu platzieren. Ließe man die plastinierten Körper (und Körperteile) außer Acht, man wähnte sich in einer Textilfabrik. Es sind nicht zuletzt diese (Leichen-)Posen, die die "Körperwelten"-Ausstellung so umstritten macht. Da spielen plastinierte Körper miteinander Karten, verwandeln sich mit wie davonfliegenden Körperpartien zu mystischen Wesen oder haben Sex. Es mache die Schau "lebensnaher und anschaulicher", sagt Rurik von Hagens. Er bestreitet allerdings nicht auch Effekthascherei: "Wir wollen natürlich, dass die Leute in die Ausstellung kommen." Wer durch die Schau sein Pietätsgefühl verletzt sehe, müsse die Ausstellung ja nicht besuchen, argumentiert er. Dass sie die Menschenwürde verletze, weist von Hagens jedoch zurück: "Wir erfüllen ja den Wunsch des Verstorbenen." Viele Körperspender wünschten sich sogar eine bestimmte Pose, die ihr Körper nach der Plastination einnehmen soll. Diese Wünsche erzählen von etwas zutiefst Menschlichem, von etwas geradezu Anrührendem: Sie wollen tanzen, Motorrad fahren, sich amüsieren. Kurzum: Sie wollen leben.

Nur ein Fünftel der neu plastinierten Körper oder Organe landet in einer der weltweit sieben Wanderausstellungen. Mit rund 80 Prozent sind die meisten Präparate Bestellungen von Universitäten auf der ganzen Welt. "Lehrmaterial" für Studenten. Auf den Lieferlisten tauchen Ortsnamen aus dem Irak, Saudi-Arabien, den USA, Japan und China auf. Lieferfristen müssen eingehalten, die aufwändige Herstellung effizient gestaltet werden. Präparation in Fabrikation.

Die "Körperwelten"-Ausstellungen sind ein Bruch mit gesellschaftlichen Konventionen. Die erste Schau 1997/98 in Mannheim löste eine heftige, deutschlandweite Debatte aus. Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt. Doch die Schau rüttelt weiter an einem Tabu: dem Tod, der Vergänglichkeit. Die Ausstellung wirkt wie eine Entzauberung des Menschen. Und sie konfrontiert uns damit. Ihr Besuch wird nicht selten zu einem persönlichen Tabubruch, der zu einem entspannteren, unverkrampften Verhältnis zum Tod führen kann. Sicher ist, die Schau ist anatomisch lehrreich. Eine Erkenntnis etwa lautet: Zum Lächeln braucht man 20 Muskeln .

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