Faustball als Synonym für Freiheit

Saarbrücken · Faustball kannte er nicht, als Mohammed Oskan nach Deutschland kam. Das war vor zwei Jahren. Der Syrer sah in einer Flucht den einzigen Ausweg aus dem Elend in der Heimat. "Wegen des Kriegs konnte er nicht dort bleiben", übersetzt Engin Sahan die Worte des syrischen Kurden. Sahan ist jesidischer Kurde. Das ist eine religiöse Minderheit. Er ist in Deutschland geboren. Der 18-Jährige musste nie fliehen. Oskan dagegen verließ schweren Herzens seine Heimatstadt Hasakeh. Er ist froh, dass auch seine Familie seit 13 Monaten in Sicherheit ist: Frau Kafia, die Söhne Heval (19), Mervan (17) und Melan (15), Tochter Gulgin (21) und Zanin.

 Horst Herrmann (links) erklärt den Spielern seiner Flüchtlings-Mannschaft, wie Faustball gespielt wird. Der 73-Jährige trainiert die zum Prießnitz-Kneippverein Neunkirchen gehörende Multikulti-Mannschaft mit Mohammed Oskan, Engin Sahan, Gebremariam Aregay und Melan Oskan (von rechts). Fotos: Wieck

Horst Herrmann (links) erklärt den Spielern seiner Flüchtlings-Mannschaft, wie Faustball gespielt wird. Der 73-Jährige trainiert die zum Prießnitz-Kneippverein Neunkirchen gehörende Multikulti-Mannschaft mit Mohammed Oskan, Engin Sahan, Gebremariam Aregay und Melan Oskan (von rechts). Fotos: Wieck

Die zehnjährige Zanin ist dafür verantwortlich, dass fast alle Oskans inzwischen Faustball spielen. Sie lernte über eine Mitschülerin Horst Herrmann kennen, der im Prießnitz-Kneippverein Neunkirchen Training anbietet. Nach Zanin fanden nach und nach alle männlichen Familienmitglieder Zugang zu dem unbekannten Sport. "Die drei Brüder und sogar der Vater spielen jetzt Faustball . Seit Juni trainieren sie regelmäßig bei uns", berichtet Herrmann.

Mittlerweile sammeln sie auch Wettkampferfahrung. Eine Gelegenheit bot das Neujahrsturnier des TBS Saarbrücken . Dort komplettierte Gebremariam Aregay die Multikulti-Mannschaft um Sahan, Mohammed und Melan Oskan sowie Herrmann. Der 24-Jährige hatte ab 2010 versucht, sein Heimatland Eritrea zu verlassen. Wie viele Landsleute nennt er als Grund Willkür von Militär und Regierung. Der Militärdienst ist in Eritrea begrenzt. Doch Menschen würden dort über Jahre hinweg unter Androhung von Strafe wie Sklaven ausgenutzt. Dem wollte "Gere", wie Aregay gerufen wird, entgehen.

"Jeder Mensch will Freiheit. In meiner Heimat gibt es nur Diktatoren. Dort muss jeder Soldat werden. Ich wollte das nicht", sagt Aregay. Er flüchtete. Nach einigen Anläufen gelangte er über Äthiopien und Sudan nach Libyen, wo er als "Illegaler" in Untersuchungshaft saß. Schließlich strandete er wie so viele Flüchtlinge im voll besetzten Boot auf Lampedusa. Von dort ging es auf das italienische Festland - und im Herbst 2014 im Auto nach Deutschland. Was hier knapp dargestellt ist, dauerte Jahre - verbunden mit vielen negativen Erlebnissen.

Im Saarland hat "Gere" die Freiheit wieder. Seit Mai hat er in Neunkirchen mit Freundin Lilli und dem sieben Monate alten Sohn Aron eine Wohnung. "Erst Schule, dann Ausbildung", so sein Plan. Und dazu Faustball . "Ich finde es sehr gut", sagt Aregay zu dem ihm einst unbekannten Sport. Beim Turnier in Saarbrücken lief es aber nicht so gut. "Leider haben wir ein paar Mal verloren", klagt der Eritreer. "Wir haben viel gewonnen: an Erfahrung", ergänzt Herrmann und lacht. Das tun auch die Mitspieler aus Syrien und Eritrea wieder häufiger. Melan sagt: "Am Anfang war es richtig schwer. Man muss ja die Sprache erst lernen." Der 15-Jährige paukt fleißig. Er versteht inzwischen fast alles - und will Architekt werden.

Der in Deutschland geborene Sahan kann nachvollziehen, wie sich Flüchtlinge wie Melan fühlen müssen. Seiner Familie erging es vor 30 Jahren ähnlich. "Es gab für meine Eltern keine Alternative zur Flucht, weil sie als Jesiden nicht akzeptiert und unterdrückt wurden", erzählt der 18-Jährige, der vor fünf Jahren Herrmann begegnete. Sahan war mit Freunden im Neunkircher Stadtpark unterwegs, wo Herrmann dem Faustball frönte. "Uns war langweilig. Wir probierten es und merkten, dass es Spaß macht", erzählt er.

Seitdem ist Sahan meist dabei, wenn freitags in Niederwürzbach und sonntags in Heiligenwald mit dem Kneippverein gespielt wird. Neuerdings in einer Mannschaft, die "vier verschiedene Länder, drei Volksgruppen, drei Erdteile und vier Religionen " vereint, sagt Herrmann stolz.

Für Flüchtlinge ist Sport eine Chance, Anschluss zu finden und Deutsch zu lernen. Für das Gros der Neunkircher Mannschaft ist Faustball aber mehr - ein Synonym für Freiheit, Neuanfang, den Start in ein neues Leben. Herrmann sieht sich übrigens selbst als Mensch mit Migrationshintergrund. "Meine Vorfahren sind vor über 200 Jahren aus dem schwäbischen Raum ins Saarland übergesiedelt", sagt der 73-Jährige augenzwinkernd.

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