Zu arm, um Schwimmen zu lernen

Das kann doch nicht wahr sein! Diese Woche erfuhren wir: Die Stadt sucht Leute, die Geld spenden, damit Saarbrücker Kinder richtig schwimmen lernen können. Wie bitte? Ja. Die Stadt hat festgestellt, dass der Schwimmunterricht in der Schule bei vielen Kindern nicht reicht.

Die Kinder brauchen noch zusätzliche Kurse - sonst sind sie später im Freibad aufgeschmissen und müssen den ganzen Tag in der prallen Sonnen auf der Liegewiese hocken. Da drängte sich die Frage auf: Warum in aller Welt gehen die Eltern nicht mit ihren Kindern ins Hallenbad und bringen ihnen das Schwimmen bei? Das müsste doch selbstverständlich sein. Oder kommt jetzt irgendwann die Zeit, wo die Stadt auch Kurse organisieren muss, in denen Kinder richtig laufen lernen. Vom richtigen Reden ganz zu schweigen. Aber nachdem die Verblüffung sich gelegt hatte und das erste Kopfschütteln abgeklungen war, drängte sich auch schon des Rätsels Lösung auf: Viele Eltern haben einfach kein Geld, um mit ihren Kindern ins Hallenbad zu fahren und Schwimmen zu üben. Kann das sein? Hatte nicht kürzlich die Deutsche Presseagentur gemeldet, dass es den meisten Deutschen richtig gut geht? Ja, schon. Aber die meisten Deutschen leben halt nicht in Saarbrücken oder im Regionalverband (RGV). Da sieht die Sache etwas anders aus. Im RGV wohnt rund die Hälfte aller saarländischen Hartz-IV-Empfänger: etwa 28 000 Erwachsene und 10 000 Minderjährige. 70 Prozent davon sind Saarbrücker. Knapp 25 Prozent der Kinder unter 15 im RGV sind abhängig von Hartz IV. In den anderen saarländischen Landkreisen sind es im Schnitt nur 13 Prozent. Etwa 34 000 Arbeitnehmer aus dem RGV verdienten 2013 brutto weniger als 8,50 Euro pro Stunde - also netto unter 6,50 Euro. Ungefähr 7400 Bewohner des RGV hatten einen Voll- oder Teilzeitjob, bei dem sie so wenig verdienten, dass sie nicht ohne Hartz IV auskamen. All diese Arbeitnehmer werden nur ganz kleine Renten bekommen und sind damit Anwärter auf Grundsicherungsgeld. Schon 2013 brauchten insgesamt 5444 Rentner - 3444 Altersrentner und 2000 Erwerbsunfähige - im RGV die Grundsicherung. Denn nach Abzug von Krankenversicherung, Miete und Heizung blieb ihnen weniger als das Existenzminimum - also weniger als 382 Euro, der sogenannte Grundbedarf nach Hartz IV. Mit knapp 5 Prozent war der Anteil der armen Altersrentner im RGV rund 50 Prozent höher als im Land und im Bundesdurchschnitt. Weitere rund 1400 Rentner im RGV bekamen "Hilfe zur Pflege", also Zuschüsse für Pflegeheim oder mobile Altenpflege. Diese Zahl wuchs 2011 um 15 Prozent. 2012 lag die Summe bei etwa 12 Millionen. Damals gab der RGV rund 224 Millionen seines 280-Millionen-Euro-Haushaltes für Jugend und Soziales aus. Und hier taucht er - zu Recht - wieder auf, unser allererster Gedanke: Das kann doch nicht wahr sein!

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