„Putin will ein schwaches Europa“

Der Kalte Krieg ist zurück. Russlands Präsident Wladimir Putin giert nach alter imperialer Größe, und nicht nur seine Landsleute bewundern ihn dafür: Auch Donald Trump und die AfD in Deutschland tun dies. Über die aktuelle Entwicklung sprach SZ-Redakteur Johannes Schleuning mit der Russland-Kennerin und langjährigen „Stern“-Korrespondentin Katja Gloger, die in der kommenden Woche einen Vortrag in Saarbrücken hält.

Frau Gloger, bei den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag hat die Kreml-Partei ,Geeintes Russland' klar gesiegt, Putins Wiederwahl 2018 scheint nichts mehr entgegenzustehen. Weshalb bringen viele Russen ihren Präsidenten Wladimir Putin nicht mit der grassierenden Korruption und Vetternwirtschaft in der Politik in Verbindung?

Gloger: Die kurze Zeit der demokratischen Öffnung in Russland Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre, die Perestroika , hat nicht ausgereicht, um einen wirklichen Demokratisierungsprozess zu implementieren. Viele Menschen verbinden das Wort ,Demokratie' mit dem Chaos der Jahre unter Präsident Boris Jelzin. Dazu kommt: Die Menschen in Russland haben noch immer Vertrauen in einen starken Staat, der alles richten wird - so, wie er schon immer alles gerichtet hat. Natürlich wissen die Menschen auch, dass das politische System, das Herrschaftssystem, in hohem Maße korrupt ist. Aber man denkt: Das ist halt so, das wird der Präsident schon irgendwie regeln.

In Ihrem Buch ,PutinsWelt' beschreiben Sie, wie Putin gezielt die Sehnsucht nach imperialer Größe Russlands in der Bevölkerung schürt, um von der anhaltenden Wirtschaftskrise im eigenen Land abzulenken. Müsste nach dieser Logik zwei Jahre nach der Krim-Annexion nicht bald ein neuer außenpolitischer Schauplatz her, um das Volk weiter hinter sich zu versammeln?

Gloger: Putins Russland versteht sich als Festung gegen den Westen, vor allem gegen die USA, aber auch gegen das ,dekadente' Europa, das jetzt angeblich überschwemmt wird mit muslimischen Flüchtlingen und islamistischen Terroristen. Außerdem wird Antiamerikanismus gezielt geschürt: Amerikas Politik habe nur Blut und Chaos gebracht, heißt es. Für die Menschen bleiben das christliche Russland und sein Präsident wie ein Bollwerk. Außerdem: Im Osten der Ukraine hat Moskau einen sogenannten ,frozen conflict' produziert, also einen eingefrorenen Konflikt, den Russland je nach Interessenlage jederzeit wieder aufflammen lassen kann. Damit ist letztlich auch der russische Einfluss auf das politische Geschehen in Kiew und die ohnehin schwache Regierung gewahrt. Denn das große Ziel Russlands gegenüber der Ukraine ist ja, in jedem Falle zu verhindern, dass das Land sich mehr als nötig Europa, der EU nähert oder gar irgendwann Mitglied der Nato wird.

Die Sehnsucht nach einer Rückkehr zum Nationalismus ist weltweit zu beobachten. Putin scheint dafür häufig Vorbild zu sein. So spricht etwa US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump dem russischen Präsidenten öffentlich seine Bewunderung aus, oder beruft sich in Deutschland die AfD, die unter anderem gezielt um Russlanddeutsche wirbt, auf Putin als Leitfigur. Putin muss sich in seiner Politik inzwischen international bestätigt sehen . . .

Gloger: Absolut. Ich bin mir sicher, dass er sich bestätigt fühlt. Und vor allen Dingen tut er das mit Blick auf Europa, das sich nach Wahrnehmung vieler Menschen in Russland vor allem durch die Flüchtlingskrise selbst ins Chaos stürzt - so zumindest suggeriert ihnen jeden Tag die Propaganda der Berichterstattung im Fernsehen. Die vor diesem Hintergrund wachsende Unterstützung etwa für den Front National in Frankreich oder die AfD in Deutschland sind Putin insofern ebenfalls Bestätigung. Der Front National zumindest wurde von Russland ja auch finanziell mit einem Millionenkredit unterstützt. Putin braucht kein starkes, einiges Europa - er will ein schwaches Europa.

Die Annexion der Krim hat in Deutschland eine Debatte darüber ausgelöst, ob der Westen nicht selbst Schuld ist an Putins Außenpolitik. Nato-Osterweiterung und die westliche Unterstützung der Revolutionen in Georgien und der Ukraine hätten ihn in die Enge getrieben. Teilen Sie diese Einschätzung?

Gloger: Nein. Die Nato-Osterweiterung hatte zunächst nicht das Ziel, Russland einzukreisen oder zu schwächen. Es ging vielmehr darum, in Ost- und Mittel-Europa ein Gebiet der Stabilität und Sicherheit zu schaffen - und damit übrigens auch erstmals Russlands Westgrenze sicherer zu machen. Richtig ist, dass die Abkehr Putins vom Westen durch die schreckliche Hybris der USA unter George W. Bush beschleunigt wurde. Dessen Bemühungen, die Ukraine und Georgien zu Nato-Mitgliedern zu machen, wurden allerdings 2008 von den anderen Nato-Partnern gestoppt - vor allem von Angela Merkel, die durchaus russische Sicherheitsinteressen bedroht sah. Im Westen gab es aber ebenso Bemühungen, Russland als wichtigen Partner in Europa zu halten, etwa die von Deutschland initiierte Modernisierungspartnerschaft. Der entscheidende Fehler des Westens wurde schon Anfang der 90er Jahre gemacht: Wir haben Russland und die postsowjetischen Staaten mit ihren gigantischen Problemen letztlich allein gelassen. Das ist aber noch lange kein Grund, etwa die Krim zu annektieren und damit die Grenzen eines souveränen Staates zu verletzen.

Welche Optionen sehen Sie für ein Ende des neuen Kalten Krieges?

Gloger: Der Westen hat nicht viele Optionen. Europa und die USA haben klar ihre roten Linien gezogen, und die verlaufen an den Ostgrenzen der Nato . Diese Einigkeit ist gut. Aber leider spricht man auch im Westen, in der Nato , wieder von ,Abschreckung' - dabei sollte man die Türen Richtung Russland offen halten. Wir können nur hoffen, dass Russland und die USA in Syrien so viel Gemeinsamkeiten definieren können, dass es wenigstens zu einer dauerhaften Waffenruhe kommt.

Vortrag von Katja Gloger "Putins Welt. Einblicke in das neue Russland" am Donnerstag, 29. September, um 19 Uhr in der Handwerkskammer Saarbrücken (Hohenzollernstr. 47-49). Eintritt frei, Kartenreservierungen: Tel. (06 81) 5 06 45 06. Die Bilder des Fotografen Hans-Jürgen Burkard, der mit "Stern"-Korrespondentin Gloger Russland bereiste, sind bis Ende März 2017 im Historischen Museum Saar zu sehen.

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