Ach, Kai…

Saarbrücken · Kai war einer, vom dem ich gerne schreiben würde, dass ich ihn gut gekannt habe. Wir haben ab und zu geredet, wenn er mir ein Päckchen brachte. Oder wenn ich an seinem gelben DHL-Auto vorbeigegangen bin, er gerade Päckchen stapelte und wissen wollte, wie es der alten Frau in der Wohnung unter meiner geht.Kai wusste viel über die Menschen, denen er Päckchen brachte, weil er einer war, der sich für Menschen interessierte.

Das meiste, was ich von Kai Orth weiß, habe ich im Viertelvor-Heft gelesen. Ralf Leis und Falk Kuckert haben den "Postmann unseres Vertrauens" vor zwei Jahren in ihrem Heft fürs Nauwieser Viertel zu Wort kommen lassen.

Er hat da von seiner Liebe zur Musik, zur Literatur, zum Kino und zur Kunst erzählt, von seiner Zeit als Buchhändler in Saarlouis, von seinem Faible für Dadaismus und Surrealismus .

Irgendwann war ihm alles zu viel. Er ist weg. Nach Venezuela, Panama, Jamaika. Hat einen Militärputsch miterlebt, wurde in der Karibik der "Crazy German" genannt, weil er lieber Bier trank statt zu kiffen. Weil es mit seinem Reisebegleiter Stress gab, hat er die Auszeit für beendet erklärt, im Flugzeug von Caracas über New York nach Berlin eine Stewardess kennengelernt und später mit ihr ein Kind bekommen.

Und weil Berlin auch nur eine "Anhäufung von Dörfern" ist, habe er irgendwann zurück zu den Wurzeln gewollt, erzählte Kai, der in Burbach geboren ist und lange in Malstatt gelebt hat, bevor es in ihn in die Welt zog. "Das Saarland ist halt schön", sagte er. Und fand daheim einen Job bei der Post.

Ohne all den andern Briefträgern und Paketzustellern zu nahe treten zu wollen, aber so einen Postmann wie Kai habe ich nie erlebt. Vor einigen Monaten wurde er in einen anderen Zustellbezirk veresetzt - wegen irgendeiner Umstrukturierung, die sich vermutlich irgendjemand an irgendeinem teuren Schreibtisch beim Paketdienst DHL ausgedacht hat, weil er eine Daseinsberechtigung braucht. Da galt Kais Sorge vor allem den manchmal etwas ängstlichen alten Leuten, die im Viertel und in der Preußenstraße wohnen. Mit vielen von ihnen hatte er Klingelzeichen ausgemacht, damit sie wussten: Keine Gefahr, da steht der Kai vor der Tür. Was soll aus denen werden, fragte er sich. Kai mochte die Menschen, er mochte sein Viertel. Dennoch konnte er sich gut vorstellen, in ein paar Jahren, mit Mitte 50, als Briefträger auf einer ostfriesischen Insel zu arbeiten.

Kai hat es nicht mehr auf die Insel geschafft. Es gab da eine Krankheit, die stärker war als er. Kai Orth, der so viel Freude in so viele Leben gebracht hat, ist vor einigen Tagen gestorben.

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