„Wir stehen nicht besonders gut da“

Professor Hans Anand Pant gehört zu den wichtigsten Bildungsforschern in Deutschland. Am Mittwochabend kommt Pant zum Bildungsforum des Saarländischen Schulpreises nach Saarbrücken, um mit Schülern, Lehrern und Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) über die Herausforderung bei der Integration von Flüchtlingskindern zu diskutieren. SZ-Redakteur Oliver Schwambach sprach vorab mit Pant.

 In etlichen Schulen glückt die Integration von Kindern mit Fluchterfahrung bereits sehr gut, andere stehen noch vor großen Herausforderungen. Foto: Monika Skolimowska/dpa

In etlichen Schulen glückt die Integration von Kindern mit Fluchterfahrung bereits sehr gut, andere stehen noch vor großen Herausforderungen. Foto: Monika Skolimowska/dpa

Foto: Monika Skolimowska/dpa

Herr Professor Pant, Ihr Vater stammt aus Indien, Ihre Mutter aus Deutschland. Wie erging es einem Jungen mit Vornamen Anand, der vor gut 40 Jahren in einer hessischen Kleinstadt das Gymnasium besuchte?

Pant: Es war etwas Besonderes, als nicht Deutsch aussehender Mensch in einer relativ kleinen Stadt zur Schule zu gehen. Und das hatte zwei Seiten: Man war wiedererkennbar für Lehrer und Lehrerinnen. Das konnte durchaus von Vorteil sein, es gibt ja auch eine Art positive Diskriminierung. Das Zweite waren die üblichen Phänomene von damals, zum Beispiel, dass Fremde unfreundlich behandelt wurden. Ich kann mich erinnern, dass mein Bruder und ich in der Mittelstufe auf dem Schulhof, heute würde man wohl sagen, Bullying (Mobbing) ausgesetzt waren.

Sind wir in Deutschland besonders gut oder besonders schlecht, was die Integration von Kindern mit Fluchterfahrung in unser Bildungssystem angeht?

Pant: Wir stehen nicht besonders gut da, weil die Lerngelegenheiten, die es in den letzten Jahrzehnten dazu gegeben hat, nicht gut genutzt wurden. Wir haben uns lange politisch verweigert, uns als Einwanderungsgesellschaft zu verstehen, obwohl wir inzwischen in manchen Bundesländern Anteile von Kindern mit Zuwanderungshintergrund haben, die zwischen 25 und 40 Prozent liegen. Dennoch ist immer so getan worden, als seien das nur vorübergehende Gäste. Und bei der ersten Flüchtlingskrise, das war während des Balkankrieges in den frühen 90er Jahren, ist nichts systematisch passiert, weder in der Forschung noch in der Politik. Das haben andere Länder, etwa Kanada oder Australien, die sich bewusst als Einwanderungsland politisch ausrichten, besser gemacht.

Gibt es Bundesländer, die sich bei der Integration auszeichnen?

Pant: Nein, das kann man so nicht sagen. Die Mercator-Studie im vorigen Jahr hat, ich sag's mal ironisch, eine große Vielfalt an schulorganisatorischen Modellen aufgezeigt, wie wir diese Kinder in den Schulen aufnehmen. Auch da steht noch aus, dass man die Entwicklung empirisch untersucht. Es gibt aber zwei besondere Gruppen unter den Bundesländern, die Überforderungsreaktionen zeigen: Das sind die Stadtstaaten, die auf ihre ohnehin hohen Zahlen von Kindern mit Zuwanderungshintergrund noch weitere Kinder hinzubekommen. Zum anderen sind dies die Bundesländer im Osten, die zuvor nie etwas mit Zuwanderung zu tun hatten.

Wo steht das Saarland dabei?

Pant: Das Saarland hat eher positive Startbedingungen, auch wenn ich das nicht wissenschaftlich belegen kann. Die Nähe zu Frankreich erleichtert das Denken und Arbeiten über den nationalen Tellerrand hinaus. Außerdem gibt es kurze Wege zwischen Bildungsverwaltung und Schulen. Das hilft.

Was sind die größten Herausforderungen, die sich in Schulen stellen, wenn Kinder mit Fluchterfahrung und ohne Deutsch-Kenntnisse hinzu kommen?

Pant: Von der Haltung des schulischen Personals und der Eltern hängt es ab, wie gut Schulen die Herausforderungen bewältigen. Sind sie bereit, sehr viel Zeit und Energie in diese Fremdheitserfahrung zu stecken, die ja nicht nur die Flüchtlinge machen? Will man das positiv aufnehmen, oder empfindet man es als Belastung? Das ist leicht gesagt, ich weiß. Die Schule allein ist damit auch überfordert. Wichtig ist für Schulen, andere Akteure im direkten Umfeld zu finden, mit denen sie die Aufgaben gut bewältigen können. Das können Sozialstationen sein, Elterninitiativen oder auch Kitas.

Das Deutsch-Lernen gilt als Schlüssel zum schulischen Erfolg. Aber es werden zig Modelle probiert. Mal sind es Willkommensklassen, in dem die Deutsch-Lernenden unter sich bleiben, mal sind es gemischte Klassen. Gibt es den Königsweg?

Pant: Der Königsweg ist von der Forschung noch nicht ausgemacht. Aber es lassen sich sehr viele plausible Annahmen treffen. Eine der Annahmen ist, dass die Integration in die Regelklassen möglichst schnell erfolgen sollte. Ich präferiere ein kombiniertes Modell, bei dem außer einem anfänglichen Crash-Kurs in Deutsch rasch der Fachunterricht in der Regelklasse folgt. Außerdem sollte jeder Unterricht stärker sprachsensibel sein. Auch in Mathe und Bio sollte Zeit und Gelegenheit sein, um auf der sprachlichen Ebene das zu bearbeiten, was für andere Kinder im Deutschen selbstverständlich ist. Die Regelklassen-Integration ist deshalb so wichtig, weil es dabei nicht nur um Sprache geht. Es ist wichtig, dass die Kinder Freunde gewinnen.

Der saarländische Bildungsminister Commerçon hat auch angesichts der steigenden Zahl von Kindern mit Fluchterfahrung, die Lehrerstellen im Land erhöht. Sicher ist das wichtig. Reicht das aber? Braucht man nicht konsequent Teams aus Lehrern und Schulsozialarbeitern, vielleicht auch Psychologen - angesichts dessen, was die Kinder auf der Flucht erleben mussten?

Pant: Das wäre wünschenswert. Erziehungswissenschaftler nennen das multiprofessionelle Teams. Das umzusetzen, ist aber eine echte Herausforderung, weil auch der komplette Verwaltungsapparat so ausgerichtet werden müsste. Einige Schulen, die den Deutschen Schulpreis gewonnen haben, machen es aber vor: Wenn man solche Teams hat und dazu eine kooperative Schulleitung, kann das tatsächlich so etwas wie ein Königsweg sein.

Zum Thema:

Hintergrund Hans Anand Pant leitete von 2010 bis 2015 das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, das auch die Kultusministerkonferenz berät. Aktuell ist der 54-Jährige Professor an der Berliner Humboldt-Universität und leitet zudem die Deutsche Schulakademie in Berlin. Ihr Ziel: dem Bildungswesen in Deutschland neue Impulse zu geben. Am Mittwoch ist Pant beim Bildungsforum zum Saarländischen Schulpreis zu Gast. Dabei geht es um die Frage, wie die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung ins deutsche Bildungssystem glücken kann. red Termin: 23. November, 18 Uhr, in der Stiftung Demokratie Saarland , Europaallee 18, Saarbrücken.

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