„Drei Flughäfen – das ist absurd“

Joachim Bitterlich, einst ein enger Berater des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU), spricht morgen in seiner saarländischen Heimat über Wege aus der EU-Krise. SZ-Redakteurin Hélène Maillasson traf ihn vorab und wollte wissen, wie auch unsere Grenzregion wieder an Schwung gewinnen kann.

 Joachim Bitterlich (links) 1996, damals Leiter der Abteilung Außenpolitik des Bundeskanzleramts, mit Helmut Kohl.

Joachim Bitterlich (links) 1996, damals Leiter der Abteilung Außenpolitik des Bundeskanzleramts, mit Helmut Kohl.

Foto: dpa/archiv

Herr Bitterlich, nach dem Brexit und mit dem Aufschwung der Populisten steckt die EU in der Krise. Sogar Deutschland und Frankreich vertreten in Fragen der Haushalts- oder Flüchtlingspolitik sehr unterschiedliche Positionen. Wie soll es da zu einer Harmonisierung mit Ländern wie Rumänien oder Ungarn kommen?

Bitterlich: Die EU steckt in der Tat in der Krise - gerade deshalb müssen wir uns zuerst um alle Partner ernsthaft bemühen und alles tun, um sie zu integrieren, zugleich aber auch ihre Sorgen und Ängste, aber auch gerade ihre Perzeption europäischer Politik ernst nehmen. Das ist nicht immer leicht, aber wir müssen für diese Länder Verständnis zeigen und auch mit ihnen enge Kooperationen entwickeln. Und es funktioniert auch. Deutsch-polnische Polizeistreifen wurden zum Beispiel im Ergebnis schneller umgesetzt als damals zwischen Deutschland und Frankreich. Zudem brauchen wir einen harten Kern aus Deutschland, Frankreich und den Benelux-Ländern, der gelungene Kooperationen jeweils mit weiteren Ländern voranbringt. Zurzeit ist es in manchen Bereichen noch unmöglich, alle Gesetzgebungen anzugleichen, deshalb sollte man sich zuerst über die Praktiken annähern. Wir brauchen keine Harmonisierung auf die Schnelle um jeden Preis, sondern wir müssen verstehen, wie der andere tickt und arbeitet, um Anknüpfungspunkte zu finden. Eine Harmonisierung - soweit diese wirklich erforderlich ist - kann dann später folgen.

Wie sieht es auf regionaler Ebene aus? Als gebürtiger Saarländer kennen Sie sich auch sehr gut in Lothringen aus. Wie läuft Ihrer Meinung nach die Kooperation beider Regionen?

Bitterlich: Es gibt gute erste Schritte wie die grenzüberschreitenden Arbeitsämter und die gemeinsame Vertretung in Brüssel. Doch es geht noch nicht weit genug, vor allem Paris muss da über seinen Schatten springen. Beide Regionen sollten in der Lage sein, die Ausübung wesentlicher Kompetenzen zu bündeln, regelrechte Kompetenzzentren zu bilden, die sie dann gemeinsam nutzen. Zum Beispiel die Universitäten. Jede Hochschule kann nicht alleine die besten Professoren für jeden Studiengang haben. Aber wenn Metz, Nancy, Straßburg, Saarbrücken und Luxemburg jeweils in bestimmten Bereichen Spitzenreiter auf nationaler oder europäischer Ebene werden, dann sollten alle Standorte davon profitieren. Ähnliches gilt für das Gesundheitswesen mit Krankenhäusern und Forschungszentren. Außerdem muss im wirtschaftlichen Bereich dringend etwas passieren. Das Saarland und Lothringen sollten eine gemeinsame Ansiedlungspolitik anstreben, neue industrielle Felder wie zum Beispiel den digitalen Bereich erschließen und zugleich, soweit noch möglich, auf ihre traditionelle Industrie zurückgreifen, um sie neu zu erfinden.

Aber den Bergbau kann man nicht neu erfinden, oder?

Bitterlich: Natürlich nicht. Aber es gibt auch andere Wege. Unternehmen wie Bata und Méphisto haben in Lothringen lange Zeit hochwertige Schuhe produziert. Warum nicht auf dieses Know-how zurückgreifen und diese Industrie beleben? Man müsste ein Label entwickeln, das für Premium-Waren steht, auf das die Region stolz sein kann. Nicht nur Billigprodukte sind gefragt, sondern auch Hochwertiges. Nehmen Sie als weiteres Beispiel die Landwirtschaft: Warum setzt Lothringen nicht stärker auf "Bio"? Frankreich hat in diesem Bereich einen erheblichen Rückstand. Lothringische Landwirte könnten sich so auch national profilieren. Dafür brauchen sie aber finanzielle Unterstützung.

Woher sollten die Regionen das Geld dafür bekommen?

Bitterlich: Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Präsident der Region Grand Est, Philippe Richert, sollten zusammen in Brüssel mit dem Ziel vorstellig werden, dass ihre Grenzregion als europäische Modellregion oder "Zukunfts-Labor" anerkannt wird. So könnten Projektträger auf mehr Geld von der EU hoffen. Man könnte zudem durch die bessere gemeinsame Nutzung der Infrastruktur Geld einsparen, das dann für andere Projekte zur Verfügung steht. Dass in einem Radius von 100 Kilometern drei Flughäfen (Ensheim, Metz, Luxemburg) betrieben werden, die nicht ausgelastet sind, finde ich zum Beispiel absurd - leider ist in der Vergangenheit aus egoistischen Gründen eine große Chance verpasst worden. In Wahrheit ist es aber nie zu spät, das Richtige oder Bessere zu tun. Das Gleiche gilt natürlich für die gesamte Verkehrsinfrastruktur.

Bald wird in Frankreich gewählt. Wie gefährlich wäre ein Sieg von Marine Le Pen vom Front National ?

Bitterlich: Ich denke nicht, dass Le Pen gewinnen wird. Leider haben Politik und Medien eine große Rolle bei ihrem Aufstieg gespielt. Sie hätten sich besser darauf konzentriert, den mangelnden Dialog zwischen Bürgern und Politikern wieder herzustellen. Die Regionalreform in Frankreich, angeordnet von oben und ohne Rücksprache mit der Bevölkerung, ist ein solches negatives Beispiel - die Frankreich-Strategie des Saarlandes dagegen ein positives! Die Politik muss den Bürger ernst nehmen, ihm zuhören. Man muss Zeit für die Diskussion einräumen, und damit meine ich keine Alibi-Veranstaltungen, sondern einen echten Dialog. Danach müssen die Politiker aber entscheiden und dies in die Tat umsetzen. Das wird auch von der Bevölkerung erwartet. Sie hasst es, wenn Entscheider das Gefühl geben, dass alles in der Schwebe und außer Kontrolle ist.

Der Vortrag von Joachim Bitterlich findet am morgigen Donnerstag, 18 Uhr, in der Villa Europa in Saarbrücken statt.

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Zur Person Der gebürtige Saarbrücker Joachim Bitterlich (68) war in den 80er und 90er Jahren europa-, außen- und sicherheitspolitischer Berater von Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Kanzler Helmut Kohl . Nach 1998 war er Botschafter bei der Nato und in Spanien. Zuletzt war er Vizepräsident beim Energiekonzern Veolia Environnement in Paris. Er unterrichtet an einer privaten Hochschule in Paris und sitzt im Aufsichtsrat der Verwaltungshochschule ENA. hem

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