Schweizer Theatermacher Milo Rau übernimmt sechste Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik

Saarbrücken · Nach Rimini Protokoll, Roland Schimmelpfennig, Kathrin Röggla, Albert Ostermaier und Falk Richter übernimmt der Schweizer Film- und Theatermacher, Autor und Aktivist Milo Rau die sechste Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik der Universität des Saarlandes. Die Vorträge, die Milo Rau in diesem Rahmen hält, sind öffentlich und finden an drei Montagabenden im Mai 2017 statt. Veranstaltungsorte sind das Saarländische Staatstheater, Saal 4 im VHS-Zentrum Saarbrücken und die Saarbrücker Stadtgalerie.


1977 in Bern geboren, arbeitete Rau nach dem Studium der Soziologie - u. a. bei Pierre
Bourdieu - zunächst als Journalist. Seit 2003 ist er freier Regisseur und Bühnenautor und
gehört zu den international einflussreichsten politischen Theatermachern der Gegenwart. Mit
größter Konsequenz spürt Rau in seinen Arbeiten dem "weitumspannenden Innenraum des
Kapitals, seinen Alpträumen und Hoffnungen, seinen Unter- und Gegenwelten" nach. Im
Rahmen seines Konzepts eines "globalen Realismus" ist er einer der schärfsten Kritiker
Europas: der Inhumanität der für Krisen und Elend verantwortlichen globalen
Wirtschaftspolitik Europas einerseits wie der humanistischen und zivilisatorischen
Selbstverklärung der Europäer andererseits. Raus Theaterarbeiten bestechen dabei durch das
ausdauernde Bemühen, für das politische Engagement passende ästhetische Ausdrucksformen
zu entwickeln, die über einen schlichten Aktivismus hinausgehen. So hat Milo Rau etwa 2013
in den "Moskauer Prozessen" drei politische Schauprozesse zur Einschränkung der
Kunstfreiheit mit den Beteiligten erneut durchgeführt und dem juristischen Streit, der im
Gericht zum Theater verkommen war, im Theater neuen Raum gegeben. "Die letzten Tage
der Ceausescus" (2009), "Hate Radio" (2011) oder "Breiviks Erklärung" (2012) variieren die
Idee eines post-dokumentarischen "Realtheaters" (so Alexander Kluges Bezeichnung von
Raus Ästhetik) und erzeugen dabei produktive politische und ästhetische Ambivalenzen.
Seine Stücke belegen zugleich, wie auch die weltweit debattierte Produktion "Das Kongo
Tribunal" (2015) oder die "Europa Trilogie" (2014-16), wie sehr Milo Raus Theater ein
Theater in Reaktion auf eine wirtschaftliche globalisierte Welt ist, in der es "nur noch einen
einzigen planetaren Innenraum" gibt und kein Leben frei von der Verantwortung für das
Elend und das Sterben in der Welt. In Stücken wie "Five Easy Pieces" (2016) oder "Mitleid"
(2016) widmet sich Rau zudem einer Analyse des Einfühlungs- und
Darstellungsinstrumentariums des Theaters selbst.

Milo Rau wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt u.a. mit dem Schweizer Theaterpreis (2014),
dem Hörspielpreis der Kriegsblinden (2015), dem Preis des Internationalen Theaterinstituts
(2016) oder dem Spezialpreis des Prix de la Critique Théâtre et Danse (2016). Mit ihm ehrt
die Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik einen der konsequentesten Denker des Theaters
der Gegenwart und einen der wichtigsten Wegweiser für ein Theater, das sich intellektuell
wie ästhetisch den Krisen der Gegenwart zu stellen und an der Erarbeitung von Antworten zu
beteiligen sucht.

Hintergrund:
Als erste Universität des deutschsprachigen Raumes richtet die Universität des Saarlandes seit
dem Wintersemester 2011/12 gemeinsam mit dem Saarländischen Staatstheater, der
Landeshauptstadt Saarbrücken und der VHS Regionalverband Saarbrücken jährlich die
einzige Poetik-Dozentur nur für Dramatik aus. Ziel ist es, herausragende Bühnenautoren und
Theatermachende der Gegenwart aus Deutschland, der Schweiz und Österreich nach
Saarbrücken einzuladen, um in öffentlichen Vorträgen ihre Poetik, ihren Begriff von Drama
und Theater zu formulieren und darüber zu reflektieren.
Die Vorträge der ersten vier Saarbrücker Poetikdozenturen für Dramatik liegen bereits
gedruckt vor: Rimini Protokoll: "ABCD. Saarbrücker Poetikvorlesungen" (Berlin 2012),
Roland Schimmelpfennig: "Ja und Nein" (Berlin 2014), Kathrin Röggla: "Die falsche Frage"
(Berlin 2015), sowie - gerade erst erschienen - Albert Ostermaier: "Von der Rolle. Über die
Dramatik des Verzettelns" (Berlin 2016). Die Vorträge von Falk Richter folgen im Mai 2017
im Druck.

Termine:
Montag, 15. Mai 2017: Eröffnungsvortrag im Mittelfoyer des Saarländischen Staatstheaters
Montag, 22. Mai 2017: 2. Vortrag in Saal 4, VHS-Zentrum Saarbrücken
Montag, 29. Mai 2017: 3. Vortrag Saarbrücker Stadtgalerie

Die Vorträge beginnen jeweils um 20 Uhr und dauern rund eine Stunde; anschließend findet
eine Diskussion statt. Der Eintritt ist frei. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.
Parallel findet an der Universität des Saarlandes ein Seminar zum Werk Milo Raus statt, das
ein Gespräch zwischen dem Theatermacher und den Studierenden einschließt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort