Tanzen geht auch mit Rollstuhl

Saarbrücken · Ein Tanzworkshop für Menschen mit und ohne Behinderung. Wie so etwas funktioniert, wollten wir wissen. SZ-Mitarbeiterin Marija Herceg hat am Sonntag im U2-Raum in der Ufergasse mitgemacht.

 Tanzen zu Musik, egal wie: Die Teilnehmer des Workshops im U2-Raum brachten die unterschiedlichsten Voraussetzungen mit, aber alle hatten eins gemeinsam: die Freude an der Bewegung und an der Begegnung. Foto: Iris Maurer

Tanzen zu Musik, egal wie: Die Teilnehmer des Workshops im U2-Raum brachten die unterschiedlichsten Voraussetzungen mit, aber alle hatten eins gemeinsam: die Freude an der Bewegung und an der Begegnung. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

"Jeder hat beim Tanzen etwas, das zur Geltung kommt, was sonst niemand hat", findet Katrin Diener. Sie selbst sitzt im Rollstuhl. Vom Tanzen, das sie 2007 beim Staatstheater erlernte und sogar schon auf der großen Bühne tat, hält sie das nicht ab. Im Gegenteil: Gemeinsam mit Tanztherapeutin Nartan Zemelko leitet sie den Tanzworkshop "Chance to Dance" für Menschen mit und ohne Behinderung. Das Ballett des Staatstheaters organisiert ihn gemeinsam mit dem Verein "Miteinander Leben Lernen".

Eines ist auf den ersten Blick klar: Frauen sind tanzbegeisterter. Unter den 25 Teilnehmern sind nur vier Männer. Einer von ihnen ist Ali (15), der das Down-Syndrom hat, Hip-Hop und orientalischen Tanz liebt. Und da ist Uwe (39) - die Teilnehmer werden bewusst nur mit Vornamen vorgestellt -, der lange versucht hat, in einer Tanzschule unterzukommen, aber immer wieder abgelehnt wurde: "Die wollen keinen im Rollstuhl", sagt er.

Etwa ein Drittel der Teilnehmer hat eine Behinderung. Andere - so wie ich - haben zwar keine Behinderung, aber Hemmungen. Michaela (39), Werbetexterin, scheint meine Gedanken zu lesen: "Menschen ohne Behinderungen tragen viel zu viele Handicaps im Kopf rum", sagt sie, "wir schämen uns, einfach loszutanzen, während Menschen mit Behinderung das oft viel intuitiver handhaben: Sie tun's einfach."

Jetzt klatschen Katrin Diener und Nartan Zemelko in die Hände. "Jeder geht nur so weit, wie es gut für ihn ist", sagt Diener. Es ist schwül im U2-Raum. Der Sonntag wartet auf ein kühlendes Gewitter.

Hier und da glitzern Schweißperlen auf der Stirn. "Tief Luft holen", sagt Zemelko und öffnet ihre Arme. "Jeder, der einen Körper hat, kann tanzen", ruft sie fröhlich. Meiner ist matt.

Neben mir dreht Michael (67) seine Pirouetten. Seinen athletischen Körper, erzählt er, verdanke er seinem Bewegungsdrang: "Nur auf dem Sofa rumhocken, Bier trinken und Fernsehgucken, ist nix für mich." Ich fühle mich ertappt. "Wir reiben unsere Hände und legen sie aufs Gesicht, auf den Nacken, der vom Arbeiten so schmerzt, auf die Beine...", gibt Zemelko vor. Meine Hände schwitzen, aber mein Körper entspannt sich langsam. Diener und Zemelko geben einfache Bewegungen und Drehungen vor. Jeder tanzt, schwingt und dreht sich, wie es ihm in den Sinn kommt.

"Wir lernen jetzt das Führen, aber auch das Führenlassen", kündigt Zemelko die Paarübung an. Die Tanzpaare kommunizieren nur über die Hände. Meine erste Tanzpartnerin vertraut mir bei geschlossenen Augen. Ich führe sie mal nach links, mal verzögere ich den Schritt und leite sie nach vorne und hinten. Mein Blick fällt dabei auf unsere Füße: Meine Zehennägel überzieht ein Knallrot, während ihre ganz ohne Lack auskommen. So unterschiedlich unsere Füße sind, so gleich erscheinen sie jetzt im Tanz.

Dann wird abgeklatscht. Die 14-jährige Lea und ich lassen unsere Füße in einer Acht, im Tango spricht man von "Ocho", übers Parkett gleiten. Wir lachen, weil unsere Hüften nicht immer tun, was wir wollen.

Bei der nächsten Übung ist Uwe mein Tanzpartner. "Du sagst, wenn ich was falsch mache", sage ich, die mahnenden Worte Dieners im Ohr, dass Rollstuhlfahrer nach hinten kippen können, wenn man zu fest drückt. Uwe grinst und sagt: "Bei mir ist alles in Ordnung." Wir sind nun eine Wasserpflanze. Er die Pflanze, deren Wurzeln fest im Boden stehen, während ich das Wasser mime, das ihn umspielt, zieht und lenkt.

"Alles gut?", frage ich. "Ich schwitze", sagt Uwe lachend. "Ich auch. Sollen wir mal richtig mit Gas?", frage ich. "Ja", sagt Uwe. Wir nehmen Schwung auf, der Wind bläst uns kühl ins Gesicht. "Das ist gut", sagt Uwe. "Finde ich auch." Manchmal muss man sich einfach nur trauen . . .

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