Sprengsätze am maroden Hochhaus

Saarbrücken · Seit April ist das frühere Kultusministerium geräumt. Obwohl es bereits Kostenschätzungen zum Sanierungsaufwand gab, schweigt das Finanzministerium. Derweil werden im Landtag erstmals Stimmen gegen einen Kompletterhalt laut. Die Hochhaus-Scheibe an der Autobahn könne weg, heißt es.

 Die Fassade des Kultusministeriums bröckelt. Foto: Dietze

Die Fassade des Kultusministeriums bröckelt. Foto: Dietze

Foto: Dietze
 Ist der Verwaltungstrakt (oben) weniger erhaltenswert als die repräsentativen Gebäudeteile (unten)? Fotos: Bilderwerk/Stadtarchiv

Ist der Verwaltungstrakt (oben) weniger erhaltenswert als die repräsentativen Gebäudeteile (unten)? Fotos: Bilderwerk/Stadtarchiv

Es gibt Problemfälle, an denen sich Politiker die Finger verbrennen, egal, wie sie sie lösen. Eine solche "heiße Kartoffel" ist das einstige französische Botschaftsgebäude an der Stadtautobahn, vom Avantgarde-Architekten Henri-Georges Pingusson zwischen 1952 und 1954 gebaut und von 1960 an als Kultusministerium genutzt. Der Bau wird von Denkmalschützern wie eine Ikone verehrt. Darüber schütteln Bürger, die vom Ensemble nur das "schmale Handtuch" an der Autobahn kennen, den Kopf. Sie empfinden die kursierende Zahl von 30, 40 Millionen Euro Sanierungskosten als Provokation. Doch gäbe die Landesregierung den Abriss-Rufen nach, fände sie sich in einem anderen, einem bundesweiten Proteststurm der Feuilletons und Architektur-Fachzeitschriften wieder: als Horde provinzieller Kulturbanausen.

Insofern wundert nicht, dass die Öffentlichkeit bis heute auf offizielle Aussagen zu Erhaltungskosten wartet. Auch gestern war das für die Immobilie zuständige CDU-Finanzministerium auf SZ-Nachfrage nicht bereit, die Ergebnisse eines Gutachtens des Büros Brünjes offen zu legen, das 2010 (!) beauftragt worden war, Nutzungslösungen und eine "Baukostenermittlung" vorzunehmen. Vorausgegangen war 2007/2008 eine Begutachtung durch das Büro av-a. Vor diesem Hintergrund überrascht die Mitteilung des Ministeriums, dass weitere "Bausubstanzuntersuchungen" beauftragt wurden. Der Rechnungshof habe "vor dem Hintergrund der Entwicklung bei der Uni-Bibliothek" darauf bestanden, so die Auskunft. Übersetzt heißt dies: Die Uhren wurden wieder auf Null gestellt.

Dem Kultusminister missfällt das zähe Verfahren. Ulrich Commerçon (SPD ) gestern wörtlich zur SZ: "Die Verschleppung muss ein Ende haben." Er ist ein leidenschaftlicher Fan des Baus, den sein Ministerium im April verlassen musste. Commerçon schlägt vor, Ko-Finanzierungen mit den Franzosen bei der EU zu organisieren. Ihm ist klar: "Allein wird das Saarland die Komplettsanierung nicht stemmen können." Trotzdem will der Kultusminister , der zugleich für Denkmalschutz zuständig ist, genau dafür kämpfen. Auch gegen Kräfte in der eigenen Fraktion. Denn obwohl ein Kabinettsbeschluss von 2011 vorsieht, dass die Kultusmitarbeiter wieder zurückziehen sollen, legt die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Isolde Ries gegenüber der SZ erstmals ein Rettungsmodell durch "Teilerhalt" offen. Also die Zerstörung des Ensembles - ein Tabu für Denkmalschützer. Man müsse sich gegebenenfalls vom Verwaltungsgebäude (Hochhaus-Scheibe) trennen, sagt Ries, weil dessen Nutzung als Büroraum unter Denkmalschutzvorgaben die Hauptkosten verursache. Die anderen, repräsentativen Botschaftsgebäudeteile sind laut Ries besser umnutzbar, etwa für deutsch-französische Institutionen. Ries ist sicher: "Für diese Lösung werden wir Bürger-Unterstützung finden." Den Begriff des "Teilabrisses" benutzt auch Klaus Kessler (Grüne). Der frühere Kultusminister war immer schon dafür, dass das Ministerium seinen Dauersitz in der topmodernisierten Alten Post nehmen sollte. Der Verwaltungstrakt des Pingusson-Ensembles wäre dadurch verzichtbar. Kessler sagt: "Auch beim Denkmalschutz muss es ökonomische Leitplanken geben." Thomas Schmitt (CDU ) hielte eine "Teillösung" zwar für bedauerlich, schließt sie aber nicht aus: "Vor zehn Jahren hätte ich noch gesagt: Koste es, was es wolle. Das geht heute nicht mehr." Für die Piraten plädiert Andreas Augustin für eine Bürgerbefragung, sobald Kostenschätzungen vorlägen. Nur Barbara Spaniol (Linke) möchte über Teilabriss nicht nachdenken. Sie fordert die Landesregierung auf, endlich das versprochene "schlaue" Konzept vorzulegen.

Derweil hat die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) schon mal eins gemacht: Sie will die Räume kurzfristig nutzen. Denn sie steckt in Nöten, weil sich die Fertigstellung ihres neuen HTW-Domizils bis 2015/16 verzögert. Sind die Professoren lebensmüde, schließlich gilt das Denkmal als marode? Kaum. Die HTW kennt den Bau bestens, durch Forschungen eines hochkarätigen deutsch-französischen Pingusson-Workshops.

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