Eine mitreißende Winterreise

Köllerbach · Es war ein Abend großer Gefühle in der Martinskirche: Der kraftraubende Zyklus „Winterreise“ mit 24 Liedern, als ständiges Auf und Ab von Gefühlen, zog die rund 60 Konzertbesucher jede Sekunde in den Bann.

"Es knurren die Hunde, es rasseln die Ketten." Nur gut, dass es in der Köllerbacher Martinskirche schön warm gewesen ist am Freitagabend beim Konzert mit Tenor Thomas Jakobs und Pianist Christian Strauß. Wenn eisige Kälte mit heißer Wut, mit Wahn, Paranoia, Depression und massiven Suizidgedanken sich vereinigt, ist eine ganz besondere "Winterreise" angesagt. Wilhelm Müller hat sie getextet, Franz Schubert komponiert.

Trauer, Wut, Einsamkeit, enttäuschte Liebe, Ausgrenzung, Todessehnsucht, Gesellschaftskritik, hie und da vergebliches Aufblitzen von Hoffnung - so viel Emotionalität erfordert starke Charaktere. Jakobs & Strauß haben's drauf, halten den Spannungsbogen vom filigranen Frühlingstraum bis zur finalen Todesbotschaft des Leiermanns. Eigentlich für Bariton geschrieben, fordert Schubert dem Tenor, speziell in den Extremen ("Die Krähe", "Im Dorf") viel ab: perfekte Atemtechnik, extrem leises Singen, den Mut, auch mal zu explodieren. Ein gesanglicher Drahtseilakt, wunderbar gemeistert!

Der kraftraubende Zyklus mit 24 Liedern, als ständiges Auf und Ab von Gefühlen, zieht das Publikum (rund 60 Zuhörer) in jeder Sekunde in den Bann. Der junge Tenor wirkt ausdrucksstark, überzeugend, den Gefühlsextremen gewachsen. Der Pianist: Von "Begleitung" darf hier nicht die Rede sein. "Schubert hat den Klaviersatz mit größter poetischer Aussagekraft versehen und ihn sicher auch gleichberechtigt mit der Singstimme gesehen", schreibt der Experte Robert Strauß, Vater des "Flügelmannes". Das kann man unterschreiben, hat man diesen Psychokampf in der Martinskirche erlebt: Mal lässt der Pianist einzelne Töne "non legato" in den (akustisch einwandfreien) Raum tropfen, mal steigert er sich eruptionsartig in einen Rausch - der Tenor hält immer dagegen. Technisch brilliant, zu Herzen gehend, ein Abend großer Gefühle.

"Dieses tolle Gedenkkonzert haben wir Christa und Richard Weber zu verdanken", sagt der Hausherr, Pfarrer Dr. Joachim Conrad. Die Püttlinger Eheleute hätten sich, so Conrad, zeit ihres Lebens der Kunst, speziell der Musik (auch und besonders in der Martinskirche) verbunden gefühlt und mit ihrem Nachlass dieses Konzert mit zwei Interpreten aus der "ersten Liga" überhaupt erst ermöglicht.

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