„Die sitzen ihren Tod aus“

Saarbrücken · „Randständige“ nennt die Stadtverwaltung die Menschen, die sich jeden Tag an der Johanneskirche treffen. Weil diese Menschen mit Suchtproblemen Anwohnern und Passanten ein Dorn im Auge sind, hat die Stadt einen Platz am Rand des Nauwieser Viertels für sie hergerichtet – abseits vom öffentlichen Leben. Kirstin, eine Frau, die früher auch zu dieser Szene gehört hat, hält dieses Vorgehen für verantwortungslos.

 Hinter diesem Gitter ist der Hof mit Toilettenhäuschen und Bänken an der Ecke Johannis-/Richard-Wagner-Straße, in den die Stadtverwaltung die Drogenkranken, die sich bisher an der Johanneskirche treffen, „umsiedeln“ will. Foto: Martin Rolshausen

Hinter diesem Gitter ist der Hof mit Toilettenhäuschen und Bänken an der Ecke Johannis-/Richard-Wagner-Straße, in den die Stadtverwaltung die Drogenkranken, die sich bisher an der Johanneskirche treffen, „umsiedeln“ will. Foto: Martin Rolshausen

Foto: Martin Rolshausen

Kirstin hat überlebt. Aber seit 20 Jahren muss sie mit ansehen, wie Menschen, die sie gut kennt, sterben. Wie jemand tot im Gebüsch oder in einer Wohnung gefunden wird, weil er einfach zu schwach war zum Weiterleben. Es gab Zeiten in diesen 20 Jahren, da hat sich Kirstin abgewendet. Da hat sie weggesehen, wenn sie zum Beispiel mit der Saarbahn an der Johanneskirche vorbeifuhr und die Menschen dort hat sitzen sehen. Es waren Momente, in denen sie "den Tod nicht mehr sehen" konnte, wie sie sagt.

Wer will schon den Tod sehen? Vielleicht ist es aus dieser Sicht verständlich, dass die Stadtverwaltung versucht, die Gruppe von bis zu 50 Menschen wegzubekommen von der Kirche, ihnen ein paar hundert Meter weiter hinter Mauern einen Platz anzubieten?

Bürgermeister Ralf Latz (SPD ) hält das jedenfalls für eine gute Idee. "Wir wollen die Randständigen auch auf den Weg bringen, gestalterisch mitanzupacken. Es soll ein Gemeinschaftsprojekt werden", hat er vor einem Monat im SZ-Gespräch erklärt. Für Menschen, die die Haltestelle nutzen oder dort ins Nauwieser Viertel oder zum Rathaus gehen, sei die Situation "unangenehm und nicht zu dulden". Man habe handeln müssen. "Mit dem neuen Platz gehen wir auf die Bedürfnisse von beiden Seiten ein", sagt Latz.

Für Kirstin klingt das furchtbar. Sie hat mit einigen von denen, die "umgesiedelt" werden, gesprochen, versucht denen, die selbst nicht redegewandt sind, eine Stimme zu geben.

Klar, sagt Kirstin, man könne diese Menschen wegschieben. "Aber das Problem ist damit ja nicht weg", weiß sie. Das Problem ist nämlich nicht nur, dass da Menschen den ganzen Tag rumsitzen und immer wieder für mehr oder weniger Ärger sorgen. Das Problem ist, dass diese Menschen am Abgrund leben. Dass diese Menschen nicht ein paar Bänke und ein Kunststofftoilettenhäuschen brauchen, sondern Hilfe.

Und das Problem scheint zu sein, dass man sich im Kreis dreht. Denn 1999 wurden die Substituierten (das sind Menschen, die weg von Drogen sind und Ersatzmedikamente, etwa Methadon , bekommen) schon einmal zum Problemfall - an exakt derselben Stelle. Rund um die Johanneskirche wurde damals ein Bauzaun gezogen, um die Szene fernzuhalten. Engagierte Anwohner, Geschäfts- und Kirchenleute haben sich damals zusammengefunden, um eine Lösung zu suchen.

Die wurde gefunden: Auf der Berliner Promenade wurde auf Initiative der Gruppe "Junkies, Ehemalige, Substituierte - menschenwürdig leben mit Drogen" von der Arbeiterwohlfahrt ein Café für die Szene eingerichtet. Dort gab es Sozialarbeiter , sinnvolle Beschäftigung in einem Gebrauchtbuchladen, Nestwärme.

Dieses Projekt, sagt Kristin, habe ihr und anderen das Leben gerettet. Dann lief der Mietvertrag aus, man musste weg. Die Szene sammelte sich am Bahnhof, wurde von dort zur alten Post verdrängt (auch dort wurden Bänke und eine Toilette aufgestellt). Als die Post saniert wurde, zog die Szene weiter zum ehemaligen Stadtbad. Als dort mit der Sanierung begonnen wurde, zog sie wieder an die Johanneskirche. Dort "kümmern sich die Alt-Junkies um die Jungen, weil da kein Sozialarbeiter mehr ist", sagt Kirstin.

Diese "Menschen, die Namen haben, Vater und Mutter haben", beschwört sie die Politik, "die sollten nicht gehetzt werden, die sollten wieder eine feste Anlaufstelle bekommen, an der sie zur Ruhe kommen können". Ein neues Café, Sozialarbeiter , da ist sich Kirstin sicher, seien "auf die Dauer preiswerter als alles andere".

Es werde Zeit, dass sich wieder engagierte Bürger zusammensetzen, um wirkliche Hilfe zu organisieren. Ansonsten bleibe es dabei: "Die sitzen ihren Tod aus." Neulich seien "wieder zwei gestorben".

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