„Islam und Feminismus schließen sich nicht aus“

Neunkirchen · Unter der Überschrift „Feminismus – mit Kopftuch und Bikini?” ging es jetzt in Neunkirchen um Geschlechtergerechtigkeit und Rassismus in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft. Zu Gast war die Journalistin und Aktivistin Kübra Gümüsay aus Hamburg.

 Sie macht auf sich aufmerksam. Kübra Gümüsay setzt sich im Netz, in Medien und Vorträgen für die Rechte der Muslima ein. Foto: Iris Maurer

Sie macht auf sich aufmerksam. Kübra Gümüsay setzt sich im Netz, in Medien und Vorträgen für die Rechte der Muslima ein. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Über das leidige Thema Kopftuch wolle sie gar nicht mehr sprechen. Noch bevor ihr Vortrag am Donnerstagabend im Kommunikationszentrum in Neunkirchen beginnt, sagt dies die 29-jährige Hamburgerin Kübra Gümüsay in kleiner Runde. Sie selbst trägt es als gläubige Muslima. Und nein, sie sei nicht dazu gezwungen worden, fügt sie schmunzelnd hinzu, könne selbstständig denken und habe keine Lust, sich ständig für ihr Kopftuch, ihren Glauben, ihren Migrationshintergrund rechtfertigen zu müssen.

Das ist der Kern ihrer Botschaft: "Teilhabe für alle”, egal welcher religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit. Egal ob hetero-, homo-, bi- oder transsexuell, behindert oder nicht. Und so steht weniger die Benachteiligung und der Kampf muslimischer Frauen um diese Teilhabe im Vordergrund ihrer Vision vom "inklusiven Wir", sondern ganz allgemein und allumfassend das Thema Diskriminierung.

Organisiert haben den Vortrag und die Tagung am Freitag die Frauen- und Integrationsbeauftragte des Landkreises Neunkirchen gemeinsam mit der an der Hochschule für Technik und Wirtschaft angesiedelten Fachstelle "Antidiskriminierung und Diversity Saar" , die im Modellprojekt "Islam im Saarland - saarländischer Islam " viele interessante Fakten zusammengetragen hat. Partner ist auch die Frauen-Gender-Bibliothek Saar.

"Antimuslimischer Rassismus hat enorm zugenommen”, erklärt Karin Meißner von der Fachstelle. Sie zitierte viele aktuelle Studien, die dies belegen. So fühlten sich heute rund 50 Prozent der Befragten als "Ausländer im eigenen Land”. Die für die Studie Befragten schätzen den Anteil der Muslime in Deutschland auf 21,5 Prozent - Dabei liegt er heute nur bei rund fünf Prozent. Für Meißner wie Gümüsay auch Folgen einer medialen Berichterstattung, die überwiegend negativ und reißerisch über den Islam berichte. Dabei, so Meißner, belegten Studien, dass über 90 Prozent der gläubigen Muslime in Deutschland sich dem Grundprinzip Demokratie verpflichtet fühlen (Religionsmonitor 2015).

Es fehle an reflektierten Diskursen. Stattdessen würden - vor allem beim Thema Frauenrechte im Islam - meist "Kronzeuginnen" zu Wort kommen, deren Einzelfallschilderungen pauschalisiert würden. Die Ergebnisse empirischer Sozialforschung widerlegten die Allgemeingültigkeit vieler bekannter Fälle, aber deren Vertreter fänden in aufgeheizten Debatten kaum Gehör.

Und so berichtet nicht nur Gümüsay von dem ständigen Druck, sich rechtfertigen zu müssen. Auch im Publikum meldete sich ein junger eloquenter Mann arabischer Herkunft und erzählte von seinen Verletzungen: "Nach 9/11 wollten die Kinder in meiner Grundschulklasse mir nicht mehr die Hand geben, weil ich Muslim bin". Auch für die türkisch-stämmige Gümüsay war der Terrorangriff vom 11. September 2001 ein einschneidendes Erlebnis. "Plötzlich war mein Glaube ein Politikum". Sie plädiert dafür, die Religion als Privatsache zu behandeln. "Meine Spiritualität geht nur mich etwas an", sagt sie. "Ich würde mich heute nicht mehr als muslimische, sondern als intersektionale Feministin bezeichnen", denn sie kämpfe gegen Extremismus und Ausgrenzung jeglicher Art. "Islam und Feminismus schließen sich keineswegs aus", betont die Journalistin, denn es gehe doch immer um Interpretationen des Korans. Viele schlecht informierten Islamkritiker hielten den "liberalen Islam " nur für eine Abweichung eines konservativen und sexistischen Religionsverständnisses. "Und damit blasen sie ins gleiche Horn wie die Rechtsextremisten".

Ehrenmorde, Zwangsheirat, unterdrückende patriarchale Strukturen - natürlich gebe es all dies unter Muslimen in Deutschland. Wer Gewalt und Unterdrückung aber mit dem Islam rechtfertige, instrumentalisiere die Religion. Wer ein Kopftuch trage sei für viele unsichtbar, Behinderte würden oft für dumm gehalten. "Wer nicht spricht, wird nicht wahrgenommen". Das gelte für viele muslimische Frauen aus der ersten und zweiten Migrantengeneration, aber auch für viele Flüchtlinge. Man arbeite sich an Symbolen wie dem Kopftuch ab und verzerre dabei die Lebenswirklichkeit der muslimischen Minderheiten, beklagt die Journalistin, die als Autorin für überregionale Zeitungen wie die "Taz" oder "Die Zeit" schreibt und den Internet-Blog "Ein Fremdwörterbuch” führt.

Was tun dagegen? "Liebe organisieren" gegen den ihrer Meinung nach vor allem "im Netz gut organisierten Hass". Nicht wegschauen. Und als Muslim Teilhabe einfordern und bei all dem seine Träume nicht aufgeben.

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