Ruckzuck ins Unterbewusstsein

Neunkirchen · Die Freiwilligen mussten sich schon darauf einlassen. Aber dann gab es kein Halten mehr. Hypnocoach Jan Becker brachte die Damen und Herren vor den Augen seines Publikums dazu, Uhrzeiten zu sehen, wo keine sind.

Der Mann mit den breiten schwarzen Klebestreifen im Gesicht geht auf Nummer sicher. Obwohl seine Augen schon doppelt abgeklebt sind, muss noch eine Stahlmaske drüber, wohlgemerkt die mit den scharfen Kanten. So verpackt, beschreibt Jan Becker die Automobilclub-Karte und die Pflasterbox des DRK, die die junge Dame gerade im Publikum ausgeliehen hat und ihm nun entgegenstreckt. Becker tastet in der Luft, schnipst mehrfach mit den Fingern rund um das für ihn unsichtbare Objekt, geht der "Assistentin" auf Tuchfühlung. "Das Objekt ist aus Plastik ... viereckig ... weiß und rot ... da ist ein Kreuz drauf ... du denkst an einen Krankenwagen ". Das Medium ist baff, die fast 1000 Menschen in der Gebläsehalle auch.

Heimspiel für den Neunkircher, der seine ganze Familie an diesem Abend im Saal weiß samt Eltern, Patentante, Frau und dreijährigem Sohn. Sympathisch, dass der Hypnocoach diesen Trumpf im Ärmel lässt. "Batschkapp" und "Das do klebt feschd", ist alles, was an Platt fällt. Becker muss sich nicht anbiedern. Er ist auch so ganz gut im Geschäft. Das beweist das Prospekt auf jedem Stuhl, eine Übersicht seiner Hypnose-Seminare mit Preisen im drei- und vierstelligen Bereich. Ein bisschen ungeschickt wirkt dagegen, dass im Programmheft just die Geschichte vorn abgedruckt ist, mit der Becker eingangs die bis auf ein paar Stühle leere schwarze Bühne betritt. Man weiß also schon vorher von den zwei Wölfen, die in jedem von uns kämpfen. Der eine ernährt sich von Neid, Gier, Angst und Wut, der andere von Liebe, Glück, Freude und Demut. Welcher Wolf gewinnt? "Der, den du fütterst."

Und dann geht es ruckzuck ins Unterbewusstsein, "der magischste Ort, den wir je bereisen werden". Routiniert lässt Becker die Mittelfinger der Zuschauer wachsen, dann die Hände zusammen kleben - immer vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein. Die, wo es am besten "klebt" bis hin zu schmerzhaften Krampfhaltungen, dürfen auf der Bühne Platz nehmen, um sich teilversteinern und ein bisschen vorführen zu lassen. Immer wieder fragt der Hypnotiseur aufgeräumt, wie sich das anfühlt. "Ein Alptraum", meint einer der Kandidaten.

"Ich könnte mich grad noch mal hypnotisieren lassen", schwärmt Nicole Weber, eine der 16 Eingeschläferten, später völlig entspannt. "Seine Stimme geht immer weiter weg, es ist ein total wohliges Gefühl." Sie ist zum dritten Mal bei einer Show des Charismatikers und "schon ein bisschen süchtig". Letztes Jahr an gleicher Stelle hatte sich auch Alexandra Schmeer in Trance versetzen lassen. Damals in einer tiefen privaten Krise steckend, habe sie sich hinterher "wie neu geboren" gefühlt und noch lange Kraft aus dieser Begegnung geschöpft, erzählt die junge Mutter.

Nach der Pause sehen gestandene Männer Uhrzeiten, wo gar keine sind. Jan Becker liest Gedanken und bringt Menschen dazu, sich kaputt zu lachen. Und urplötzlich ist alles vorbei: "Vielen Dank. Gute Nacht."

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