Blitzer-Praxis auf dem Prüfstand

Neunkirchen · Ist die derzeitige Auswertungspraxis der Blitzersäulen in der Neunkircher Innenstadt rechtens? Diese Frage hat Rechtsanwalt Tim Oliver Feber in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Neunkirchen gestellt und ein externes Gutachten in Auftrag gegeben.

 Einer der drei Anlagen-Standorte zur Geschwindigkeitsüberwachung befindet sich in der Bliesstraße. Foto: Willi Hiegel

Einer der drei Anlagen-Standorte zur Geschwindigkeitsüberwachung befindet sich in der Bliesstraße. Foto: Willi Hiegel

Foto: Willi Hiegel

Derzeit verhandelt das Amtsgericht Neunkirchen den Fall eines Autofahrers, der von einem der sechs festinstallierten Blitzer in Neunkirchen erfasst wurde. Die Geschwindigkeitsübertretung im konkreten Fall: marginal. Es geht ums Prinzip.

Der Neunkircher Anwalt Tim Oliver Feber hat den Fall übernommen. Er stellt die Rechtmäßigkeit des Bußgeldbescheides in Frage. Sein Ansatzpunkt: die Auswertungspraxis der Messergebnisse durch eine Privatfirma und die Stadt Neunkirchen . Ein externes Fachgutachten sollte klären, wo es unter Umständen rechtsrelevante Mängel bei der Auswertung gibt. Die Ergebnisse liegen jetzt (auch der Redaktion) vor.

Die Originaldatei werde, so das Gutachten , verschlüsselt an die private Firma Jenoptik, die Betreiberin der sechs stationären Anlagen im Stadtgebiet, verschickt. Dort werden Gesamtbild, Fahrerausschnitt und Nummernschildausschnitt aufbereitet und in ein anderes Bildformat konvertiert. Dieses geht mit den Messdaten an die Stadt Neunkirchen , die als Ortspolizeibehörde für das Erstellen der Bußgeldbescheide zuständig ist. Laut Rechtsanwalt und Gutachter ist hier allerdings nicht sichergestellt, dass ein Abgleich zwischen Originalaufnahme und aufbereiteten Daten erfolgt. Zwar werde das Original mitgeschickt, sei aber in manchen Fällen wegen manuell zu korrigierender Belichtungsfehler nicht abgleichbar. Für das Leserlichmachen der Originale fehle es im Rathaus laut Gutachten aber an Wissen und vor allem an Zeit.

Auch Manipulationen bei der Bildbearbeitung könnten nicht ganz ausgeschlossen werden, wenngleich sie mit einem gewissen Aufwand zu entlarven wären. Eine Prüfung auf mögliche Manipulationen bleibe im Rathaus genauso aus wie eine Plausibilitätsprüfung, so Feber. Hier verlasse man sich einzig auf das von Jenoptik zur Verfügung gestellte Material.

Die Überwachung der Geschwindigkeit ist laut Feber und einem Erlass des Innenministeriums hoheitliche Aufgabe des Staates. Wie mehrere Urteile bereits belegen, ist die Einbindung Privater dabei zulässig, "so lange ein sachkundiger Beamter der zuständigen Behörde die Messung mit der gebotenen Sachkunde überwacht", so Feber. Genau das sehe er hier nicht gegeben. "Es erfolgt keine ordnungsgemäße Überwachung der Messung. Die Frage sei nun, ob dem Gericht die festgestellten Mängel ausreichen, damit ein sogenanntes Beweisverwertungsverbot angenommen werden kann. Das hieße, die gemachten Fotos und Messungen dürften weder für die Erstellung von Bußgeldbescheiden herangezogen, noch vor Gericht als Beweismittel eingesetzt werden.

Falls das Gericht dem Gutachten und Febers Argumentationslinie folgt, sieht Feber die Möglichkeit, dass alle Bußgeldbescheide, die nach dem beschriebenen Auswertungsverfahren zustande gekommen sind, potenziell rechtswidrig sein könnten. Für die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens gibt es aus Anwaltssicht zwei Möglichkeiten (s. Auf einen Blick). Diese wären aber mit erheblichem Aufwand bei meist geringem Streitwert verbunden.

Die Stadtverwaltung Neunkirchen teilte auf Anfrage mit, dass ihr als nicht unmittelbar am Gerichtsverfahren beteiligte Partei weder das Gutachten noch der aktuelle Stand bekannt seien. Außerdem habe es im Vorfeld entsprechende Absprachen mit den beteiligten Behörden und Unternehmen gegeben. Auch das Innenministerium habe im Oktober 2013 mitgeteilt, dass "keine grundlegenden Einwände" bestünden.

Die Stadt betont, dass wie vom Innenministerium gefordert, seitens der Stadt gewährleistet sei, dass alle Daten von Jenoptik auch an sie zurückfließen und der Ortspolizeibehörde für Verfahrensentscheidungen zur Verfügung stehen. Die "Entscheidung über die Verwertbarkeit der Aufnahmen" treffe nur die Ortspolizeibehörde selbst. Genau das zweifelt das Gutachten an. Das Urteil am Neunkircher Amtsgericht wird für Mittwoch, 20. April, erwartet.

Zum Thema:

Auf einen Blick:
Die Wiederaufnahme eines Verfahrens ist möglich, wenn neue Erkenntnisse einen anderen Ausgang erwarten lassen. Das gilt laut Ordnungswidrigkeitsgesetz dann, wenn ein Bußgeld über 250 Euro oder ein Fahrverbot verhängt wurden. In anderen Fällen wäre zu argumentieren, dass die Stadt einen Vermögenszuwachs zu Lasten eines Unschuldigen erfahren hätte. Das würde wohl dann gelten, wenn aufgrund der Messdaten eine eindeutige Identifizierung des Fahrers nicht möglich wäre, so Tim Oliver Feber. spe

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