„Ich habe ein Problem“

Neunkirchen · Nora S. hat ihr Alkoholproblem ambulant bei der Neunkircher Caritas gelöst. Heute sagt die Mitdreißigerin: „Es ist alles super gelaufen.“ Doch der Weg dahin war lang. Ein besonderes Ereignis gab den Ausschlag.

 Mindestens jeder Zweite kommt Dank einer Therapie vom Alkohol weg. Symbolfoto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Mindestens jeder Zweite kommt Dank einer Therapie vom Alkohol weg. Symbolfoto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Es ist die Geburt des Sohnes, die einen Wendepunkt in ihrem Leben darstellt. Nora S. (Name von der Redaktion geändert) spürt die Verantwortung auf ihren Schultern überdeutlich. Und kommt damit nicht zurecht. Die Mitdreißigerin: "Mit der Geburt kamen die Depressionen . Bei jedem Problemchen ist es mehr geworden. Ich bekam starke Depressionen , Angststörungen und Panikattacken." Nora S. griff damals zur Flasche und trank ihre Sorgen einfach weg, nahm noch einen Extra-Schluck, wenn sie in der Nacht nicht schlafen konnte. Fast zehn Jahre hat sie das so gemacht. Jetzt, an diesem Montagmorgen, sitzt sie im Besprechungszimmer der Caritas in der Neunkircher Hüttenbergstraße. Eine freundliche aufgeräumte Frau, die sagt, sie wolle auch anderen mit ähnlicher Problemlage Mut zusprechen. Weil es Wege heraus aus der Sucht gibt. S. hat beim Caritas-Verband eine ambulante Suchttherapie gemacht. Sie ist trocken, ihr Leben habe heute mit Mann und Kind wieder eine Qualität, wie es lange nicht möglich gewesen sei, berichtet sie.

Mit am Tisch sitzt Isabelle Uhl. Die Sozialtherapeutin bei der Fachstelle für Beratung und Behandlung von Erwachsenen mit Suchtproblemen erläutert, wer in die ambulante Rehabilitation möchte, müsse einige Bedingungen erfüllen. Sechs Wochen Abstinenz sind genauso Voraussetzung wie ausreichend Motivation und regelmäßige Teilnahme an den Gruppensitzungen. In der Neunkircher Beratungsstelle betreuen die Therapeuten rund 500 Menschen pro Jahr. Alkohol als Suchtmittel spielt bei 72 Prozent der erwachsenen Klienten eine Rolle. In die ambulante Reha, sagt Uhl, kommen etwa 15 Menschen pro Jahr. Auch ihr ist es wichtig, die Chancen zum Ausstieg aus der Sucht darzustellen. Caritas und Diakonie haben an einem Pilotprojekt teilgenommen, das die Frage nach der Abstinenz stellte. Es gab unterschiedliche Berechnungsformeln. Bei den strengsten Kriterien errechnete die Untersuchung eine Lebensführung ohne Alkohol bei 55 Prozent der Teilnehmer, waren die Kriterien etwas lockerer, lag der Prozentsatz noch deutlich höher. Uhl: "Selbst bei 50 Prozent ist das doch eine riesige Chance."

Das zu erkennen, braucht aber auch eine gewisse Zeit. Nora S. wohnt im Kreis St. Wendel, ihr Arbeitsplatz im medizinischen Bereich hat sie in Neunkirchen . Ihre psychischen Probleme sind in den Kindertagen grundgelegt. "Ich bin mit Angst vor dem Vater aufgewachsen", erzählt sie. Näher auf ihre Herkunftsfamilie eingehen möchte sie nicht. Lange war ihr nicht klar, dass der immer regelmäßigere Alkoholkonsum eine Gefahr für sie darstellte. Im Rückblick, sagt sie, überschritt sie den kritischen Punkt mit 26 oder 27 Jahren. "Ich beruhige mich mal ein bisschen", sei die innere Antwort auf das Trinken gewesen. Wegen ihrer Depressionen war sie auch beim Psychotherapeuten, schwieg dort aber über das "Beruhigungsmittel" Alkohol . Im Sommer 2014 ging sie zu ihrem Hausarzt, weil sie fürchtete, eine Grippe zu haben. Eigentlich wusste sie es da schon besser. Beim zweiten Arztbesuch riet der zum Gang in die Beratungsstelle. Nora S.: "Ich bin weinend hier aufgelaufen und habe gesagt, ich habe ein Problem." Dann kam sie in die Aufnahmegruppe, durchlebte eine Orientierungsphase und besuchte regelmäßig die Gruppen- und Einzelsitzungen.

Ein bis anderthalb Jahre kann die ambulante Reha dauern, sagt Therapeutin Uhl. Nora S. hat diese Zeit schon hinter sich, ist jetzt noch in der Nachbetreuung. Sie will sich eine Gruppe suchen, um die Aufmerksamkeit für ihr Problem zu behalten. "Es ist alles super gelaufen", sagt S. Und auch wenn das sicher nicht bei jedem Menschen mit Alkoholproblem so sein wird, alleine die Möglichkeit, ein gutes und eigenständiges Leben zu führen, sollte jeder beim Schopf fassen, sagt sie.

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