Armut verschont Neunkirchen nicht
Neunkirchen. "Das vielfältige Angebot zeigt, wie wichtig wir soziale Arbeit nehmen", stellte SPD-Fraktionschef Willi Schwender unlängst im Neunkircher Stadtrat fest
Neunkirchen. "Das vielfältige Angebot zeigt, wie wichtig wir soziale Arbeit nehmen", stellte SPD-Fraktionschef Willi Schwender unlängst im Neunkircher Stadtrat fest. "Wir gehen an die Grenzen dessen, was die Stadt leisten kann!" Er kommentierte damit eine Übersicht über das soziale Netz, das kommunale Einrichtungen, freie Wohlfahrtsverbände, Kirchen und andere in der Stadt Neunkirchen geknüpft haben. Beigeordneter Sören Meng hatte den Ratsmitgliedern in der Novembersitzung auf Antrag der SPD-Fraktion eine im Sozialamt erstellte Übersicht vorgetragen.Demnach gibt es eine breite Palette an Unterstützungsmöglichkeiten für jene, die am unteren Rand der Gesellschaft leben. Getragen vor allem durch Institutionen der freien und öffentlichen Wohlfahrtpflege, wie beispielsweise Arbeiterwohlfahrt, Caritas, DRK, Paritätischer Wohlfahrtsverband, ASB oder Diakonisches Werk. Auch Kirchen, Landkreis, Arbeitsagentur und viele Ehrenamtliche engagieren sich. Die Stadt sei unter anderem aktiv bei der Jugend- und Bildungspolitik, dem Wohnungsangebot und der Verbesserung der Jobchancen durch arbeitsmarktpolitisches Engagement wie auch Ansiedlungspolitik.
"Hier herrscht parteiübergreifender Konsens", stellte Oberbürgermeister Jürgen Fried fest. Einig war man sich auch darin, den finanziellen Einsatz für Soziales trotz Spardruck möglichst aufrecht zu erhalten. "Diese freiwilligen Leistungen müssen vor der Schuldenbremse bewahrt werden", so Schwender. Nicht viel kosten dürfte eine Anregung von Sebastian Thul (SPD): Er schlug einen "Tag der sozialen Dienste" in Neunkirchen vor.
Anlass für die sozialpolitische Bestandsaufnahme war der erste umfassende "Sozialbericht" für die Stadt Neunkirchen, der den Ratsmitgliedern im Herbst vorgestellt worden war. Er war auf Antrag der Linken-Fraktion erstellt worden, die die Bezeichnung "Armutsbericht" für treffender hält.
Der Bericht untersucht, wie viele Erwachsene in Neunkirchen wegen eines geringen Einkommens auf Sozialleistungen angewiesen sind. Bilanz: Fast jeder fünfte Neunkircher (18,4 Prozent) ist auf Transferleistungen des Staates angewiesen. Hauptsächlich in Form von Arbeitslosengeld II, im Volksmund Hartz IV genannt (5844 Personen), und von Wohngeld (1865 Personen). Erfahrungsgemäß kommt eine nicht geringe Dunkelziffer von Personen, die aus Unkenntnis oder Scham solche Leistungen nicht in Anspruch nehmen, hinzu.
Umso wichtiger sei es, dass die Stadt ein "greifbares Sozialkonzept" habe, das regelmäßig überprüft werde, betonten Beigeordneter Sören Meng und der städtische Sozialamts-Leiter Gerhard Müller im Gespräch mit der SZ. Es gebe viele Mosaiksteine wie Wärmestubb, Neunkircher Tafel usw., die sich zum sozialen Netz zusammenfügten und Armut abfederten.
Als wachsendes Problem betrachten die Sozialpolitiker die Altersarmut. Zwar beziehen derzeit erst annähernd 800 Neunkircher (1,6 Prozent der Bevölkerung) die so genannte Grundsicherung im Alter. Doch weil es immer mehr "löchrige" Erwerbsbiografien gibt, die keine ausreichende Rente zur Folge haben, droht dies ein Riesenproblem der Zukunft zu werden. "Das schieben wir vor uns her", sagt Sören Meng mit Blick auf fehlende bundespolitische Konzepte.
Meinung
Armut ist kein Imageschaden
Von SZ-RedakteurGunther Thomas
Kultureller Glanz und Glitter können die industrielle Vergangenheit Neunkirchens nicht übertünchen - zumindest noch nicht. Das wird auch dadurch bestätigt, dass in Neunkirchen fast ein Fünftel der Bevölkerung in prekären Verhältnissen lebt, mehr als es im Landesdurchschnitt sind. Das ist für die frühere Hüttenstadt keine Schande, kämpfen doch andere Städte mit ähnlicher Struktur mit genau denselben Problemen. Die Kommunen können hier nur "Reparaturbetrieb" einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung sein, die aus dem Ruder läuft. Deshalb sollte ein Rathauschef eine Armutsbilanz seiner Gemeinde nicht als "Imageschaden" betrachten. Zumal wenn - wie in Neunkirchen - , beachtliche Anstrengungen unternommen werden, um den Schwachen Hilfestellung zu geben. Die Verbesserung der sozialen Struktur ist halt das Bohren dicker Bretter.