Der „Schlossherr“ von Dagstuhl dankt ab

Dagstuhl · Mit einem fröhlichen Fest verabschiedeten am Freitag Kollegen und Mitarbeiter den Leiter des Leibniz-Zentrums für Informatik (LZI) auf Schloss Dagstuhl, Professor Reinhard Wilhelm, in den Ruhestand. Fast 25 Jahre lang war er der wissenschaftliche Direktor des Zentrums.

 Auf Schloss Dagstuhl treffen sich Informatiker aus aller Welt. Foto: Leibniz-Zentrum

Auf Schloss Dagstuhl treffen sich Informatiker aus aller Welt. Foto: Leibniz-Zentrum

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Der Vorsitzende des LZI-Aufsichtsrates, Professor Stefan Jähnichen, hob während der Feierlichkeiten am Freitag die große und weitreichende Bedeutung der Arbeit von Reinhard Wilhelm deutlich hervor: "Er ist der Schlossherr, der Schloss Dagstuhl aufgebaut und dahin gebracht hat, wo das Zentrum heute steht. Es ist weltweit so anerkannt, dass es bereits zahlreiche Versuche gegeben hat, dieses Konzept zu kopieren, jedoch ohne Erfolg. Reinhard Wilhelm hat eine Leistung erbracht, die wohl niemand außer ihm hätte erbringen können."

"Sauerländischer Sturkopf"

Das sei sicherlich auch seiner besonderen Persönlichkeit geschuldet, die Stefan Jähnichen durch ein großes Durchsetzungsvermögen, eine enorme fachliche Kompetenz und einen sauerländischen Sturkopf charakterisierte. Wilhelm sei seit vielen Jahren einer der führenden wissenschaftlichen Köpfe in der Informatik . In Vertretung der Ministerpräsidentin des Saarlandes sprach Dr. Susanne Reichrath, Beauftragte der Ministerpräsidentin für Wissenschaft, Hochschulen und Technologie, herzliche Worte der Anerkennung zur Verabschiedung von Professor Wilhelm in Dagstuhl . Sie bezeichnete das Zentrum als eine ganz besondere, außergewöhnliche wissenschaftliche Einrichtung.

Das Zentrum sei inzwischen ein wichtiger, ein unverzichtbarer Bestandteil der Informatik in Deutschland und entscheidend für die internationale Sichtbarkeit des Informatikstandortes Saarland. "Sie, Herr Professor Wilhelm haben sich immer ambitionierte Ziele gesetzt und diese konsequent verfolgt. Sie haben mit viel Kraft, Herzblut, kommunikativen Fähigkeiten, fachlichem Können und Wissen sowie mit der richtigen Nase für richtige Themen dieses Institut hier vorangebracht. Durch Ihr Engagement ist das Leibniz-Zentrum für Informatik in Dagstuhl in der internationalen Fachwelt der Informatik bekannt geworden."

Ebenfalls habe er bewirkt, dass den Nachwuchswissenschaftlern der Weg geebnet werde. Zudem habe er immer auch den Ausgleich zu der Seminarteilnahme im Blick gehabt. Professor Wilhelm habe ein hervorragendes Umfeld für Wissenschaftler geschaffen, in dem Musik, Kunst und geselliges Beisammensein eine große Rolle spielen. "Sie haben erreicht, dass die Wissenschaftler sich hier wohl fühlen, dass sie einen sinnlichen Ausgleich, beispielsweise in den Kunst-Ausstellungen hier in Dagstuhl , finden. Danke, dass Sie diesem Zentrum einen ganz runden Charakter gegeben haben", erklärte Susanne Reichrath.

Ein besonderes Abschiedsgeschenk machte Professor Otto Spaniol dem ehemaligen Schlossherrn. Er sorgte mit einer gelungenen Heinz-Becker-Vorstellung für viele Lacher. Ihm folgten drei Fachvorträge von Professor Moshe Vardi (Rice-Universität, Houston), Professor Friedrich Eisenbrand (École Polytechnique Fédérale de Lausanne) und Professor Andreas Reuter (Heidelberger Institut für Theoretische Studien, Heidelberg). Professor Otto Spaniol (RWTH Aachen ) hielt den Epilog, in dem er Professor Wilhelm durch ein eigens für ihn geschriebenes Gedicht kurz charakterisierte und den Verlust verdeutlichte.Wilhelm studierte Mathematik, Physik und Mathematische Logik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, der Technischen Universität München und der Universität in Stanford. 1977 erhielt er seine Doktorwürde von der Technischen Universität München. Seit 1978 ist er Professor für Informatik an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Seit 1990 war er wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Zentrums für Informatik in Dagstuhl . Er erhielt zahlreiche renommierte Auszeichnungen für seine wissenschaftlichen Arbeiten, unter anderem die Alwin-Walter-Medaille, die Konrad-Zuse-Medaille und das Bundesverdienstkreuz am Bande.Welche Neuerung oder Entwicklung aus dem Bereich der Informatik hat uns alle aus Ihrer Sicht in den letzten 10 bis 20 Jahren am meisten beeinflusst?

Prof. Reinhard Wilhelm: Natürlich das Internet, als Kommunikationsmedium, als Arbeitsplattform, als Marktplatz. Seine Grundlagen sind zwar älter, aber der enorme Einfluss hat sich erst in den vergangenen 20 Jahren entwickelt. Ich möchte aber auch ein negatives Beispiel aufzeigen. Die Überwachung unserer Aktivitäten ist damit möglich geworden und, wie wir im NSA-Skandal gesehen haben, auch tatsächlich im großen Stil durchgeführt worden.

Ist für die nahe Zukunft etwas ähnlich Revolutionäres aus der Informatik zu erwarten?

Wilhelm: Da schließe ich mich Churchill an, der festgestellt hat, dass Voraussagen schwierig sind, vor allen Dingen dann, wenn sie die Zukunft betreffen. Spaß beiseite! Die Entwicklung des Internets war eine Revolution. Sie hat viele wirklich neue Dinge möglich gemacht. Eine ähnlich revolutionäre Entwicklung sehe ich derzeit nicht. Ich sehe aber voraus, dass mit der immer weiter gesteigerten Rechenleistung neue Anwendungen in anderen Naturwissenschaften und vor allen Dingen in den Lebenswissenschaften ermöglicht werden, von denen die Menschheit profitieren wird.

Auf was freuen Sie sich im nun folgenden Ruhestand am meisten, zum Beispiel Hobbys, Reisen oder ähnliches.?

Wilhelm: Auf die gerade kommenden Enkel. Einer ist schon da.

 Erste Reihe: (von links) Professor Stefan Jähnichen, Professor Raimund Seidel (neuer wissenschaftlicher Direktor LZI Dagstuhl seit 1. Mai), Professor Heinz Schwärtzel (Aufsichtsratsvorsitzender LZI Dagstuhl) und Professor Reinhard Wilhelm. Foto: Sylvie Rauch

Erste Reihe: (von links) Professor Stefan Jähnichen, Professor Raimund Seidel (neuer wissenschaftlicher Direktor LZI Dagstuhl seit 1. Mai), Professor Heinz Schwärtzel (Aufsichtsratsvorsitzender LZI Dagstuhl) und Professor Reinhard Wilhelm. Foto: Sylvie Rauch

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HintergrundDas Leibniz-Zentrum für Informatik Schloss Dagstuhl verfolgt das Ziel, die Informatik (-forschung) auf internationalem Niveau zu fördern. Dazu gehören zum Beispiel die Förderung von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung, die Förderung des Forschungsnachwuchses durch dessen Einbeziehung in die Forschungsdiskussion, die wissenschaftliche Fort- und Weiterbildung, der Wissenstransfer zwischen Forschung und Anwendung der Informatik und die Erschließung neuer Anwendungsfelder der Informatik . Um diese Ziele und Aufgaben zu erfüllen, bietet Schloss Dagstuhl unterschiedliche Veranstaltungs-Typen an. Allen gemein ist die ungestörte Beschäftigung mit einem Informatik-Thema in einer gut ausgestatteten, kommunikativen Arbeitsumgebung. Jährlich kommen mehr als 3500 Wissenschaftler aus der ganzen Welt nach Dagstuhl . syr

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