Vom Inferno, das über Merzig hereinbrach

Merzig · Heute auf den Tag genau vor 70 Jahren fand der schwerste Luftangriff des Zweiten Weltkrieges auf die Stadt Merzig statt. 61 Einwohner fanden dabei den Tod. Die Bevölkerung der Stadt, aber auch die Bewohner der meisten übrigen Ortschaften des Kreises flüchteten daraufhin in weiter zurückliegende Städte und Dörfer. Viele bestiegen aber auch Transportzüge, die sie in ihre Evakuierungsgebiete bis nach Bayern brachten.

 Einer der angreifenden Bomber über Merzig. Foto: Privatarchiv Franz Büdinger, Merzig

Einer der angreifenden Bomber über Merzig. Foto: Privatarchiv Franz Büdinger, Merzig

Foto: Privatarchiv Franz Büdinger, Merzig

Der 19. November 2014 ist ein besonderer Jahrestag für Merzig : Vor genau 70 Jahren erlebte die Kreisstadt den schwersten Luftangriff durch alliierte Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg. Die Zerstörungen durch das Bombardement waren verheerend. Nach der Landung der Alliierten in der Normandie im Sommer 1944 nahm die Bedrohung aus der Luft auch für die Bevölkerung im Kreis Merzig deutlich zu. In der Folgezeit bedrohten plötzlich die Jagdbomber der Alliierten, von der Bevölkerung als Jabos bezeichnet, auch das flache Land. Sie versetzten die Menschen in der gesamten Region in Angst und Schrecken, da sie auch zivile Ziele, wie Bauern bei der Feldarbeit oder auch Einzelpersonen, angriffen. Die einheimische Bevölkerung war wegen dieser Angriffe der feindlichen Flieger sehr verbittert. Zeitgenossen berichten heute noch davon, dass die Jabos selbst solche Ziele angriffen, von denen sie eindeutig erkennen mussten, dass es sich bei ihnen um Kinder handelte.

Am 13. Juli 1944 kam es in unserer Region zum ersten Mal zu einem größeren und vor allem folgenschweren Angriff von Jagdbombern. Amerikanische Maschinen griffen einen Personenzug der Merzig-Büschfelder Eisenbahn kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof Brotdorf an. 20 Menschen verloren bei diesem Angriff ihr Leben.

Abgesehen davon, dass sie sich bei Fliegeralarm in Bunker oder Luftschutzstollen, die sie in Hänge gegraben hatten, flüchten konnten, waren die Menschen in unserer Region den Luftangriffen der Alliierten dennoch praktisch weitgehend schutzlos ausgeliefert. Während die Angriffe der Jabos vorwiegend kleineren Zielen galten, erlebte Saarbrücken am späten Abend des 5. Oktober 1944 den schwersten Luftangriff des Krieges überhaupt. 361 Todesopfer forderte das Inferno, das die Bomber der britischen Luftwaffe an diesem Abend in der Stadt anrichteten. Innerhalb weniger Stunden wurden 45 000 Menschen obdachlos. Viele Saarbrücker machten sich daher auf den Weg, um bei Verwandten oder Bekannten außerhalb der Stadt unterzukommen. Auch in Ortschaften der Merziger Region fanden Saarbrücker in dieser Zeit Unterkunft.

Dass sich der Krieg unweigerlich der engeren Region näherte, bekamen am 2. Oktober 1944 beispielsweise auch die Bewohner von Beckingen in aller Schärfe zu spüren. Am Nachmittag dieses Tages kam es kurz nach dem Schichtwechsel bei der Schraubenfabrik Karcher zu einem gezielten Luftangriff auf den Ort. Eine Kolonne von ausländischen Zwangs- beziehungsweise Zivilarbeitern marschierte unter Bewachung von der Tagesarbeit in der Firma in ihr Lager in der Felsmühle, als sie plötzlich von Tieffliegern angegriffen wurde. Es ist anzunehmen, dass die marschierende Kolonne von den Piloten für Soldaten gehalten wurde. Obwohl die Marschkolonne und alles, was sich auf der Straße befand, sofort hinter Mauern und Bäumen in Deckung ging, fanden 14 Fremdarbeiter und ein Deutscher, der allem Anschein nach zur Bewachungsmannschaft der Zwangsarbeiter gehörte, den Tod.

Nicht nur die ständige Gefahr, die von den feindlichen Jagdbombern ausging, beunruhigte mehr und mehr die einheimische Bevölkerung. Auch der immer deutlicher vernehmbare Geschützdonner kündigte sozusagen in aller Klarheit an, dass es nicht mehr allzu lange dauern würde, bis die feindlichen Truppen vor dem Westwall an der Saar stehen würden.

Die Besorgnis der Bevölkerung wurde angesichts der Tatsache, dass die Front unweigerlich näher rückte, immer größer. Dies war in jenen Tagen nicht allein im Kreis Merzig so, sondern in wohl allen Orten unserer Region. Dies drückt auch der sehr objektiv und sachlich gehaltene Stimmungsbericht des Oberlandesgerichtspräsidenten vom November 1944 aus, wenn es darin heißt: "Die Stimmung ist gedrückt. Die Lage wird nicht mehr mit so großer Zuversicht betrachtet. Die Menschen an der Westgrenze sehen und spüren, wie die Front und der Kanonendonner immer näher kommen, wie Tag und Nacht ein Luftalarm den andern ablöst und wie Tiefflieger das Land mit Bordwaffen bestreichen, ohne dass eine Fliegerabwehr sichtbar wird. (...) Die Stimmung der Bevölkerung an der Grenze wird auch dadurch stark beeinträchtigt, dass sie seit Wochen vor der bangen Frage steht, ob sie neuerdings ihre Heimat räumen muss. (…) Gerade weil sie schon einmal eine Evakuierung mitgemacht hat (…) wünscht die Bevölkerung unter allen Umständen an ihren Wohnstätten zu bleiben."

Dies war zu diesem Zeitpunkt auch das Bestreben vieler Bewohner der Kreisstadt Merzig . Johann Heinrich Kell schreibt in diesem Zusammenhang in seiner "Geschichte der Stadt Merzig und des Merziger Landes": "In immer größerer Anzahl zogen die Bomber in wohlgeordneten Geschwadern ostwärts, und aus der Richtung ihrer Flüge konnte man schon das jeweilige Ziel vermuten. Monatelang hielt - so schien es - diese Methode an, und wir hatten uns hier sozusagen an den Gedanken gewöhnt, dass nicht wir einmal das Ziel eines solchen Zuges sein würden. So kam der 17. November 1944, der diese Illusion jäh zerstörte: Grausam traf das Schicksal die ganze Familie Karl Walter und mit ihr einige Nachbarn, die im Hause Walter Schutz gesucht hatten." Acht Menschen hatten an diesem Tag bei einem Fliegerangriff in der Stadt den Tod gefunden.

Zwei Tage später, an dem besagten 19. November 1944, brach dann ein regelrechtes Inferno über Merzig herein, als ein Bombergeschwader von 60 Maschinen auf die Stadt zuhielt. Johann Heinrich Kell berichtet: "Zwei Tage später war in Befürchtung neuer Angriffe der einzige Sonntagsgottesdienst besonders früh angesetzt worden; trotzdem nötigte Alarm zum Abbruch der heiligen Handlung und die Teilnehmer zum vorzeitigen Verlassen des Gotteshauses. Unheilschwanger lastete die Atmosphäre auf der gequälten Kreatur. Mit halbem Herzen nur standen die Hausfrauen am häuslichen Herd, der dieses besonderen Sinnes längst entkleidet war, und richteten flüchtig das karge Mahl; oft saßen sie vor dem Bunker oder Luftschutzkeller mit Vorbereitungsarbeiten für ein Essen, das mehr als einmal verspätet und verdorben eingenommen werden musste - so wenig durfte man sich noch von dem Schutzraum entfernen.

So zogen zögernd die Stunden dahin, und die Menschen standen umher in steter Bereitschaft, beim Ertönen der Sirene die Schutzräume aufzusuchen -da, kurz vor 10 Uhr vormittags, heulte die Sirene auf, und alsbald kam von Mondorf her das Tal hinab auf die Saar zu ein Geschwader von zehnmal sechs Bombern - in verhältnismäßig geringer Höhe. In schnurgerader Richtung folgte eine Sechsergruppe der anderen. Dann brach merkwürdigerweise - etwa in der Höhe der zweiten Bunkerlinie rechts der Saar - die Spitze im rechten Winkel nach links ab und zog, von den anderen Gruppen gefolgt, am Fuße des Hohenberges entlang über Thiels Park hinweg in Richtung Boch-, Memeler- und Danziger Straße, schlug wieder einen Haken und verließ - über die Altstadt am Fuße des Kreuzberges hin streichend - das Weichbild der Stadt.

Und während dieses unheimlichen Zuges fielen die Bomben, barsten die Häuser, bebte die Erde und erzitterten die Bunker. Als wir uns nach eingetretener Stille herauswagten, stiegen an zahlreichen Stellen graue Staub- und dunkle Rauchwolken gen Himmel empor und kennzeichneten so den Weg der grauenvollen Zerstörung.

61 Mitbürger lagen tot unter den Trümmern, 29 Frauen und 17 Männer über 20 sowie sechs weibliche und neun männliche Personen unter zwanzig Jahren. Alt und jung, Frauen, Männer und Kinder, waren aus dem Leben gerissen worden (…). Eine grausige Ernte hatte der Tod gehalten in unserer Heimatstadt. - Unzweideutig war damit das Signal zum Verlassen einer Stätte gegeben, die ihren Bürgern Heim und Obdach nicht mehr zu bieten vermochte. Und als wir nach einigen Stunden mit vielen anderen im Schutze der Nacht die Stadt verließen, da loderten noch an mehreren Stellen die Flammen empor und beleuchteten das erschütternde Bild der Vernichtung."

Auch die Bewohner der übrigen Ortschaften der "Roten Zone", wie beispielsweise die von Beckingen, Saarfels und Haustadt bekamen die Bitterkeit jener Tage am 19. November 1944 in aller Deutlichkeit zu spüren. Pater Anton Antpöhler, der damals in Beckingen als Kaplan seinen Dienst verrichtete, nannte dem Verfasser dieses Datum als den Termin, an dem für die in der "Roten Zone" gelegenen Dörfer Beckingen, Haustadt und Saarfels der offizielle Räumungsbefehl bekannt gegeben wurde. Obwohl darauf gedrängt wurde, die Orte zu verlassen, versuchten viele der Bewohner der in der "Roten Zone" gelegenen Ortschaften, noch so lange als irgend möglich in ihren Heimatorten zu bleiben.

Die Lage wurde in der gesamten Region nun immer bedrohlicher. Pfarrer Krummeich aus Düppenweiler hielt in seinen Aufzeichnungen fest, dass man am 20. November 1944 den ganzen Tag über die Keller habe aufsuchen müssen, weil viele Tiefflieger über den Ort geflogen seien. In Düppenweiler, das zu diesem Zeitpunkt noch keinen Evakuierungsbefehl erhalten hatte, hätten sich daher viele Menschen mit dem Gedanken der Flucht getragen. Zettel wurden im Ort ausgetragen und den Fuhrwerksbesitzern wurde befohlen, die Wagen zur Flucht zu richten. Auch kamen, wie bereits in den Tagen zuvor, wiederum viele Flüchtlinge aus den Dörfern jenseits der Saar.

Wie bereits bei Kriegsausbruch im September 1939 zogen auch im November 1944 wieder Flüchtlinge aus den Dörfern jenseits der Saar mit ihren Gespannen, manche aber auch nur mit dem Handwagen durch das Haustadter Tal. Zum Teil führten sie sogar ihr Vieh mit - Pferde, Kühe und Schweine. Viele verkauften hier ihr Vieh mangels Futter an das in Reimsbach liegende Volkssturmbataillon, andere fanden für ihre Tiere noch Platz zum Unterstellen in den Ställen der Einheimischen. "Da sich hier nun nicht nur die Etappe etablierte", berichtete Pfarrer Zimmer aus Reimsbach, "sondern neben der kämpfenden Truppe, die in großer Zahl dort gelegen hatte, auch die Kreisleitung der Partei aus Merzig und das Bürgermeisteramt aus Beckingen einquartiert waren, wurde die Unterkunft äußerst knapp."

Ein großer Teil der Flüchtlinge machte daher zunächst in Oppen erstes Quartier und blieb mehrere Tage oder länger dort, manche sogar bis der Krieg vorbei war. Fast jedes Oppener Haus nahm damals Flüchtlinge auf. Die meisten kamen aus den Gaudörfern, aus Rehlingen, Siersburg, Gerlfangen, Fürweiler. Später fanden aber auch Beckinger und Haustadter sowie im Dezember schließlich sogar viele Reimsbacher Aufnahme in Oppen.

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