Ein Weck zu Kaisers Geburtstag

Merzig · Geschehnisse im Dreikaiserjahr 1888 zeugen von der Hohenzollernverehrung in der Region .

 Als Kaiser Wilhelm I. am 15. März 1871 mit dem Zug durch unser Land reiste, begrüßte ihn die SZ auf Seite 1 mit einem Gedicht. Foto: Uwe Bellhäuser

Als Kaiser Wilhelm I. am 15. März 1871 mit dem Zug durch unser Land reiste, begrüßte ihn die SZ auf Seite 1 mit einem Gedicht. Foto: Uwe Bellhäuser

Foto: Uwe Bellhäuser

Es hat den Anschein, als ob die damals zu über 97 Prozent katholische Bevölkerung ihren Frieden mit dem preußisch-wilhelminischen Staat gemacht hatte. Der Kulturkampf Bismarcks in den 1870er Jahren gegen die katholische Kirche, unter dem auch die Geistlichen im Kreis Merzig zu leiden hatten, schien vergessen zu sein. Das kulturelle und gesellschaftliche Leben unterschied sich wohl kaum von anderen preußischen Gebieten im wilhelminischen Kaiserreich.

Die Hohenzollerndynastie wurde von großen Teilen der Bevölkerung geradezu verherrlicht. Selbst in den kleinsten Dörfern des Kreisgebietes feierten die Menschen alljährlich am 27. Januar den Geburtstag von Kaiser Wilhelm II. Dieser hatte am 15. Juni 1888 den Thron bestiegen. Die örtlichen Vereine veranstalteten Festessen und die Schulkinder erhielten ihren "Kaiserweck". Dem Kaiser wurde von breiten Bevölkerungsschichten, obwohl dies für Menschen der heutigen Zeit nur schwer nachvollziehbar und überhaupt nicht verständlich ist, große Verehrung und Vertrauen entgegengebracht.

Das Jahr 1888 ging übrigens als Dreikaiserjahr in die deutsche Geschichte ein. Auf Wilhelm I., der am 9. März gestorben war, folgte zunächst sein an Kehlkopfkrebs erkrankter Sohn Friedrich Wilhelm als Friedrich III., der allerdings nach nur 99 Tagen Regentschaft am 15. Juni starb. Ihm folgte am selben Tag schließlich dessen ältester Sohn Friedrich Wilhelm, der als Wilhelm II. dann den Thron als Deutscher Kaiser und König von Preußen bestieg.

Ein fast alle Lebensbereiche durchdringender Militarismus, verknüpft mit einer Glorifizierung der Hohenzollerndynastie, war ein wesentliches Element des nach Kaiser Wilhelm II. benannten wilhelminischen Zeitalters. Er herrschte nicht nur in bürgerlichen Kreisen, sondern selbst in weiten Teilen der Arbeiterschaft und unter den Bauern vor. Mit dem Begriff des "Militarismus des wilhelminischen Reiches" werden eine Reihe von Einstellungen und Verhaltensweisen bezeichnet, die die Gesellschaft des Kaiserreiches vor dem Ersten Weltkrieg charakterisiert haben. Dazu zählen das hohe Sozialprestige des Militärs, die Idealisierung kriegerisch-kämpferischer Tugenden, die Glorifizierung soldatischer Traditionen und die Übertragung einer Kriegsmentalität auf den zivilen Bereich, die hohe Akzeptanz kompromissloser Machtausübung, die Bereitschaft, Gewalt bei der Durchsetzung nationaler politischer Ziele zu befürworten und nicht zuletzt auch die Hochrüstung unter Anspannung aller nationalen Kräfte sowie die Autonomiebestrebungen der Militärs.

Dementsprechend wurde auch in unserer Region bis tief in bürgerliche Kreise hinein das Militär als Garant der nationalen Einheit angesehen. Die Uniform war gleichzeitig jedoch auch ein Symbol für die Distanz der traditionellen Militäreliten, sprich der Aristokratie, gegenüber der Zivilgesellschaft. So prägte militärischer Geist, vornehmlich in Gestalt der selbst in den kleinsten Orten existierenden Militär- oder Kriegervereine die Vereins- und Festkultur der Vorkriegsjahre, deren Aufmärsche und Festlichkeiten strengem militärischem Ritual unterlagen.

Neben dem Geburtstag des Kaisers war der Sedanstag, ein weiterer ganz besonderer Gedenktag, der im Deutschen Kaiserreich mit militärischem Glanz und Gloria jährlich um den 2. September gefeiert wurde. Dieser Tag erinnerte an die Kapitulation der französischen Armee am 2. September 1870 nach der Schlacht von Sedan, in der preußische, bayerische, württembergische und sächsische Truppen nahe der französischen Stadt den entscheidenden Sieg im Deutsch-Französischen Krieg errungen und den französischen Kaiser Napoleon III. gefangen genommen hatten.

Die Aufmärsche und Festlichkeiten, die an diesen besonderen nationalen Gedenktagen stattfanden, wurden von den Kriegervereinen veranstaltet und mit militärischem Gepräge und Zeremoniell gestaltet. Daneben brachten, wie bereits erwähnt, die Aktivitäten der berufsständischen Vereine, der Musik- und Gesangvereine, der Turn- und Sportvereine sowie der kirchlichen Vereine und Gruppierungen Abwechslung in den doch recht mühevollen Alltag der Menschen. In zahllosen Berichten über Aktivitäten dieser Vereine wird die Verehrung der Menschen auch hier in unserer Region für den Kaiser und die Hohenzollerndynastie immer wieder deutlich.

Das militaristische Denken schuf sich in der breiten Bevölkerung mit den Vorstellungen eines nach Revanche lüsternen "Erbfeindes" Frankreich und eines Deutschland "den Platz an der Sonne" neidenden Englands einleuchtende und dauerhafte Feindbilder. Insbesondere im Verhältnis zu Frankreich spielte die nach 1871 gepflegte Erinnerungskultur an die Auseinandersetzungen im deutsch-französischen Krieg hier im Grenzgebiet und vor allem an die Schlacht von Spichern eine unheilvolle Rolle. Diese Erinnerungskultur wurde vor allem der männlichen Jugend nahegebracht. So führten beispielsweise Schulen aus unserem Raum regelmäßig Ausflüge nach Spichern durch. Dort wurden Eindrücke vom Schlachtfeld vermittelt und die Kämpfe von 1870 als Heldentaten glorifiziert, denen es nachzueifern galt.

Die Zeit nach dem Krieg von 1870/71, so viel ist aus den vorstehenden Ausführungen deutlich geworden, war für unsere Region im Grunde genommen von einem deutlichen Aufschwung und einer vielfach zu spürenden Verbesserung der Lebensumstände gekennzeichnet. Manche Historiker sprechen, bezogen auf die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung nach 1895, von einem ersten deutschen Wirtschaftswunder. Die Wachstumsraten waren tatsächlich imponierend. Zwischen 1895 und 1913 verdoppelte sich die Gesamtproduktion von Industrie und Handwerk, die Wertschöpfung der gesamten Volkswirtschaft wies eine Steigerung um 76 Prozent auf.

Die rasante Produktivitätssteigerung in der Industrie überforderte die Aufnahmefähigkeit des Binnenmarktes. Mit Macht drängte das Deutsche Reich daher auf die Weltmärkte; die deutschen Exporte nahmen von 1895 an sprunghaft zu. 1913 kam Deutschland knapp hinter Großbritannien auf den zweiten Platz im Welthandel; in einigen Bereichen hatte es der bis dahin führenden Handelsnation sogar bereits den Rang abgelaufen. Die Wachstumsdynamik der deutschen Volkswirtschaft beruhte vor allem auf dem Aufstieg neuer industrieller Leitsektoren: der chemischen und der Elektroindustrie. In beiden Bereichen errang das Deutsche Reich eine führende Stellung auf den Weltmärkten, bei einigen Produkten, wie künstlichen Farbstoffen oder pharmazeutischen Erzeugnissen bis hin zum Monopol.

Noch höhere Wachstumsraten als die chemische hatte die Elektroindustrie zu verzeichnen. Traditionell stark war auch die Stellung des deutschen Maschinenbaus. Die Automobilindustrie spielte dagegen vor 1914 noch kaum eine Rolle. Ein Auto zu besitzen war ein Luxus, den sich nur wenige Wohlhabende leisten konnten. Im gesamten Reich waren bei Ausbruch des Krieges noch nicht einmal 100.000 Pkw zugelassen.

Die imperialistische Machtpolitik, die sich vor allem im Bau einer großen Schlachtflotte und dem Erwerb von Kolonien äußerte, fand auch im Bürgertum, der neben dem Adel führenden Gesellschaftsschicht des Kaiserreichs, begeisterte Zustimmung.

Nicht zuletzt brachte der Aufbau der deutschen Schlachtflotte der Merziger Region zumindest indirekt große wirtschaftliche Vorteile. Denn gerade die Dillinger Hütte, wo viele Menschen des Kreisgebietes Beschäftigung fanden, war durch die Produktion von Schiffsblechen und Panzerplatten großer Nutznießer dieser Politik. Die Belegschaft wuchs dadurch von rund 2500 im Jahre 1897 auf knapp 7000 Beschäftigte bei Ausbruch des 1. Weltkrieges.

In der breiten Bevölkerung herrschte die Meinung vor, dass die Industrialisierung den Wohlstand ganz allgemein gehoben hatte. Man hatte erkannt, dass der Einsatz der Dampfmaschine sowie die Erfindungen und Forschungen in Technik und Chemie auch den Menschen zugutegekommen waren. Die Fortschritte im Verkehrs- und Kommunikationswesen durch Dampfschifffahrt, Eisenbahn, Telegrafie und Telefon hatten die Menschen zusammengeführt, die Erfolge der Medizin sie von großem Leid erlöst. Aber auch in sozialer Hinsicht war im Bewusstsein vieler Zeitgenossen durch die auf Bismarck zurückgehende Sozialgesetzgebung ein bedeutender Fortschritt errungen worden.

Allerdings war die persönliche Situation vor allem der Arbeiterschaft im Kreis Merzig nach heutigen Maßstäben gesehen alles andere als zufrieden stellend. Die Industrialisierung hatte das Kreisgebiet trotz der vielen Betriebe, die neu entstanden waren, im Grunde genommen doch recht stiefmütterlich behandelt. Kurz vor Kriegsbeginn waren allein die Fabriken von Villeroy & Boch in Mettlach und Merzig mit 2400 und 750 sowie die Schraubenfabrik Karcher in Beckingen mit 900 Beschäftigten Betriebe, die einer größeren Belegschaft Arbeit und Brot bieten konnten.

Ein großer Teil der Erwerbstätigen des Kreises Merzig war daher immer noch gezwungen, Arbeit in den außerhalb des Kreisgebietes gelegenen Saargruben und Hüttenwerken zu suchen. Vor allem für die Berg- und Hüttenarbeiter aus den Hochwalddörfern brachte aus diesem Grund die Fertigstellung der Merzig-Büschfelder Eisenbahn im Jahr 1903 endlich eine bedeutsame Erleichterung. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie nämlich gezwungen, einen großen Teil des Weges zu ihren Arbeitsstätten zu Fuß zurückzulegen. Durch den Bau dieser Bahn erhielten nun neben Merzig und Büschfeld auch Nunkirchen, Münchweiler, Niederlosheim, Losheim, Bachem und Brotdorf kleine Bahnhöfe und Haltepunkte. Gleichzeitig war durch diese Strecke zudem eine Verbindung von der Saarstrecke zur Strecke Hermeskeil-Wemmetsweiler geschaffen worden.

Zu Beginn des Jahrhunderts waren auch im Kreis Merzig grundlegende technische Neuerungen zu verzeichnen. In vielen Orten wurden Wasserleitungen verlegt, hielten Elektrizität und Fernsprechverkehr, wenn auch längst noch nicht flächendeckend, Einzug. Ende 1905 lernten schließlich auch in Merzig "die Bilder laufen". Im Februar 1906 stand beispielsweise eine Kinovorstellung in Merzig an.

Aus einem Bericht der Merziger Volkszeitung vom 6. Februar 1906 geht hervor, dass das in dieser Vorstellung gezeigte Filmmaterial ganz dem damals herrschenden Zeitgeist entsprach. So hieß es dort: "Nur neue Bilder wurden uns gezeigt. Sie ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Von einem Flimmern, welches man bei lebenden Fotografien so oft beobachtet, ist hier so gut wie nichts zu bemerken. Vor allem sind es verschiedene Szenen aus dem deutschen Militärleben, den Einzugsfeierlichkeiten des deutschen Kronprinzenpaares in Potsdam und den Kaisertagen in Koblenz, welche, auf die Leinwand gezaubert, unsere Blicke fesseln. Auch mit vielen humorvollen Nummern ist das reichhaltige Programm ausgestattet. Mit großem Interesse verfolgt man das Bild einer Automobilwettfahrt von Paris nach Monte Carlo. Beide Vorstellungen am Sonntag und auch die gestrige erfreuten sich eines guten Besuches. Heute Nachmittag findet eine Kindervorstellung zu ermäßigten Preisen, heute Abend Schlussvorstellung mit vollständig neuem Programm statt."

< Wird fortgesetzt.

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