Kanonendonner aus Metz drang bis Merzig

Merzig · Die eigentliche Schlacht um Spichern, die später gerade hier in unserer Region regelrecht glorifiziert werden sollte, was an späterer Stelle noch gezeigt wird, fand am 6. August 1870 statt. Karl Voltz beschreibt diesen Tag, wie folgt: "Am frühen Morgen des schicksalsschweren 6. August verließ der Armeeführer unser Haus zum Aufbruch in die Schlacht. Auch diese Szene steht mir heute noch so lebendig vor Augen, als hätte ich sie erst gestern erlebt. Wieder hielt der Vierspänner vor unserer Treppe, an der sich bereits eine große Menschenmenge angesammelt hatte, als Steinmetz zur Abfahrt erschien. Allgemeines Aufsehen erregte es, als er vor dem Einsteigen von der Treppe aus erst das Viergespann mit strengem Blick musterte und, da die Vorderpferde nicht genau ausgerichtet waren, den Reiter anpfiff und ihm in barschem Tone befahl, den einen Schimmel zurückzunehmen. Kein Wunder, dass aus der betroffenen Menge nur ein gedämpftes ‚Hurra‘ ob dieses Verhaltens angesichts der in den Kampf auf Leben und Tod ziehenden Truppen ertönte. Am Nachmittag dieses Tages kam es dann durch die draufgängerische Initiative des Generals zu der ersten glorreichen aber blutigen Schlacht bei Spichern, die erst um 11 Uhr nachts nach heißem Ringen mit dem Sturm auf Stieringen und dem Rückzug der Franzosen auf Metz ihr siegreiches Ende fand."

 Die Schlacht von Spichern forderte hunderte Opfer. Gemälde von Anton von Werner. Fotos: np

Die Schlacht von Spichern forderte hunderte Opfer. Gemälde von Anton von Werner. Fotos: np

Am Morgen des 6. August hatten die Vortruppen der 1. deutschen Armee die Saar überschritten. Sie hatten dabei den Eindruck gewonnen, die Bahnhöfe von Stieringen und Forbach seien nur durch eine einfache Verteidigungslinie geschützt und die französischen Truppen befänden sich auf dem Rückzug. Französische Artillerie bedrohte aber von den Bergen um Spichern aus alle Bewegungen zwischen Saarbrücken und den französischen Stellungen.

Deutsche Verbände gingen entlang der Metzer Straße vor und stießen am späten Vormittag bei großer Hitze an der "Goldenen Bremm" und bei Schöneck auf den erbitterten Widerstand französischer Truppen .

Am frühen Nachmittag versuchten die Preußen schließlich unter großen Verlusten, den "Roten Berg" zu erstürmen, wobei der sie kommandierende General von François durch mehrere Kugeln getroffen und tödlich verletzt wurde. Nur ein kleiner Teil des Berges konnte besetzt werden; französische Gegenangriffe drohten die Preußen wieder vom "Roten Berg" zu vertreiben. Erst einige unter schweren Verlusten an Soldaten und Zugpferden auf den Berg geschaffte Geschütze halfen, die Lage zu stabilisieren.

Der Kampflärm bei Saarbrücken war auch in der Merziger Region deutlich zu vernehmen. Aus Mitlosheim heißt es hierzu: "Hier in Mitlosheim dröhnt die Erde, klirren die Fensterscheiben und erbeben die Häuser vom Kanonendonner bei Saarbrücken." Aus Merzig wurde ebenfalls berichtet, dass man "den Kanonendonner schön vernehmen konnte. Alles war auf den Beinen."

Nacheinander wurden die Goldene Bremm, der Rote Berg und der Forbacher Berg eingenommen, während es im Giffertwald zu Nahkämpfen kam. Gegen 19 Uhr befahl General Frossard den Rückzug der Franzosen aus Stieringen, aber um das Dorf zogen sich Kämpfe Mann gegen Mann bis in die Nacht hinein fort. Die Preußen, die schwere Verluste erlitten hatten, organisierten den Abtransport von Toten und Verwundeten nach Saarbrücken, da die Feldlazarette noch nicht eingetroffen waren. In der Nacht traten die Franzosen schließlich den Rückzug nach Saargemünd an. Am nächsten Morgen besetzten die Preußen kampflos Forbach. Dadurch stand der Weg in Richtung Metz offen. Durch diese Schlacht war die unmittelbare Kriegsgefahr für unsere Region zunächst einmal gebannt.

Der Sieg der Preußen war allerdings mit einem hohen Blutzoll verbunden, da es ein großes Risiko dargestellt hatte, einen Feind von unbekannter Truppenstärke und in starken Stellungen anzugreifen. Die Heeresleitung unter Moltke hatte auch noch keinen Angriffsbefehl erteilt. Das eigenmächtige Handeln von Teilen der Armee Steinmetz, das in einer Niederlage hätte enden können, wurde durch Steinmetz später gedeckt. Auf jeden Fall war es verlustreich, denn es hatte auf deutscher Seite zu 850 Toten und 4000 Verwundeten unter den nicht ganz 20 000 eingesetzten preußischen Soldaten geführt. Auf französischer Seite waren demgegenüber 320 Tote und 1660 Verwundete zu beklagen. Daneben gerieten von den etwa 25 000 eingesetzten Soldaten 2100 in Gefangenschaft. General Steinmetz wurde übrigens aufgrund seines eigenmächtigen Vorgehens wenig später von seinem Kommando entbunden.

Im später so bezeichneten und als Gedenkstätte hergerichteten "Ehrental" fanden viele der gefallenen Soldaten ihre letzte Ruhestätte. Die Gräber der gefallenen Offiziere und die Magd Katherine Weißgerber, genannt "Schultze Katrin", die sich bei der Versorgung der Verwundeten hervorgetan hatte, wurden besonders ausgeschmückt und als "Ehrengräber" bezeichnet. Das "Ehrental" wurde in der Zeit nach der Reichsgründung für die Bevölkerung der Saarregion so etwas wie eine nationale Pilgerstätte. Ganze Schulklassen besuchten im Rahmen von Schulausflügen diesen Ort und nahmen auf diese Weise Anteil an der Ausbildung des nationalen Hochgefühls, das zu Zeiten des Kaiserreiches in Deutschland gepflegt wurde.

Die Nachrichten vom Sieg der deutschen Truppen bei Spichern erreichten die Menschen in unserer Region noch am späten Abend des 6. August 1870, wie aus Mitlosheim vermeldet wurde: "Deutsche Meldereiter, damals ‚Staffette‘ genannt, kommen noch in später Abend- und Nachtzeit und bringen freudestrahlend auch unserem Ort die Siegesnachricht. Alles atmet auf und stimmt in Begeisterung in die Hoch- und Hurrarufe ein."

Der Jubel, der ausbrach, nachdem die Nachricht vom Sieg der deutschen Truppen in der Merziger Region eintraf, war trotz der hohen Verluste riesengroß, wie Karl Voltz weiter berichtet: "Nun waren wir nach der mit ungeheurem Jubel und mit Viktoriaschießen aufgenommenen ersten Siegesnachricht, zu der sich als zweite die Kunde vom gewaltigen Erfolg der dritten Armee des Kronprinzen bei Weißenburg und Wörth, am gleichen Tage gesellte, vom Alpdruck des feindlichen Einbruchs erlöst.

Angesichts des weiteren siegreichen Vordrängens unserer Truppen , kehrte alles allmählich zur gewohnten Tätigkeit zurück, soweit es die Lücke der ausgerückten Väter und Söhne zuließ. Für uns Jungen aber begann eine herrliche Zeit. Die Last der Schule drückte uns nicht sonderlich mehr. Zwei unserer Lehrer standen im Feld und der Unterricht wurde notdürftig durch Hilfskräfte, den Ortskaplan, einen Elementarlehrer sowie durch den mit meinem Vater befreundeten Pastor Fammler in Wahlen aufrechterhalten. Unser hochbetagter Pastor Kipp, der schon einige Jahre vorher sein 50-jähriges Priesterjubiläum gefeiert hatte, war leider zu alt dazu."

Dem jungen Karl Voltz wurde einige Tage später allerdings auch bewusst, dass die Jubelstimmung, die die Bevölkerung ergriffen hatte, auch ihre Schattenseiten aufwies, wie er weiter berichtet: "Zum ersten Mal in meinen jungen Jahren traten mir aber auch die Schrecken des Krieges leibhaftig vor Augen, als mein Vater mich zwei Tage nach der Schlacht zur Besichtigung des Spicherner Kampffeldes mitnahm. Dieser Anblick der rötlichen Höhen mit den zerschossenen Bäumen auf dem steil ansteigenden Gelände und der massenweise herumliegenden Helme, Käppis, Patronenhülsen und allerlei Ausrüstungsgegenständen, ist mir unvergesslich geblieben. Besonderen Eindruck machten dabei die kastenartigen Patronenhülsen der zum ersten Male in Tätigkeit getretenen Mitrailleusen. (Dabei handelte es sich um manuell zu bedienende Salvengeschütze; d. Verf.)

Die Waffen waren bereits gesammelt und die Gefallenen oberflächlich meist in den von dünner Erdschicht zugedeckten Schützengräben beerdigt. Auf der Höhe der Walstatt drang schon der ferne Donner der Kanonen aus dem Riesenkampf um Metz an unser Ohr. Was nun folgte, trug sich in allen Gauen Deutschlands zu. Viktoriaschießen und Fahnenwehen folgte auf die sich Schlag auf Schlag immer steigernden Siegesnachrichten mit der Gefangennahme Napoleons in Sedan, der Kaiserproklamation in Versailles, dem Einzug in Paris, der Kapitulation von Straßburg und Metz bis zum Frieden von Frankfurt, der Elsass-Lothringen wieder mit dem neuen Deutschen Reiche vereinigte."

Die französischen Truppen wurden in der Folgezeit von den in Frankreich einmarschierten deutschen Armeen durch die beweglichere deutsche Führung ausmanövriert. Sie wurden meist umfasst und zu teils überstürzten Rückzügen oder zu Teilkapitulationen gezwungen. Vernichtende Niederlagen erlitten die Franzosen u.a. bei Gravelotte und am 1. September 1870 bei Sedan, wo sich Napoléon III. zudem den Deutschen gefangen gab. Vor allem der Sieg in der Schlacht bei dem rund 15 Kilometer westlich von Metz gelegenen Gravelotte wurde später zu einem geflügelten Wort. Dieses lautete: "Das ging so flott, wie einst bei Gravelotte."

Durch einen Vorstoß auf Paris sollten der Krieg beendet und die nun offen erhobenen territorialen und finanziellen Forderungen durchgesetzt werden. Schon am 21. August 1870 waren die beiden elsässischen Departments und mehrere lothringische Arrondissements als Generalgouvernment Elsaß und Deutsch-Lothringen unter deutsche Verwaltung gestellt worden. Ihre spätere Annexion war schon zu diesem Zeitpunkt fest vorgesehen. Die Belagerung von Paris dauerte vom 19. September 1870 bis zum 28. Januar 1871. Sie führte zur Niederlage der neubegründeten Dritten Republik Frankreichs und zur Gründung des Deutschen Kaiserreiches. Zwar war die unmittelbare Kriegsgefahr für die Saarregion nach der Schlacht von Spichern und dem Einmarsch der deutschen Armeen in Frankreich vorüber. Dennoch bekamen in der Merziger Region die Menschen in den Dörfern entlang der Eisenbahnstrecke durch das Saartal die Auswirkungen des Kampfgeschehens aufgrund von Eisenbahntransporten immer wieder vor Augen geführt. < Wird fortgesetzt.

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