Marienerscheinung wurde zum Politikum

Merzig · Es kann also davon ausgegangen werden, dass sich innerhalb des Dorfes zwei gegensätzliche politische Gruppierungen gebildet hatten. Auf der einen Seite stand der Pfarrer mit seiner Anhängerschaft, bei der es sich mit Sicherheit um den weitaus überwiegenden Teil der Bevölkerung handelte. Die Pfarrer standen von ihrer politischen Grundausrichtung hier in unserer Gegend ausnahmslos dem Zentrum und damit der Partei, die die katholischen Interessen vertrat, nahe.

 Die Marienkapelle im Marpinger Härtelwald ist sichtbarer Ausdruck der Marienverehrung, die sich seit den ersten gemeldeten Marienerscheinungen in dem Ort manifestiert. Am 3. Juli 1876 soll es dort die erste Erscheinung gegeben haben. Die frühen Pilgerreisen dorthin waren seinerzeit auch Ausdruck eines politischen Widerstandes der Bevölkerung im damals schwelenden Kulturkampf zwischen Staat und Kirche. Foto: ATB

Die Marienkapelle im Marpinger Härtelwald ist sichtbarer Ausdruck der Marienverehrung, die sich seit den ersten gemeldeten Marienerscheinungen in dem Ort manifestiert. Am 3. Juli 1876 soll es dort die erste Erscheinung gegeben haben. Die frühen Pilgerreisen dorthin waren seinerzeit auch Ausdruck eines politischen Widerstandes der Bevölkerung im damals schwelenden Kulturkampf zwischen Staat und Kirche. Foto: ATB

Foto: ATB

Bei der anderen Gruppierung handelte es sich dagegen um die wahrscheinlich nur verhältnismäßig kleine Minderheit der Anhänger der liberalen, staatstragenden Parteien des preußisch-deutschen, in starkem Maße protestantisch geprägten Kaiserreiches.

Der Konflikt zwischen Kirche und Staat während des Kulturkampfes schlug sich in besonderem Maße auch in Haustadt nieder. Der Trierer Bischof hatte nämlich im Sommer 1873 gegen die "Maigesetze" verstoßen, als er den Kaplan Fellenz zum Pfarrer von Haustadt ernannt hatte, ohne dies zuvor dem Oberpräsidenten in Koblenz anzuzeigen. Die Pfarrstelle in Haustadt war seit dem 27. Januar 1873 vakant gewesen. Unmittelbar mit seinem Amtsantritt setzte auch die Verfolgung des neuen Haustadter Pfarrers ein. Behördlicherseits wurde ihm mit Strafe gedroht, falls er sein Amt ausübe, was er jedoch, wenn auch unter schwierigsten Umständen, dennoch tat. Als Fellenz am 22. November 1872 sein Amt antrat, fand er das Pfarrhaus versiegelt. Von der Polizeibehörde, das heißt dem Bürgermeister, erhielt er eine Verfügung der Regierung, die ihm die Gesetzeswidrigkeit seiner Ernennung vor Augen führen sollte und ihm Strafe androhte, falls er sein Amt ausübe. Damit die Pfarrangehörigen sich von diesem Pfarrer distanzierten, warnte der Bürgermeister davor, irgendwelche Kulturabgaben an ihn zu entrichten, da sie sonst zwei Mal bezahlt werden müssten.

Die Bevölkerung zeigte sich solidarisch mit ihrem Pfarrer und gewährte ihm Unterschlupf in ihren Häusern. Der Geistliche versah sein Priesteramt, obwohl er sich der Verfolgung bewusst war, zunächst ohne Beeinträchtigung durch die Behörde. Lange ließen sowohl Baron von Louisenthal, der sich durch den Kulturkampf letztlich zum Rücktritt veranlasst sah, als auch der Haustadter Bürgermeister Cordel Pfarrer Fellenz gewähren, bis sie ihn schließlich durch den Gemeindediener verhaften ließen. Schließlich musste Fellenz vom 11. Mai 1874 bis zum 31. Oktober 1874 eine Haftstrafe im Gefängnis verbringen. Er war mehrere Male zu einer Geldstrafe verurteilt worden, hatte diese Strafen jedoch nicht bezahlt, da er darin ein Anerkennen seiner Schuld gesehen hätte. Nachdem Fellenz aus der Haft entlassen worden war, kehrte er sogleich nach Haustadt zurück und las dort mehrere Messen unter zahlreicher Teilnahme seiner Pfarrkinder. Unter Androhung weiterer Haft wurde der Haustadter Pfarrer schließlich am 25. November 1874 ausgewiesen.

Fellenz war beileibe kein Einzelfall: Von den 822 aktiven Geistlichen des Bistums Trier im Jahr 1874 versahen 1881 nur noch 520 ihren Dienst, 212 mussten das Land verlassen. Von 731 Pfarreien waren 230 verwaist. Im Lauf der Jahre nahmen 250 Priester eine ein- oder mehrmalige Geldstrafe in Kauf, manche 12 bis 15 Mal. Circa 100 verbüßten zudem eine oder mehrere Haftstrafen von meist mehreren Monaten, da sie zur Zahlung der Geldstrafen nicht fähig oder nicht gewillt waren, weil sie in der Zahlung die Anerkennung einer Willkürmaßnahme sahen. Da die Pfarrei Haustadt 10 Jahre lang vakant blieb, musste sie in der Folgezeit von den Pfarrern der Nachbargemeinden mitverwaltet werden. Auch der Düppenweiler Pfarrer Jakob Greif führte eine gewisse Zeit lang die Verwaltung der Pfarrei Haustadt und bekam daraufhin prompt wieder Ärger mit der Staatsgewalt. Vor dem Zuchtpolizeigericht beim Landgericht Trier musste er sich hierfür am 31. Juli 1875 verantworten. Er war beschuldigt worden, "in der Zeit vom 28. März bis Ende Mai 1875 die Verwaltung der Pfarrei Haustadt geführt zu haben, ohne den Nachweis führen zu können, dass er hierzu unter Beobachtung der §§ 1-3 des Gesetzes vom 11. Mai 1873 berufen worden sei." Die Verhandlung endete allerdings mit einem Freispruch für den Geistlichen aus Düppenweiler.

An Ostern 1884 wurde schließlich der Hilfsgeistliche Bartholomäus Kary als neuer Pfarrer nach Haustadt berufen. In den Zeiten der Vakanz hatten Pfarrer Greif aus Düppenweiler und Kaplan Didas aus Nalbach die Sonntagsmesse in Haustadt gehalten. Sie hatten daneben die Erlaubnis erhalten, den Katechismus-Unterricht in der Volksschule zu erteilen.

Wie die Situation im Kreis Merzig insgesamt war, geht aus einem Artikel der Merziger Volkszeitung vom 14. März 1894 hervor. Danach wurde der Merziger Pastor aus der Schule verwiesen. Als er den Religionsunterricht im Pfarrhaus erteilte, wurde er deswegen angeklagt. Die Pfarrstelle Hilbringen war 10 Jahre lang verwaist, die in Brotdorf 8. Jahre, die Merchinger 7 Jahre. In Wadrill wurde der Pastor "gesperrt", das heißt ihm wurde die Tätigkeit untersagt. In Wadern und Mettlach wurden die Pfarrer aus der Schule gewiesen.

Man kann sich unschwer vorstellen, dass die Stimmung Mitte der 1870er Jahre gereizt und aufgeladen war. In diese aufgeheizte und gespannte Atmosphäre platzte die Nachricht von der Marpinger Marienerscheinung am 3. Juli 1876. Als Wunderheilungen berichtet wurden, strömten Tausende von Pilgern nach Marpingen. Der St. Wendler Landrat berichtete, ein Taubstummer aus Haustadt solle nach dem Trinken aus der Quelle, Sprache und Gehör wiedererhalten haben und ein Krüppel, ebenfalls aus Haustadt, habe wieder gehen können.

Solche Nachrichten von wundersamen Heilungen versuchte Landrat Knebel, der Baron von Louisenthal zwischenzeitlich im Amt des Landrats gefolgt war, zu entlarven; allerdings ohne spürbaren Erfolg. Knebel schrieb am 18 August 1876 an alle Bürgermeister des Kreises: "Während der letzten Tage wurde im Kreis das Gerücht verbreitet, dass ein Mann aus Haustadt durch eine Wallfahrt nach Marpingen geheilt worden sei, der vorher habe weder gehen, noch sprechen können. Es handelte sich aber um Gicht und die Wallfahrt und die Waschungen brachten nur kurzfristige Besserung. Es trat wieder alter Zustand ein. Sogar wegen der Strapazen der Reise kam es zur Verschlechterung. Viele leichtgläubige Landleute haben sich durch die falschen Gerüchte von Heilungen in Merzig betören lassen und erhoffen Gutes von einer Wallfahrt nach Marpingen." Die Hoffnungen und religiösen Überzeugungen der Gläubigen konnten die Landräte auch mit massivem Vorgehen nicht unterdrücken. Mit Aufklärung allein begnügten sich die Behörden keineswegs. Sie drohten mit Strafen bei nicht genehmigtem Besuch der Wallfahrtsstätte. Doch auch diese Maßnahmen schreckten die Gläubigen nicht ab. Der St. Wendler Landrat drohte mit harten Strafen: "Wer an einem Aufzuge (Mitgang, Wallfahrt) nach Marpingen oder an einer Versammlung unter freien Himmel daselbst teilnimmt, wird mit einer Geldbuße von 15 bis 150 Mark oder mit Gefängnis von 8 Tagen bis 3 Monaten bestraft."

Der St. Wendler Landrat, zu dessen Verwaltungsbezirk Marpingen gehörte, wandte sich vergeblich hilfesuchend an seine Kollegen, die Pilgerfahrten zu unterbinden. Denn schon organisierten sich Pilgerzüge in vielen Ortschaften. Der Düppenweiler Ortsvorsteher Schwendler bestätigte dies auch für sein Dorf: "Ich höre von Gesellschaften von 20 bis 25 Personen in einem Trupp." Die staatlichen Unterdrückungsversuche blieben ohne Erfolg. Für die Gläubigen gewann die Wallfahrt nach Marpingen neben der traditionellen religiösen Bedeutung auch politische aufgrund der Kulturkampfsituation. Die Teilnahme an den von der staatlichen Obrigkeit unter Strafandrohung verbotenen Wallfahrt besaß Protestcharakter, glich einer Demonstration gegen den Anspruch der Obrigkeit , die Volksfrömmigkeit zu unterdrücken. Ganz offensichtlich hatten die Behörden verhindern wollen, dass sich hier ein Kristallisationsort der Frömmigkeit, besonders der unteren Bevölkerungsschichten, herausbildete und vollendete Tatsachen geschaffen wurden, bevor eine Untersuchung Klarheit über die Marpinger Vorfälle bringen sollte.

Die Marpinger Marienerscheinung trieb allerdings auch seltsame Blüten, wie dem nachfolgenden Bericht der Merziger Zeitung vom 19. August 1877 zu entnehmen ist. Darin wird aus Steinberg folgendes gemeldet: "Unser Kreis bleibt von den Muttergottes-Erscheinungen nicht verschont. In Steinberg geben zwei Mädchen im Alter von 8 und 9 Jahren an, dass sie mit Erscheinungen begnadigt seien. Schon sind in zwei Häusern Altäre gebaut, in denen abwechselnd die Muttergottes den Kindern Eva Dewald resp. Katharina Faust erscheint. Gestern strömten von allen Seiten Leute herbei. Man hatte ein 5 Fuß tiefes Loch an den Giebel des Dewald'schen Hauses gegraben. Um 11 Uhr gestern Morgen sollte Wasser darin springen. Als es um 11 Uhr nicht sprang, ging das Gerücht um, die Muttergottes habe den Kindern gesagt, dass das Wasser um 2 Uhr da sein sollte. Als auch dann noch kein Wasser da war, sagten die Kinder, das Wasser erscheine, wenn die Muttergottes es wolle. Heute Morgen war noch kein Wasser zu sehen.

Man sagt, dass von zwei erwachsenen Personen, deren Namen bekannt sind, den Kindern alles leise vorgesprochen wird, was dieselben dann nachsagen. Gestern Abend wurden auch schon kranke Leute zum Heilen hingebracht; andere sollen nachkommen. Abends standen silberne Leuchter auf dem Dewald'schen Altar.

Wir lassen noch wörtlich einen Teil der Aussagen folgen, welche das eine der bedauernswerten Kinder vor dem Bürgermeister gemacht hat. Dasselbe erklärte, dass es noch heute Morgen um 11 Uhr die Muttergottes auf unserem Altare gesehen habe; sie war etwa 1 Fuß hoch und lachte mir freundlich entgegen. Auch muss ich bemerken, dass ich vor 3 Wochen gelegentlich meiner damaligen Anwesenheit in Marpingen den Teufel an einer Pappel stehen gesehen habe; er war ganz schwarz und hatte große Hörner auf dem Kopfe; er legte die Hörner ab und ging auf mich zu; ich machte das Kreuz über ihn; da ging er die Wiese hinab, ohne sich umzuschauen. Dasselbe geschah später mit 4 anderen Teufeln.' Der 22-jährige Stiefbruder des anderen Kindes, Peter Dewald aus Steinberg, welcher den Verkehr der Kinder mit dem Publikum vermittelt, hat, als es unter den draußen Stehenden unruhig wurde, aus dem Fenster gerufen: 'Wenn ihr nicht ruhig seid, dann hört die Sache sogleich auf!' Interessant ist noch, dass eines der Kinder die Muttergottes nicht allein über, sondern auch unter dem Tische gesehen hat."

< Wird fortgesetzt.

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