Dem Reaktor auf's Dach gestiegen

Losheim · Am Morgen des 10. Oktober 1986 bestiegen neun Aktivisten von Robin Wood einen Kühlturm in Cattenom und protestierten gegen Atomkraft. Unterstützung erhielten sie von der Aktion 3. Welt Saar aus Losheim.

 Die Atomkraftgegner von Robin Wood am 10. Oktober 1986 auf der Spitze des Kühlturms in Cattenom. Fotos: Hinrich Schultze

Die Atomkraftgegner von Robin Wood am 10. Oktober 1986 auf der Spitze des Kühlturms in Cattenom. Fotos: Hinrich Schultze

Es war wohl die bis heute spektakulärste Widerstandsaktion, die vor genau 30 Jahren an den vier Atommeilern im französischen Cattenom an der Mosel stattfand: Am Morgen des 10. Oktober 1986 bestiegen neun Aktivisten der Umweltschutz-Organisation Robin Wood einen Kühlturm in Cattenom und hissten ein Transparent "Strom ja - so nicht! Non au Nucleaire". Unterstützung bekam die Hamburger Umweltschutzorganisation von der französischen Partnerorganisation Robin des Bois sowie von der Aktion 3.Welt Saar aus Losheim, die verantwortlich mitarbeitete in der Internationalen Aktionsgemeinschaft gegen Cattenom. Anlass der Aktion war das Festhalten der französischen Electricité de France (EDF) und der deutschen Betreibergesellschaft Preussen Elektra am Weiterbau der Atomkraftwerke Cattenom und Brokdorf - trotz des Atomunfalls in Tschernobyl im gleichen Jahr, der Europa bis heute radioaktiv belastet.

"Wir besuchten mehrere Wochen lang mit Aktiven von Robin Wood aus Hamburg die Gegend um das AKW und führten Gespräche mit Atomgegnern aus Frankreich, Luxemburg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Ziel war es, ohne abhöranfällige Telefonate die Atomgegner im Dreiländereck auf diese clandestine Aktion vorzubereiten und für den Tag X Menschen zu mobilisieren", erinnert sich Roland Röder von der Aktion 3. Welt Saar. "Für uns war es wichtig, diese Aktion gemeinsam mit Atomgegnern in der Region um Cattenom zu gestalten", ergänzt Anne Scheerer von Robin Wood . "Wir haben mit dieser Aktion ein deutliches Zeichen gegen den atomaren Wahnsinn gesetzt. Und das tun wir auch heute noch, 30 Jahre danach, sowohl bei Robin Wood als auch bei der Aktion 3. Welt Saar."

Am 10. Oktober 1986, einem Freitag, besuchte zunächst eine 24-köpfige "Projektgruppe" auf Einladung der Kraftwerksleitung die Baustelle des AKW Cattenom, dessen Block 1 kurz vor der Inbetriebnahme stand. Den Besuch angemeldet hatte der "Projektleiter", Studienrat Robert Wald, der mit einer Gruppe vermeintlich arbeitsloser Jugendlicher und Lehrer das Projekt "Atomkraftwerke und der Lebensnahbereich" initiiert hatte. Die Gruppe war zuvor schon im AKW Brokdorf gewesen. Während die "Projektgruppe" bei der offiziellen Besichtigung der AKW-Baustelle mitgebrachte Transparente am Reaktorgebäude von Block 3 und an zwei Kühltürmen befestigte, erklommen neun andere Robin Wood-Aktivisten den Zaun um das AKW.

Im dichten Nebel bestiegen sie einen weiteren Kühlturm und hissten ihr Transparent. Gleichzeitig setzten die Aktivisten der Aktion 3. Welt Saar eine Telefonkette in Lothringen, Luxemburg und Deutschland in Bewegung, um mehr Atomkraftgegner und Presse an den Ort des Geschehens einzuladen. Rund 200 Demonstranten kamen spontan zur Kraftwerks-Baustelle, wurden aber schnell von Polizei und Militär zurückgedrängt und mit entsicherten Maschinenpistolen auf dem Marktplatz des Örtchens Cattenom in Schach gehalten.

Als der Nebel aufriss, wurde das Fiasko für den AKW-Betreiber sichtbar: Neun Aktivisten hatten es problemlos an allen "Sicherheitsschleusen" vorbei von dem 300 Meter langen Rundweg aus bis auf den 165 Meter hohen Kühlturm von Block 2 geschafft und die Transparente gegen Cattenom gut sichtbar angebracht.

Viermal wurden die Kühlturmbesetzer von Hubschraubern aus attackiert und mit einem Benzin-Wasser-Reizgas-Gemisch besprüht. Die Besatzung des Hubschraubers trug Gasmasken. Um 19.30 Uhr, als eine gewaltsame Räumung des Kühlturms von der Polizei angedroht wurde, entschieden sich die Umweltaktivisten zum Abstieg. Die Aktion war ein großes Thema in den Medien: Tagesschau, Spiegel, Süddeutsche sowie luxemburgische und französische Medien berichteten über die spektakuläre Kühlturmbesetzung des AKW. Angesichts der Tatsache, dass trotz festgestellter Materialmängel die Atomanlagen in beiden Ländern weiter laufen, angesichts weiterer AKW-Neubaupläne sowie dem aus ihrer Sicht existierenden "Desaster" um die Lagerung des Atommülls halten Robin Wood und die Aktion 3. Welt Saar den grenzüberschreitenden Widerstand gegen Atomanlagen und verstärkte Anstrengungen für eine Energiewende weiterhin für dringend geboten. Dies erklärten beide Organisationen anlässlich des Jahrestages ihrer Protestaktion kurz hinter unserer Landesgrenze.

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 Unbemerkt erklommen die Demonstranten den 165 Meter hohen Kühlturm des im Bau befindlichen Atomkraftwerkes.

Unbemerkt erklommen die Demonstranten den 165 Meter hohen Kühlturm des im Bau befindlichen Atomkraftwerkes.

 Blick auf das französische Atomkraftwerk Cattenom. Foto: Karaba/Dpa

Blick auf das französische Atomkraftwerk Cattenom. Foto: Karaba/Dpa

Foto: Karaba/Dpa
 Kein großes Problem war das Überwinden der Sicherheitszäune.

Kein großes Problem war das Überwinden der Sicherheitszäune.

stichwort Robin Wood ist eine seit 1982 bundesweit agierende Umweltorganisation mit Sitz in Hamburg. Kampagnen-Schwerpunkte sind Energie ohne Kohle und Atom, der Erhalt der Wälder, eine ökologische Verkehrswende sowie Klimaschutz. Die Aktion 3. Welt Saar ist eine allgemeinpolitische Organisation, die bundesweit arbeitet. Ihren Sitz hat sie seit Gründung 1982 im Saarland. Sie setzt sich für eine dezentrale Produktion von Energie ein, engagiert sich seit Beginn aktiv gegen das Atomkraftwerk Cattenom in Lothringen und arbeitet bis heute in der Internationalen Aktionsgemeinschaft gegen Cattenom mit. Ebenso engagiert sie sich gegen das geplante Atommüllendlager in Bure, ebenfalls Lothringen. red

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