„Das System von Kinderkrankheiten befreien“

Was müssen die Bürger der saarländischen Kommunen für die Entsorgung ihrer Abfälle bezahlen? Ein Vergleich erscheine einfach, schreibt der Merziger Bürgermeister Manfred Horf als Reaktion zu zwei SZ-Beiträgen zum Thema Müllgebühren in der Kreisstadt: Man summiere die einzelnen festgesetzten Gebührensätze für die verschiedenen Abfallarten, es ergibt sich eine „Rangliste“, fertig. So einfach sei es jedoch nicht.

Bei dieser Art der Betrachtung würden Äpfel mit Birnen verglichen. Abfallkonzepte und die dahinter stehenden Gebührenmodelle unterschieden sich: "Ein Kostenvergleich ist nur dann möglich, wenn eine ganzheitliche Betrachtung erfolgt. Diese muss neben einer Betrachtung der Restabfall- und Bioabfallgebühren auch die Nutzung der jeweiligen Wertstoffzentren mit ihren unterschiedlichen Gebühren-Modalitäten berücksichtigen", stellt Bürgermeister Horf klar.

Im SZ-Bericht seien - scheinbar willkürlich - bei den Vergleichsberechnungen Restabfallgewichte von 150, 200 und 300 Kilogramm (kg) gewählt worden, um zu dokumentieren, dass die Kreisstadt Merzig mit den Restabfallgebühren an der Spitze im Saarland liegt. Dem sei in diesem Gewichts-Bereich so. Nicht dokumentiert worden sei jedoch, dass Merzig bei Entsorgungsgewichten von beispielsweise 70, 90 und 120 kg ebenso wenig an der Spitze der Restabfallgebühren liegt, wie bei den Gebühren, die mindestens jährlich für die Restabfallentsorgung aufzubringen sind. "Mit aktiver Mülltrennung und Müllvermeidung sind weiterhin in Merzig weniger Kosten als vor der Einführung des Verwiegesystems zu zahlen", betont Horf.

Zur Gewährleistung der Abfallentsorgung seien längerfristige Verträge mit Entsorgungsunternehmen geschlossen, so dass eine mögliche Rückkehr in den EVS ohne eine zusätzliche finanzielle Mehrbelastung der Merziger überhaupt nicht möglich wäre.

"Mit der Anpassung der Bioabfallgebühren von 57,24 Euro auf 66 Euro zum 1. Januar 2014 wurde der Kostendeckungsgrad der Biotonne erhöht und damit dem Verursacherprinzip weiter Rechnung getragen", schreibt Horf weiter. Auch der EVS sei verpflichtet, die Differenz zwischen der erhobenen Gebühr und den tatsächlichen Kosten auszugleichen.

Bereits in den Jahren 2007/2008 habe der Stadtrat ein neues Abfallkonzept für Merzig auf den Weg bringen wollen. Ziel sei dabei eine ökologische Abfallwirtschaft mit einer erheblichen Verringerung des Restabfallaufkommens durch Abfallvermeidung einerseits und der Erhalt der Substanzen im Stoffkreislauf andererseits bei einem besseren Service für die Bürger gewesen. Horf: "Diese Ziele waren zum damaligen Zeitpunkt bei einem Verbleib im EVS nicht zu realisieren."

Der Stadtrat hatte daher in seinen Sitzungen am 8. Januar und 13. Mai 2009 beschlossen, für den Bereich der örtlichen Abfallentsorgung mit Wirkung zum 1. Januar 2010 aus dem Entsorgungsverband Saar (EVS) auszutreten.

Das neue Abfallwirtschaftskonzept der Kreisstadt beinhaltete als wichtigen Baustein die Errichtung eines Wertstoffzentrums, in dem auch eine permanente Annahmestelle für Problemstoffe und eine Tauschbörse eingerichtet wurden. "Mit diesen Einrichtungen hebt sich das Merziger Wertstoffzentrum in puncto Service zwar von fast allen ähnlich konzipierten Wertstoffhöfen und -zentren im Saarland ab. Es ist aber mitnichten, wie im SZ-Beitrag behauptet, ein ‚Nobel-Wertstoffhof', sondern ein notwendiger Baustein, um die gesteckten Abfallziele zu erreichen", erklärt Horf.

Wird ein neues System eingeführt, kann die Entwicklung aufgrund fehlender tatsächlicher Werte nur prognostiziert werden. Dies gilt sowohl für Gebühren als auch für die Mengenentwicklung. Der Stadtrat hatte mit der Einführung eines mengenmäßigen Gebührensystems zum 1. Januar 2011 auch den Beschluss gefasst, dass die Nutzung des Wertstoffzentrums kostenlos durch die Merziger Bürger und Gebührenzahler - was im Saarland ein Alleinstellungsmerkmal bedeutet hatte - erfolgt. Bei der Mengenentwicklung sei die Prognose aufgrund von Erfahrungswerten in anderen Kommunen davon ausgegangen, dass sich die Restabfallmenge bezogen auf den Stand 2009 in rund sechs Jahren halbiert. Tatsächlich sei die Menge bereits im ersten Jahr nach Einführung nahezu halbiert worden.

Durch die kostenlose Annahme aller Stoffe am Wertstoffzentrum wurden (auch nach einer Begrenzung der Anliefermengen im Jahr 2012) erheblich mehr Materialien in den Jahren 2011 und 2012 angeliefert als prognostiziert und kalkuliert. Hierdurch seien in der Tat nicht vorhergesehene Kosten entstanden. Durch die Einführung verursachergerechter Nutzungsgebühren am Wertstoffzentrum sei diese Lücke geschlossen.

Die Fehlbeträge aus 2011 und 2012 müssten über die gestiegene Leistungsgebühr ebenso ausgeglichen werden, wie die seit 2010 steigenden überörtlichen Beiträge des EVS (von 2010 bis 2012 ist eine Steigerung von 55,15 Euro oder 30,15 Prozent je Tonne beim Restabfall entstanden). Horf: "Unter Maßgabe sich nicht verändernder Parameter können nach dem Abbau der Fehlbeträge die Abfallgebühren auch wieder gesenkt werden. Verwaltung und Stadtrat haben zusammen mit externen Fachberatern ein gut angenommenes, ganzheitliches und ökologisches Entsorgungssystem für Merzig aufgebaut. Dieses System muss zugegeben von Kinderkrankheiten befreit werden. Die positiven Rückmeldungen aus der Bevölkerung zeigen aber deutlich, dass nicht am Bürger vorbei agiert wurde."

Werner Schmitt, einer der eifrigsten Kritiker des EVS, hatte in besagten SZ-Artikeln auch den ehemaligen OB Alfons Lauer für den Anstieg der Abfallgebühren verantwortlich gemacht. "Da Herr Schmitt familiäre Bezüge nach Merzig hat und regelmäßig hier zugegen ist, hätte es ihm bekannt sein können, dass die Verwaltungsspitze/Verwaltung im Jahr 2008/2009 der Übernahme der örtlichen Aufgaben der Abfallentsorgung sehr kritisch gegenüber gestanden hatte", sagt Horf. Als der Stadtrat als demokratisch legitimiertes Organ jedoch diese Entscheidung getroffen habe, sei durch die Verwaltung "das damit verbundene Konzept auch konsequent begleitet und umgesetzt worden", heißt es in der Pressemitteilung der Stadtverwaltung.

Es sei zutreffend, dass Lauer als Präsident des Städte- und Gemeindetages die Kommunen zu interkommunaler Zusammenarbeit angehalten habe. Fakt sei jedoch auch, dass Lauer erst ab dem 1. Oktober 2012 das Amt des Präsidenten des Saarländischen Städte- und Gemeindetages inne hatte. Die Entscheidung, dass die Kreisstadt Merzig die Aufgaben der örtlichen Abfallentsorgung übernimmt, wurde im Mai 2009 getroffen. "Dr. Lauer in diesem Zusammenhang fehlenden Solidaritätsgedanken vorzuwerfen, ist genauso falsch und haltlos wie die Unterstellung von Herrn Schmitt, dem Bürger werde in Merzig bei der Abfallentsorgung das Geld für andere Zwecke aus der Tasche gezogen. Der Merziger Stadtverwaltung ist sehr wohl bewusst, wie sie mit Gebühren umzugehen hat", bekräftigt Horf.Die CDU-Stadtratsfraktion hat 2009 den Austritt der Stadt Merzig für den Bereich der örtlichen Abfallentsorgung unterstützt. "Neben einer preisgünstigeren Entsorgung wollten wir vor allem den umweltbewussten Bürgern ermöglichen, Müll ökologischer zu entsorgen. Die enthaltenen Wertstoffe sollten wieder in den Kreislauf gebracht werden, auch problematische und giftige Abfälle sollten unkompliziert im Wertstoffhof entsorgt werden", schreibt Bernd Seiwert, Chef der Christdemokraten im Rat. Wie bekannt, beteiligten sich die Merziger von Anfang an begeistert an dem neuen Konzept. In Folge sei eine beispiellose Reduzierung des Müllaufkommens in der Kreisstadt erreicht worden.

"Leider hatte das sehr bürgerfreundliche und offene Konzept auch Probleme mit sich gebracht", bedauert Seiwert. Der Wertstoffhof verursachte deutlich mehr Kosten als vorhergeplant. Da die Stadt Defizite aus der Müllentsorgung innerhalb von zwei Jahren ausgleichen müsse, seien Gebührenerhöhungen unvermeidlich gewesen. "Schwer verständlich ist es für den Bürger, dass der EVS über Jahre Verluste vor sich her getragen und die Müllgebühr künstlich niedrig gehalten hat", schreibt Seiwert in einer Presseerklärung weiter. Der Entsorgungsverband Saar (EVS) wolle diese Verluste ausgleichen, wenn in den nächsten Jahren die teure Müllverbrennungsanlage in Neunkirchen nicht mehr gebraucht werde.

Aus diesem Grund schlägt die CDU im Rat laut Seiwert eine neue Arbeitsgruppe vor, die das gesamte Abfallentsorgungskonzept mit seiner Kostenstruktur grundlegend überprüft: "Das Müllkonzept, die Struktur des Wertstoffhofes und die Beziehung zum EVS gehören auf den Prüfstand." Es sei nicht einsehbar, dass die Stadt "als Zwangsmitglied des EVS für die überörtliche Entsorgung an den steigenden Kosten der Müllverbrennung beteiligt wird, aber keine Vorteile bei den Betriebskosten für den Wertstoffhof hat". Da irrt der von SZ-Redakteur Beckinger zum profiliertesten Kritiker des EVS ernannte Herr Schmitt mal gleich in mehreren Punkten", schreibt SPD-Stadtverbandsvorsitzender und Ratsmitglied Manfred Klein in einer Stellungnahme zur SZ-Berichterstattung. Vier Punkte seien schlicht falsch, "was man bei etwas sorgfältiger Recherche ganz schnell hätte erkennen können", schreibt er weiter.

Oberbürgermeister Alfons Lauer habe sich, ebenso wie der zuständige Bürgermeister Horf, immer gegen einen Austritt aus dem EVS ausgesprochen. Die Behauptung, man würde "dem Bürger nur das Geld für andere Zwecke aus der Tasche ziehen" nennt Klein "absurd, da man sich hier im Gebührenrecht bewegt und nur für diesen Zweck nachgewiesenene Grundlagen für die Gebührenberechnung herangezogen werden dürfen". Der Sozialdemokrat findet, Schmitt sollte dies eigentlich wissen.

Die Aussage, dass "viel weniger Müll ... bereitgestellt als kalkuliert, gleichzeitig aber die Kosten bestehen geblieben sind", sei einfach falsch. Die tatsächlich durch den EVS abgerechneten Kosten pro Tonne Restmüll seien von rund 180 Euro/t in 2010 auf rund 240 Euro/t in 2012 um rund 30 Prozent gestiegen.

Die Aussage von SPD-Fraktionschef Dieter Ernst, dass die "Merziger weniger für die Müllabfuhr bezahlen, als wenn wir beim EVS geblieben wären", sei bisher zutreffend und einfach nachzuprüfen gewesen, wenn Schmitt "nur mal die richtigen Vergleichszahlen herangezogen hätte, nämlich Mindestgewicht, Kilopreis und Wertstoffhof. Warum er aber ein relativ hohes Gewicht (150, 200, 300 kg) für seine Vergleiche heranzieht, wobei das durchschnittliche Gewicht bei 96 kg in Merzig liegt, ist nicht erklärt", sagt Klein.

Die Materie jedoch sei kompliziert und bedürfe weiterer Erläuterungen. Richtig sei, dass die bei Einführung des Systems angenommenen Mengen nicht eintrafen. Hierauf habe der Stadtrat aber reagiert und die Mengenannahmen schon für 2013 so geändert, dass sie jetzt wohl weitestgehend zutreffend seien. Die jetzige Erhöhung diene dazu, die in den Jahren 2011 und 2012 aufgelaufenen Verluste abzudecken, wozu die Stadt nach der Eigenbetriebsverordnung gesetzlich verpflichtet sei. Klein: "Dies bedeutet aber auch, dass die Gebühren wieder sinken können, wenn der Verlust abgedeckt ist und die sonstigen Parameter sich nicht verändert haben."

Demgegenüber brauche der EVS die etwa für die Wertstoffhöfe aufgelaufenen Verluste von vier Millionen Euro (laut SZ-Bericht über die Verbandsversammlung) nicht binnen zwei Jahren auszugleichen, sondern könne diese als Verlustvortrag in die kommenden Jahre schieben. Hier ruhe nach Kleins Darstellung "die Hoffnung des EVS auf einem Ausgleich durch geringere Kosten, wenn in einigen Jahren die Müllverbrennungsanlage Neunkirchen geschlossen wird".

Wenn man aber schon Vergleichsrechnungen anstelle, "dann muss man sie eben auch insgesamt unter Berücksichtigung aller Bereiche aufstellen. Dann wäre nämlich schnell aufgefallen, dass die Entsorgung im Wertstoffhof Merzig bis 2013 kostenlos war, und man dort Fraktionen entsorgen konnte, die in anderen Wertstoffhöfen erst gar nicht angenommen wurden".

Folge sei gewesen, dass gerade diese Fraktionen nicht nur von Merzigern, sondern auch aus anderen Gemeinden und auch insbesondere von Firmen dort angeliefert worden seien, bis hiergegen geeignete Maßnahmen ergriffen worden seien. "Hätte Herr Schmitt dies mit eingerechnet", schreibt Klein, "wäre ihm aufgefallen, dass seine Behauptung über die Kosten schlicht nicht zutreffend ist." Im Übrigen gelte die Folgerichtigkeit, dass derjenige, der streng trennt, vermehrt den Wertstoffhof, die Biotonne, den gelben Sack oder Papiertonne in Anspruch nimmt.

Klein möchte wissen, wie die Frage beantwortet und bewertet werde, dass und wieso der EVS für die Kommunen, die nach dem Identsystem entsorgen, die Gebühren 2012 um 8,3 Prozent erhöht habe, während er für die Verwiegekommunen Losheim und St. Ingbert (trotz Verlusten) keine Gebührenerhöhung vorgenommen habe? Und er fragt auch, wie Schmitt erklären könne, dass der EVS bereits 2012 die Gebühren für die Biotonne auf 67,93 Euro (was den tatsächlichen Kosten entsprach) erhöhen wollte, "weil er die Quersubventionierung reduzieren wollte. Politisch festgelegt beim EVS wurden dann 58 Euro. Merzig erhebt in diesem Bereich jetzt seine tatsächlichen Kosten mit 66 Euro, während der EVS offenbar weiter quersubventioniert. Stimmt dann noch der gezogene Vergleich?"

All diese Fragen würden in dem Bericht ignoriert, und es werde auf falschen Grundlagen verglichen, was folgerichtig dann auch zu der verfehlten Empfehlung des Wiedereintritts in den EVS führe. Klein: "Richtigerweise müsste die Empfehlung lauten, dass man die Kontrolle über Abfallmengen und Verwertungsmöglichkeiten noch stärker im Auge behält als bisher, um adäquat reagieren zu können."

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