Immer dahin, wo die Sonne verschwindet

Saarlouis · Gernot Meiser orientiert sich an den Gestirnen. Sie haben ihm ein Lebens-Abenteuer als Astronom und Fotograf geschenkt.

Fast Mitternacht, drei Stunden am runden Tisch in der einfachen Küche in Lisdorf. Gernot Meiser, 57, hat sein Leben erzählt. Kaum Nachfragen, keine Anekdoten von den vielen Reisen, keine Details. Nur das Nötigste. In drei Stunden. Das könnte über diesem Leben stehen: prall gefüllt und doch immer nur das Nötigste. Gernot Meiser hat etwas gemacht aus seinem Leben und mit seinem Leben. Individuell, ein Abenteuer. Gerade hat ihn der Fernsehsender Arte von einem ganzen Team drei Wochen lang auf einer Reise durch Indonesien begleiten lassen: für einen Fernsehfilm und einen Kinofilm.

Meiser wäre selbst vermutlich erstaunt über die Idee, aber er könnte als Lebens-Mutmach-Erzähler auftreten. Tatsächlich aber tritt er auf als Erzähler von den Tiefen des Weltraums. Davon lebt er. Das ist sein Beruf und auch seine Berufung.

Jahrzehnte vorher, 1969, im Nebenhaus, dem Elternhaus. Der erste Fernseher ist noch neu. Wie so viele hängt der kleine Gernot am Bildschirm, als die erste Mondlandung übertragen wird. "Es war die erste Nacht, die ich aufbleiben durfte."

Herzklopfen habe er gehabt, dass den Astronauten nichts passiert. "Den Satz von Armstrong habe ich nie vergessen: The eagle has landed. Bis heute erzeugt die Erinnerung daran Gänsehaut." Der Junge ging raus mit seinem kleinen Fernrohr, "ich bildete mir ein, auf dem Mond was gesehen zu haben."

Diese Nacht "war im Nachhinein gesehen mein Schlüsselerlebnis für alles".

Das damals mit 199 Mark teuerste Fernrohr aus dem Quelle-Katalog kaufte er sich später selbst, 4,5 Zoll. Schaute in den Himmel. Der Hauptschüler machte mit bei Jugend forscht, gewann Preise. "Ich hatte ein festes Ziel: Astrophysik studieren. Vielleicht Astronaut werden. Bei der NASA arbeiten!"

Aber, sagt Meiser, da war eines davor: "Das Arbeitermilieu, aus dem ich kam. Da machte man mir auch in der Schule wenig Hoffnung auf ein Abitur." Und der "Lerntyp" sei er sowieso nicht gewesen. Also verließ er die Hauptschule nach dem Abschluss und machte eine Lehre als Elektriker. Das erwies sich aber definitiv nicht als sein Ding. Er beobachtete weiter den Himmel, vor allem eine Sonnenfinsternis nach der anderen, reiste gewissermaßen der Sonne hinterher. Seine erste partielle Sonnenfinsternis hatte er schon 1972 beobachtet.

Der Traum von der Astrophysik trug ihn in die Abendschule, Mittlere Reife. Für das Saarland Kolleg "reichten meine Noten nicht". Aber in Marburg in Hessen lief ein Modellversuch an einem neuen Technisch-Wissenschaftlichen Gymnasium. Da machte er, inzwischen 24, sein Abitur.

Er beobachtete weiter Sonnenfinsternisse. 1980 flogen er und sein Stiefvater zu einer totalen Sonnenfinsternis nach Kenia. "Da fing das richtige Reisen für mich an. Ich wollte von nun an zu jeder Sonnenfinsternis in der Welt fahren." Jede, sagt er, sei anders. Auf Reisen interessierte er sich immer mehr für fremde Kulturen, auch für Zeugnisse davon, wie sie mit Astronomie umgingen. Und immer mehr für die Menschen. Die Reisen dehnten sich aus, drei Monate, sechs Monate.

Sein Geld verdiente Gernot Meiser damals vor allem mit Diavorträgen über seine Reisen, "bis zu 1000 Leute". Früh klappt es mit der Überblendtechnik. 1989 ersteigerte er 30 Diaprojektoren, "ich habe sie zerlegt, gereinigt und wieder zusammengebaut". Wozu war er Elektriker? Die meisten verkaufte er wieder. Vor allem wurde er Spezialist für diese Geräte. Auf der Photokina in Köln bekam er einschlägige Jobs, später immer wieder welche, "es gab richtig viel Geld dafür".

Abi also, und dann: "Ich wollte ja Astrophysik studieren". Auf einer Reise weist ihn ein Ingenieur des Max-Planck-Instituts in die Geheimnisse einer spanischen Sternwarte ein ("Die Kuppel hatte übrigens DSD in Dillingen gebaut"). Auf einem Bildschirm sah der 26-Jährige die Darstellung des Ringnebels in der Leier.

Und da: Totalausfall. "Ich wusste plötzlich einfach so, dass ich nicht Astrophysik studieren wollte." Ende eines Weges.

Aber da war ja noch die Fotografie. Es fand sich der Studiengang Fotoingenieur in Köln - mit Numerus Clausus. Wartezeit, was tun? Reisen, fotografieren.

Mit dem Rucksack durch Asien. Bergsteigen bis zum Basiscamp des Mount Everest. Eine Reise neun Monate. 40 000 Dias hat er inzwischen für seine Vorträge, die er überall hält, auch in Saarlouis.

1983 besuchte er zum ersten Mal Sri Lanka. "Ich wollte nach dem Abi definitiv dorthin auswandern. Die Art, wie dir dort Menschen begegnen, hat mich fasziniert." Dann erlebte er den Bürgerkrieg dort. "Seitdem weiß ich, was Krieg ist." Das war auch das Ende seines Weges als Auswanderer. Und immer wieder in Deutschland. Dias sortieren, zusammenstellen, Vorträge. "Und nie zufrieden, du bist nie fertig, nie." Es war aber auch die Zeit, in der er, sagt er, viel zu verstehen lernte: "Man braucht eigentlich fast gar nichts." Genügsam sei er. Eben nur das Nötigste. Wenn er unterwegs ist, vergisst er. Nimmt nichts mit.

Seine Lebensgefährtin, die Bretonin Pascale Demy, sagt es so: "Alles relativiert sich unterwegs. Man ist ganz drin in der neuen Umgebung. Alles andere ist weit weg." Eine Art Freiheit.

Pascale Demy lernte er bei seinem Professor kennen, als er in Köln Fotoingenieur, Schwerpunkt Bildgestaltung, studierte. Sie ist heute freie Journalistin mit Schwerpunkt Expeditions- und Reisedokumentationen. Die großen Projekte erarbeiten sie und Meiser zusammen.

Zehn Jahre an der Fachhochschule, 1989 bis 1999, immer wieder unterbrochen durch Reisen besonders zu Sonnenfinsternissen. In diesem Studium dann "der Durchbruch": Das war sein aufwendiger Diavortrag über Sonnenfinsternisse - als Student vor dem Verein Deutscher Ingenieur. Und er erlebte seinen "kreativen Sprung", eine "Professionalisierung". Denn sein Professor war ein Meister der Audiovision und der Panorama-Technik beim Diavortrag. Panoramen sind bis heute eine Stärke der Arbeit von Meiser.

Diese Professionalisierung elektrisierte den jungen Mann. "Und jetzt erlebe ich es wieder. Dieselbe Aufbruchsstimmung wie als Student", sagt er heute.

Denn Meiser hat 2016 ein mobiles Planetarium gekauft, Nachfolger des ersten, einfachen, das aussieht wie eine grüne Wollmütze. Ins neue gehen 80 Leute auf 75 Quadratmeter, sechs digitale Projektoren, ungeahnte Möglichkeiten. "Die Ideen sprießen." Zeigen wird er in der Kuppel natürlich die Sonnenfinsternis, aber auch Reise-Shows. Die Diavorträge gehen unterdessen weiter. In Europa, den USA, Iran.

2000 brachen Meiser und Demy zu ihrer wohl letzten ganz großen Reise auf. Ein halbes Jahr sollte die Fahrt zur Sonnenfinsternis in Südafrika dauern. Es wurde ein Jahr. Sie blieben mal hier, sie blieben mit ihrem Unimog ("Dreiachser, einer von nur sieben") mal dort.

Der Terroranschlag vom 11. September 2001 kam ihnen dazwischen. An vielen Grenzen in Afrika ging nichts mehr. Am Ende fanden sie, dass sie künftig nur noch ein Land bereisen wollten, nicht mehr so viele auf einer Tour.

2016 war wieder eine Sonnenfinsternis, Meiser und Demy verfolgten sie in Indonesien. Dieses Mal wurden sie drei Wochen lang von einem Arte-Team begleitet, für eine Folge einer vierteiligen TV-Serie bei Arte und im ZDF, Titel "Abenteuer Nachthimmel". Zur Fernsehfassung wird es einen 90-minütigen Kinofilm geben. Starttermine stehen noch nicht fest.

Und dann fand sich Meiser doch bei der NASA wieder: In Jena hielt er astronomische Vorträge für die Lehrerfortbildung. Dort bekam er Kontakt mit dem Forschungsprojekt SOFIA. Das ist ein Gemeinschaftsprojekt der NASA mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Die NASA hat dazu eine alte Boeing 747 um zehn Meter verkürzt und eine riesige Klappe eingebaut. Dahinter verbirgt sich ein deutsches Super-Teleskop. Das ist ein "Stratosphären Observatorium für Infrarot-Aufnahmen", abgekürzt SOFIA. "SOFIA fotografiert am Sternenhimmel infrarot, was wir mit unseren Augen gar nicht sehen können", erklärt Meiser. "Die Auswertung schon der ersten Ergebnisse ist phänomenal. Zum Beispiel eine detaillierte Karte vom Orion-Nebel."

Das SOFIA-Gerät könne einen Stern als Orientierungspunkt anvisieren und lange fixieren, also stabil bleiben, erklärt Meiser. Das mache die Aufnahmen fast so genau wie die großer Sternwarten. Aber in Flughöhen ab 13 Kilometern ist der Blick in den Himmel frei von Einflüssen der Erdatmosphäre. Das macht das Alleinstellungsmerkmal von SOFIA aus.

SOFIA ist so organisiert, dass auch ein Lehrer mitfliegen kann: aus je einer von 34 Partnerschulen. Im Saarland wurde das auf Meisers Vorschlag hin das Technisch-Wissenschaftliche Gymnasium (TWG) in Dillingen.

Und Gernot Meiser bekennt unumwunden: "Ich war heiß darauf, ich wollte mitfliegen. DLR und NASA haben "mit Begeisterung meinen Vorschlag angenommen", eine SOFIA-Präsentation für Planetarien zu produzieren: So durften Meiser und Demy mitfliegen. Beide in blauen NASA-Jacken. Nach den ersten beiden Flügen 2015 ging es 2016 und 2017 erneut auf SOFIA-Expeditionen. Inzwischen haben sich, erklärt Meiser, das Zeiss Planetarium Jena und ein Planetarium in Arkansas in den USA angeschlossen, in Neuseeland das Planetarium Dunedin.

Längst schon lebt Gernot Meiser mit Pascale Demy wieder im Saarland. 1999 kamen sie nach Lisdorf zurück. Anlass war die Sonnenfinsternis am 11. August 1999, die hier besonders gut zu beobachten war. "Ich hatte das umfangreichste Bildmaterial zum Thema Sonnenfinsternis überhaupt. Kaum ein Fernsehsender, der es nicht gekauft hat." Zur Abwechslung mal gute Honorare für die Bilder der vielen Sonnenfinsternisse weltweit, die er gesehen hatte. Fernsehfilme wurden damals über ihn gedreht, Artikel in ganz Deutschland geschrieben. Er selbst beobachtete das Himmelsereignis 1999 in Saarbrücken. Dort allerdings regnete es. "Das war die einzige Sonnenfinsternis, die ich verpasst habe."

Fast Mitternacht ist es, als Meiser in der Gegenwart ankommt. Das Gespräch dreht sich. Ob er an außerirdisches Leben glaubt? "Natürlich. Der Beweis steht doch ganz kurz bevor. Und das wird das Weltbild der Menschen verändern, und die Gesellschaft auch. Das war immer so, wenn sich die Ansichten über den Himmel revolutionär verändert haben."

Zum Thema:

Planetarium im Theater Gernot Meiser baut sein neues Planetarium zum Jubiläum "50 Jahre Saarlouiser Woche" im Theater am Ring auf: vom 27. Mai bis 3. Juni. Es gibt Filme aus dem Kosmos und von Reisen, Vorträge von Astronomen und ein Klavierkonzert zu Bildern aus dem All.

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